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VINYL/LP „THE MESSENGER“ – HÉLÈNE GRIMAUD und die Camerata Salzburg spielen Musik von Mozart und Silvestrov; Deutsche Grammophon

05.10.2020 | cd

VINYL/LP „THE MESSENGER“ – HÉLÈNE GRIMAUD und die Camerata Salzburg spielen Musik von Mozart und Silvestrov; Deutsche Grammophon

Die französische Pianistin mit starkem Bezug zur Natur und insbesondere der Tierwelt – ihr Einsatz für und ihre Liebe zu Wölfen ist legendär – legt mit „The Messenger“ das aus meiner Sicht spannendste Konzeptalbum ihrer Karriere vor. Das Doppelalbum, zu Beginn der Pandemie entstanden, will auch eine Reflexion über all das sein, was Kunst/Musik in Zeiten von Krankheit, Angst, steigender Arbeitslosigkeit oder allgemeiner Verunsicherung über die Zukunft noch vermag. 

Hélène Grimaud, die die eingespielten Werke ihres Albums chronologisch ordnet, aber auch um Zeit als biographische Maßeinheit bzw. als Skala emotionaler Dimensionen weiß,  findet in der Vergangenheit das, was auch heute noch Gültigkeit haben will. „Sowohl für Mozart als auch Beethoven bedeuteten Molltonarten eine Konfrontation mit dem Schicksal oder mit der Vorsehung. Das Dunkle, Grüblerische an Mozarts Konzert hat Beethoven zweifellos angesprochen. In seinen Kadenzen zu diesem Konzert kann man erleben, wie Mozarts exquisites Gespür für das Lyrische durch Beethovens geniale musikalische Ökonomie transformiert wird.“ 

In den drei in Mollton gehaltenen Werken von Wolfgang Amadeus Mozart, der Fantasie in d-Moll K397, dem direkt daran anschließenden Klavierkonzert K466 in d-Moll und der Fantasie in d-Moll K475 ist der Salzburger Luftikus nicht als schnörkelig-schnuckeliger Rokoko-Komponist, sondern als ein ans Eingemachte gehender Künstler zu erleben, dessen in Klangwahrheit transponiertes Seelenleben sich irisierend in den Ur-Gründen unseres Lebens spiegelt. Jede/r kennt das Gefühl der der Wucht und Übermacht der Elemente in Ansehung von Schicksal und Tod. In den brodelnden Kräften, die hinter Mozarts scheinbar natürlicher Gelöstheit stehen, sieht Grimaud  „etwas zutiefst Instabiles, einen unverkennbar fast ans Hysterische grenzenden Mangel, eine permanent niemals ruhende, quälende Sehnsucht nach Liebe.“

In diesem Sinne aufgeraut, durchaus theatralisch expressiv, in „unberechenbaren Turbulenzen“ legt Hélène Grimaud ihre Interpretation vor allem des berühmten Klavierkonzerts an. Dieser extreme Ansatz, der im Kern auch in der Interpretation von  Mozarts Klaviersonaten durch Elisabeth Leonskaja zu finden ist, geht bei der französischen Pianistin nie zulasten der Sinnlichkeit des Klangs, stößt sich nie an den letzten Mauern, sondern schöpft primär aus einer enormen dynamischen Bandbreite und der seismographisch feinsten emotionalen Regungen nachspürenden Anschlagskultur der Pianistin. Vor allem das ungemein dichte Vorantreiben der Themen und das phrasenweise Hals über Kopf Zuspitzen des Tempos im ersten und dritten Satz des d-Moll Konzerts sowie in der Fantasie K475 erzeugen ein beklemmendes Gefühl von Atemlosigkeit, von Gehetztsein vor einer unsichtbar lauernden Gefahr. Wir haben es mit einer düster schwarz glänzenden Lesart unserer Epoche zu tun, die Schallplattengeschichte schreiben wird und nichts mit glatten Nivellierungen und schaumgebremsten Emotionen zu tun hat, wie wir sie leider so oft antreffen.

Überirdisch, ätherisch dem Alltag enthoben lädt das Stück „The Messenger“ für Streichorchester und Klavier des ukrainischen Komponisten Valentin Silvestrov zum Meditieren ein. 1996 in Gedanken an dessen verstorbene Frau geschrieben, assoziiert das Stück frei Motive aus Mozarts Musik. „Ein Widerklang, eine Reaktion auf das, was bereits existiert“, verströmt das Werk eine tiefe Traurigkeit, aber auch ein melancholisches Sich Fügen, das allen Schmerz für einen Augenblick hinwegwischt. „Two Dialogues with Postscript“ (Zwei Dialoge mit Nachwort) aus dem Jahr 2001 suchen in romantischen An- und Verwandlungen von Schuberts und Wagners Harmonien nach letzten Wahrheiten, die Geheimnis bleiben müssen, aber erahnt werden können. Die „Bagatellen“, 2005 komponiert, geben ein kleines Intermezzo auf den Spuren von Beethoven ab, bevor das Programm mit einer reinen Klavierfassung von „The Messenger“ in purer Schönheit endet.

Die beiden LPs zeugen zudem wieder einmal davon, wie unvergleichlich reich an Obertönen und satten Bässen, aber auch organisch blühend Musik auf analogen Tonträgern klingen kann. Eine angenehme und wie Kaminfeuerwärme vibrierende  Unschärfe hebt sich von der Kühle und Schärfe digital übertragener Musik ab. Kein Wunder, dass zumindest in den USA Vinyl schon längst die CD an Verkaufszahlen abgelöst hat. Für diejenigen, die keinen Plattenspieler besitzen: Natürlich ist das Album auch als CD erhältlich. 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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