VINYL „REFLECTIONS“ – VÍKINGUR ÓLAFSSON & Friends improvisieren über Themen von CLAUDE DEBUSSY und JEAN-PHILIPPE RAMEAU; Deutsche Grammophon
„Die Musik Rameaus ist so persönlich im Tonfall, so neu in der Konstruktion, dass Zeit und Raum überwunden sind und Rameau uns wie ein Zeitgenosse erscheint.“ Claude Debussy
Musik von Debussy und Rameau als Ausgangspunkt freier kompositorischer Erkundungen und zeitgenössischer „Reworks“: Das ist die Idee des isländischen Pianisten Víkingur Ólafsson für sein neues Album, auf dem er selber zu Ton kommt, aber in direkten Austausch mit Musikerinnen und Musikern unterschiedlichster Richtungen wie Hania Rani, Helgi Jonsson, Christian Badzura (seines Zeichens Vizepräsident A&R New Repertoire bei Deutsche Grammophon), das Duo Balmorhea, die isländische Band Hugar, Rob Lowe und Michael A. Muller tritt.
Zum klassischen Klavier gesellen sich elektronische Bearbeitungen, Sythesizer, Vocals, Gitarre und Schlagzeug. Stücke wie Claude Debussys „Préludes“, „Canope“, „Bruyères“ oder Rameaus Esprit für Badzuras „Muse d‘eau“ standen für das Album Pate.
Es handelt sich in der Mehrzahl um meditativ gestrickte Arrangements. Im Vergleich zu den Originalstücken sind es brav sanfte klangliche Reflexionen, die sich von der Atmosphäre und Machart weniger voneinander unterscheiden, als man es sich gewünscht hätte. Am besten gefallen die Beiträge von Ólafsson selbst (auf Seite C bei „Prélude, Sarabande, Toccata“ ist herzschlagaufregend zu spüren, wie gut Ólafsson Debussy kann), wenngleich auch er der Versuchung unterliegt, die Musik Debussys bis zur Lappigkeit weichzuspülen (Seite B „Reflection“ über Debussys „Bruyères“).
“Musik, die ich mag, wirft eher Fragen auf, als dass sie Antworten bietet. Sie transzendiert das Individuum, das sie erdacht hat, und öffnet dem interpretierenden Musiker zahllose Möglichkeiten der Erkundung”, meint Víkingur Ólafsson.
Auch das Album wirft Fragen auf, weil es im Gegensatz zur sicher gut gemeinten Absicht weder die Werke der Vergangenheit in ein aufregendes Heute transponiert noch ihnen neues Verständnis abzugewinnen vermag und so auch keine bunte Brücke von der Vergangenheit zur Gegenwart schlägt. Vielleicht ist die Doppel-LP Album gut für Charts, für den anspruchsvollen Hörer fällt das in Beliebigkeit gestrandete Projekt („Drowned Haiku“) leider enttäuschend aus.
Dr. Ingobert Waltenberger