Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

VINYL:  DANIIL TRIFONOV: MY AMERICAN STORY NORTH – Musik von Gershwin, Green, Copland, Corigliano, Adams, Grusin, Newman, Bates und Cage; Deutsche Grammophon

02.10.2024 | cd

VINYL:  DANIIL TRIFONOV: MY AMERICAN STORY NORTH – Musik von Gershwin, Green, Copland, Corigliano, Adams, Grusin, Newman, Bates und Cage; Deutsche Grammophon

Das ultimative Hörerlebnis mit dem großartigsten Pianisten der Welt

trifo

Trifonov ist als gerade mal 17-jähriger Bursche von Moskau aus in die USA emigriert, um bei der armenischstämmigen Klavierlegende Sergej Babayan zu studieren. Er tat dies auf Empfehlung seiner Moskauer Lehrerin Tatiana Zelikman.

Wie bei so vielen Ankömmlingen, war es um seine Sprachkenntnisse nicht sonderlich gut bestellt. Trifonovs erster „Ankerplatz“ befand sich nicht in New York, sondern in der bekannt-berüchtigten Industriemetropole Cleveland am Eriesee in Ohio, weil Babayan am dortigen Cleveland Institute of Music (CIM) unterrichtete.

Und da tat Trifonov das, was offenbar auch heute noch Teil der intakten, aber seltenen Aufstiegsmöglichkeiten nach allen Regeln des „American Dream“ ist. Er arbeitete in Cleveland hart und zielstrebig, um nicht nur pianistische Fortschritte zu erzielen, sondern auch, um gesellschaftlich-kulturell anzukommen und eigenbestimmt leben zu können. Trifonov erkämpfte sich seine Integration in ein Land, in dem – O-Ton Trifonov – „Leistung, Engagement, Selbständigkeit und harte Arbeit etwas zählen“, mit Neugier, Willen und Hartnäckigkeit.

Proben, Üben, Unterricht, Musikhören in der Bibliothek und sich der Sprachkenntnisse wegen amerikanische Filme anzusehen, bildeten das Pensum. Vielleicht dazwischen ein paar Videospiele zur Ablenkung. Im CIM war es auch, dass er Judith Ramirez kennenlernte, eine dominikanische Klavierstudentin, die Trifonovs Frau wurde. Von 2009 bis 2011 nahm er Unterricht bei Babayan, 2010 gewann er den dritten Platz beim Chopin Wettbewerb in Warschau. Beim internationalen Tchaikovski-Wettbewerb in Moskau im Juni 2011 heimste er nicht nur die „Goldmedaille im Fach Klavier“, sondern auch den „Grand Prix“ des Gesamtwettbewerbs ein. Die Karriere seither verläuft bilderbuchmäßig. Längst ist er New Yorker geworden und auf allen bedeutenden Konzertpodien der Welt zu hören.

Ich habe Trifonov vor nicht allzu langer Zeit in der Berliner Philharmonie, jüngst aber auch bei einer von Universal Music veranstalteten sog. „Yellow Lounge“ im Berliner „Säälchen“ erlebt, einem Club, der Teil eines kreatives Stadtquartiers am Holzmarkt 25 bildet. Da spielte er aus seinem neuen amerikanischen Album: Coriglianos sich langsam steigernde „Fantasia“ entführte das Publikum in eine andere Dimension, ein anderes Universum. Trifonov machte dabei nicht viel Aufhebens um sich. Er kommt, setzt sich hin, spielt, verbeugt sich kurz und geht wieder.

Und wie er spielt, ist so, dass neben der ungeheuren Konzentration (man meint, einen Minenentschärfer bei seinem Geschäft zu beobachten) diese unendliche Vielfalt an klanglichen Mixturen, dieses Wunder an Anschlagsvarianten und Zeitmaßnehmen das Publikum unweigerlich hypnotisieren. Und offenbar gelingt ihm das nicht nur bei Bach, der deutschen Romantik, Tchaikovsky oder Rachmaninov, sondern auch mit all den solistischen Stücken von Aaron Copland (die immens anspruchsvollen, schräg-dissonanten „Pianovariationen“), mit John Coriglianos minimalistischer „Fantasia on an Ostinato“ bzw. John Cages4‘33‘“, jeweils in der Field- und in der Studioversion, sondern ebenso faszinierend beim Concerto in F von George Gershwin aus 1925 (Trifonov stellt sich bei dieser Musik eine Verfolgungsszene in einem Schwarz-Weiß-Film durch das nächtliche Chicago vor) und dem als Weltersteinspielung zu hörenden klangzauberischen Klavierkonzert in drei Movements des 1977 geborenen Mason Bates. Das Konzert hatte Trifonov selbst in Auftrag gegeben: Den ersten Satz empfindet Trifonov als „eine geistreiche, verspielte Hommage an die Renaissance, den zweiten Satz als gefühlvollen Dialog zwischen Orchester und Pianist und den dritten als exzentrisch und rhythmisch, voller cineastischem Drive.“

Bei beiden Konzerten wird Trifonov vom virtuos aufspielenden Philadelphia Orchestra unter der temperamentvollen wie jazzig-federnden, im zweiten Movement des Bates Konzerts von der impressionistische Farben fein pinselnden Stabführung von Yannick Nézet-Séguin begleitet.

Wir finden bei Trifonov Zärtlichkeit und Dämonie auf einem Fleck, wie Argerich bescheinigte. Auf der Erkundung dieser musikalischen Reise hören und erfahren wir vom Moussieren des bunten Treibens amerikanischer Städte, ihrem Fluidum und ihrer Energie. Wir tauchen ein in die Welt des Jazz-Pianisten Art Tatum im Jahr 1949, als dieser afroamerikanische Musiker den Song „I cover the Waterfont“ des John W. Green spielte, lauschen mit „When I fall in love“ (nach dem Song von Victor Young) des Jazzpianisten Bill Evans gerührt der engen Emotion, die Trifonov mit den USA und dem dort gefundenen Familienglück verbindet. Natürlich dürfen auf einem solchen Album auch Filmmusiken nicht zu kurz kommen. Da spielt Trifonov „Memphis Stomp“ von Dave Grusin aus dem Film „The Firm“, „American Beauty“ von Thomas Newman aus dem gleichnamigen Film von Sam Mendes und „Secunda“ aus dem Videospiel „The Elder Scrills V: Skyrim“.

Man kann dieses Album als Ergebnis der mannigfaltigen musikalischen Einflüsse seiner Wahlheimat sehen, oder aber auch als glühendes Manifest von Trifonovs magischem pianistischem Können und dessen stets feinsinniger Bravour.

Zugleich bietet das Album einmal wieder eine ideale Gelegenheit, auf die akustische Überlegenheit von Vinyl hinzuweisen. Natürlich gibt es das Album auch in den Formaten CD und Stream, aber keines von beiden bietet jene räumliche Natürlichkeit und Detailversessenheit, die audiophiles Hören via LPs ermöglicht. Die Pressqualität ist schlicht und einfach grandios.

Fazit: Eine amerikanische Geschichte als zu Klang geronnene Traumwelten in pianistischer Weltklasse. Wer wissen will, wie es weiter geht mit den Projekten des Pianisten, dem sei verraten, dass es ein Sequel als „My American Story -South“ geben wird, das, wie der Name andeutet, der Musik Lateinamerikas gewidmet sein wird.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

Diese Seite drucken