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VINYL/ CD: SVEN HELBIG:  REQUIEM A – Live-Aufnahme aus der Dresdner Kreuzkirche vom 9. Februar 2025; Deutsche Grammophon

14.05.2025 | cd

VINYL/CD SVEN HELBIG:  REQUIEM A – Live-Aufnahme aus der Dresdner Kreuzkirche vom 9. Februar 2025; Deutsche Grammophon

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Zur Erinnerung an den 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs am 9. Mai 2025 – „An den Händen Blut und Asche im Gesicht“, Sanctus

Dramatisch gotteszornig, endzeitlich transzendierend, trauerschmerzklagend, aber auch trostspendend, ein Seelenschmeichler im Vergänglichen und ein sanfter Wecker soll ein „Requiem“ sein. Die musikalischen Mittel, die Komponisten seit jeher solch einem Toten-Gedenken zuwachsen haben lassen, reichen von mathematisch kristalliner polyphoner Vielstimmigkeit, romantisch düsteren bis himmellichten Harmonien (Fauré), flammenden Rhythmen, opernhaftem Pathos (Verdi) bis zu ätherisch esoterischen Klängen. Die Frage nach der Grenze, wo „echtes“ Gefühl in Kitsch umschlägt, wurde nicht zum ersten und wird sicher nicht zum letzten Mal bei der Deutung der Qualität von Andrew Lloyd Webbers Requiem gestellt.

Der deutsche Komponist, Regisseur und Musikproduzent Sven Helbig hat sein Requiem A in Vorbereitung des 80. Jahrestages der Zerstörung Dresdens und des Endes des Zweiten Weltkrieges geschrieben. Das Thema Tod und Vernichtung, insbesondere infolge Krieges, beschäftigt Helbig durch Erzählungen seines Großvaters über dessen Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg als auch infolge der belastenden täglichen Auseinandersetzung mit dem Thema, das seit Jahren an vorderster Stelle der Nachrichten steht. In Gesprächen mit seiner Tochter Ida entstand der Name Requiem A. Der Buchstabe A soll hier für Neu-Anfang stehen.

In seinem Requiem mischt Sven Helbig klassische Kompositionsmuster unter Einbeziehung von Chor und Vokalsolisten mit elektronisch generierten Klängen. Die Texte zu dem neunsätzigen (die Zahl steht für Neubeginn, Vollendung, Humanität und Universalität) Requiem A stammen aus der kirchlichen Liturgie (Latein im Kyrie und Agnus Dei) und vom Komponisten (in deutscher Sprache) selbst. Zu den für Helbig wichtigsten zentralen Botschaften sind die Themen Wiedergeburt, Wandlung, Vergebung, Trauer und Trost berufen. Dabei zieht Helbig bezüglich des Wesens seiner Musik und des gewählten liturgischen Ablaufs Parallelen zum Schicksal der Kreuzkirche in Dresden, deren Fassade überlebt, der umgebende Altmarkt jedoch völlig zerstört wurde. „Der Grundriss blieb erhalten, doch darauf wurden völlig neue Gebäude errichtet. Genauso ist Requiem A auf einem alten Grundriss entstanden“.

Freilich werden die individuell anverwandelten Bezüge auf die in Jahrhunderten gewachsenen, übervollen Kammern der Musikgeschichte, deren ferne Reminiszenzen und abgelauschte Assoziationen sowie der geschickt montierte elektronische Überwurf auf die Hörerschaft unterschiedlich wirken. Da Helbigs Musikvideos, Shows, Multimedia-Interventionen und speziellen Arbeiten für Rammstein bis zum Fauré Quartett trotz minimalistischer Unterströmungen immer auch ein Stück spektakulären Eventcharakter (z.B. die Inszenierung der Hochhaussinfonie zur 800-Jahr-Feier Dresdens) beinhalten, wollen wir sein Talent für Wirkung und klangliche Genießbarkeit explizit hervorheben. Manchmal gibt sich Altbekanntes von Mahler bis Orff sein erkennbares Stelldichein. Mir scheinen jedenfalls die beabsichtigten Emotionen von ehrendem Gedenken und Friedenssehnsucht mit den neoklanglichen Mitteln à la mode in ihrem Kern eingefangen, freilich bis zu einem gewissen Grad kommerzverständlich populär und doch mit dem gewissen Etwas, das den besonderen Moment zelebriert und den Alltag für 50 Minuten hinter sich zurückbleiben lässt.

Dazu kommt als weiteres Atout des Albums die erstklassige musikalische Umsetzung mit dem nach wie vor umwerfend sonoren Basssolisten Rene Pape („An die Weide“), dem Dresdner Kreuzchor sowie der formidablen Staatskapelle Dresden, allesamt eindrücklich geleitet von Kreuzkantor Martin Lehmann. Die an Clubklänge erinnernden Live-Electronics hat Sven Helbig selbst beigesteuert. Die Covergestaltung mit dem springenden Mädchen vor schwarzem Hintergrund steht für den Hoffnungsschimmer von Leben in einem bedrohlichen Umfeld.

Hinweis: Nach der Weltpremiere am 9. Februar 2025 in Dresden wurde Helbigs Requiem A am 8. Mai 2025 am Heldenplatz in Wien mit den Wiener Symphonikern aufgeführt. Ein weiteres Konzert ist für den Oktober 2025 in der Kathedrale von Coventry vorgesehen. Da wird Dirigent Martin Lehmann den Dresdner Kreuzchor, das Birmingham Symphony Orchestra und den Trinity Boys Choir dirigieren. Bei allen Terminen ist Sven Helbig selbst für die Live-Electronics verantwortlich.

Hörprobe: Sven Helbig, René Pape – Helbig: Meer von Tränen https://www.youtube.com/watch?v=Oc6qFyj-dZ0

Wie immer bei Publikationen der Deutschen Grammophon werden die Alben als CD, LP oder als Stream STAGE+ angeboten. Dass Vinyl von allen Varianten die zwar mühsamste vom Handling, aber akustisch lohnendste ist, ist ein Credo, das von immer mehr Musikliebhabern geteilt wird. So betrugen die generierten Umsätze mit Schallplatten in Deutschland in allen Musikrichtungen im Jahr 2024 rund 153 Millionen Euro. Gegenüber 2023 entspricht dies einer Steigerung von 9,4 Prozent. Seit 2015 hat sich der durch Vinyl erzielte Umsatz demnach vervierfacht.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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