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VINYL/CD DMITRI SHOSTAKOVICH: Cellokonzerte – YO-YO MA, das BOSTON SYMPHONY ORCHESTRA unter ANDRIS NELSONS mit einer epochalen Interpretation; Deutsche Grammophon

21.05.2025 | cd

VINYL/CD DMITRI SHOSTAKOVICH: Cellokonzerte – YO-YO MA, das BOSTON SYMPHONY ORCHESTRA unter ANDRIS NELSONS mit einer epochalen Interpretation; Deutsche Grammophon

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Das in jeder Hinsicht internationale Shostakovich Festival 2025 in Leipzig unter der Leitung von Gewandhauskapellmeister Andris Nelsons und Anna Rakitina wartet seit 15. Mai und noch bis 1. Juni mit großartigen Konzerten und Filmabenden auf, u.a. mit dem Boston Symphony Orchestra, dem Gewandhausorchester Leipzig, dem für das Festival gegründeten Festivalorchester – bestehend aus Mitgliedern der Mendelssohn-Orchesterakademie, des Tanglewood Music Center Orchestra und aus Studierenden der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig, dem Quatuor Danel, den Solisten Elena Bashkirova Klavier, Baiba Skride Violine, Antoine Tamestit Viola, Gautier Capuçon Violoncello, Daniil Trifonov Klavier, dem MDR Rundfunkchor, um nur einige zu nennen. Den Anlass für die aufwändige, äußerst umfangreichsten Werkschau von Dmitri Shostakovich bildet sein 50. Todestag.

Aber auch die Plattenindustrie ist nicht untätig geblieben. So liegt nunmehr bei der Deutschen Grammophon eine 19 CD-Box mit allen Symphonien, Klavier-, Violin- und Cellokonzerten und der Oper „Lady Macbeth of Mtsensk“ unter Mitwirkung des Boston Symphony Orchestra und Andris Nelsons vor. Man muss sich aber nicht die gesamte Box anschaffen, wenn man etwa besonders an den beiden Cellokonzerten interessiert ist, sondern die Aufnahmen liegen auch in Einzeleditionen vor.

Cellist, Kulturbotschafter und Gewinner des Birgit Nilsson Preises 2022 Yo-Yo Ma hat im Oktober 2023 in der Bostoner Symphony Hall mit dem Boston Symphony Orchestra und Andris Nelsons die beiden Cellokonzerte von Shostakovich (ein)gespielt. Begleitet von einem Team um den Hollywood-Produzenten Shawn Murphy und den leitenden Toningenieur des BSO, Nick Squire, ist eine Aufnahme der Superlative entstanden. Ich habe mir die Cellokonzerte im audiophil unüberbietbaren LP-Format angehört. Der sonore, sinnenlockende und vor allem poetisch innige Klang des von Yo-Yo Ma außer bravourös vor allem emotional in alle Himmelsrichtungen und aus allen Höllenkreisen gestimmten Cellos sowie der geheimnisvolle dunkle Klang des Orchesters rücken die Universalität der Musik des sowjetischen Superstars Shostakovich ins Rampenlicht.

Natürlich kann auch weiterhin der Blick durchs biographische und politische Schlüsselloch getan werden, aber Musik kann doch wesentlich mehr als ein gesellschaftlich politisches Umfeld der Entstehung zu reflektieren. Nämlich sich auf allgemeingültige Fragen und Befindlichkeiten rund um die menschliche Existenz, deren Glücksmomente und Krisen in aller Differenzierung, Subjektivität und individuellem Ausdrucksempfinden zu stürzen. Die ästhetische Dimension nicht zu vergessen. Das Boston Symphony Orchestra unter der sensitiven Leitung des lettischen Chefs Andris Nelsons lässt die für Mstislav Rostropovich im Abstand von sieben Jahren (1959/1966) geschriebenen Stücke trotz ihrer kargen Instrumentierung kammermusikalisch gefühlsnäher wirken als dies bei qualitativ vergleichbaren Aufnahmen der Fall ist. Mich begeistert vor allem Yo-Yo Mas ungemein sangliches Spiel mit den überaus sachte gestalteten Portamenti, der lyrischen Verinnerlichung in der Klangfülle, auf den Punkt gebracht, der atemberaubenden Schönheit des Celloklangs. Und gerade das scheint mir bei der desillusionierenden Klangrede des zweiten Konzerts, das Shostakovich im stimmungsschwankenden Zustand schwerer gesundheitlicher Beeinträchtigung komponierte, wichtig. Sicher, es gibt grellere Interpretationen, die den Fokus mehr auf den schwarzen Humor und das Romantik-Parodistische legen, aber keine, die in diesem musikalischen Rückblick und skeptischer Erwartungsvorschau sehnsuchtsvoller aufhorchen lässt und erschüttert als das im vorliegenden Album der Fall ist.

Empfehlung!

Hinweis: Ab 23. Mai wird auch das Album Dmitri Shostakovich – Discoveries (Weltpremieren & Raritäten) mit Daniil Trifonov, Gidon Kremer, Nils Mönkemeyer, Alexander Roslavets, Yulianna Avdeeva, Kremerata Baltica, der Staatskapelle Dresden unter der Stabführung von Thomas Sanderling bei der DGG erhältlich sein.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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