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VINCENCO BELLINI „IL PIRATA“ – mit MARINA REBEKA, JAVIER CAMARENA und FRANCO VASSALLO; Prima Klassik

28.09.2021 | cd

VINCENCO BELLINI „IL PIRATA“ – mit MARINA REBEKA, JAVIER CAMARENA und FRANCO VASSALLO; Prima Klassik

Die Glitzerwelt des Belkantos ist um ein Juwel reicher – Exzellente Studioproduktion der kompletten Partitur mit Originalkadenzen und von Sängern hinzugefügten Variationen sowie einem bisher kaum aufgeführten Finaletto.

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Die lettische Sopranistin Marina Rebeka gegründete mit US-Label Prima Classic ihre eigene unabhängige Plattenfirma. Sie ist in Sheridan, Wyoming beheimatet. Sie nimmt sich da offenbar ihre Vorgängerin auf dem Thron der Belkantodiven, Edita Gruberova, zum Vorbild, die, um den Zwängen der Musikverlage zu entgehen, mit Nightingale Classics ein eigenbestimmtes Tonträger-Forum hatte.

Drei profilierte Soloalben („Credo“, „Elle“ – französische Opernarien und „Spirito“ – Arien von Bellini, Donizetti, Spontini) der Marina Rebeka liegen schon vor, ebenso eine auch technisch hervorvorragend aufgenommene „La Traviata“ von Giuseppe Verdi mit Charles Castronovo und George Petean als Partner.

Nun hat Marina Rebeka in Catania mit dem Orchestra e Coro del Teatro Massimo Bellini, unter der Stabführung von Fabrizio Maria Carminati als neuesten Streich Bellinis „Il Pirata“ aufgenommen. „Il Pirata“ auf ein Libretto des Felice Romani ist die dritte Oper des 25-jährigen Komponisten. Sie wurde 1827 an der Mailänder Scala uraufgeführt. Es geht, kurz gesagt, um eine Frau zwischen zwei Männern. Ihr Favorit Gualtiero tötet schließlich ihren ungeliebten Ehemann Ernesto im Zweikampf, soll aber für dieses Verbrechen selbst hingerichtet werden. Imogene taumelt wahnsinnig geworden ihrem eigenen Tod entgegen.

Liebhaber charaktervoller, ausdrucksstarker, technisch souveräner Stimmen können jubeln. Die sorgfältig vorbereitete und gediegen präsentierte Einspielung ist ein großer Wurf geworden. Mit Marina Rebeka gibt es eine neue Belcanto-Queen zu feiern. Sie ist eine Ausdruckssängerin von Gnaden mit stupender Technik, bestens sitzenden Akuti und packender Rollenidentifikation. Das Timbre ist allerdings Geschmackssache: Nicht Milch und Honig wie bei Renée Fleming fließen in ihrer Kehle. Die herbe, kernige Stimme mit kurzem Vibrato und der trotz beeindruckend dramatischen Impetus gegebenen Befähigung zu exakten klaren Verzierungen, baut auf eine ähnliche Wirkung wie Virginia Zeani oder Nelly Miricioiu. Mich beeindruckt ihre wahrhaftige Gesangskunst, die Geschmeidigkeit im Ton und die Flexibilität der Phrasen. Belkanto setzt ja ganz auf die Persönlichkeit der Protangonisten. Er funktioniert nur, wenn sich die in all den vokalen Drahtseilakten ohne Netz tummelnden Stimmakrobaten beim Sprung ins Ungewisse so wohl fühlen wie der Fisch im Wasser. Der dunkle Sopran schillert in der Rolle der Imogene in den gedeckten Farben eines Caravaggio, ihr emotionaler Ton ist der einer echten Tragödin. Die höchsten Höhen – bisweilen expansiv limitiert – haben dramatischen Biss, schwebende Pianissimi sind ihre Sache aber nicht. Ihre Stärke liegt in der packenden musikalischen Rollenbildhauerei. Marina Rebeka gehört auch zu den ganz Eifrigen ihrer Zunft. In knapp 15 Jahren hat sie sich 30 große Rollen erarbeitet.

Rebeka debütierte als Violetta in Erfurt, dann meldeten sich die Wiener Volksoper, die Komische Oper in Berlin und die Finnischen Nationaloper. International markiere wohl ihre Mitwirkung 2009 bei den Salzburger Festspielen in Rossinis Moise unter der Leitung von Riccardo Muti ihren endgültigen Durchbruch.

Sie hat sich für ihren ersten großen Bellini-Plattenauftritt stimmlich beeindruckende Partner gewählt. Vor allem der leichtgängige und höhentigernde Tenor des Javier Camarena in der Rolle des Piraten und sehnsüchtig geliebten Gualtiero erweist sich als ideale Ergänzung. Seine behutsam geformten Arien zählen zum Allerfeinsten tenoraler Prachtentfaltung und zum Schönsten des Albums. Imogenes ungeliebter Ehemann und Fiesling Ernesto findet in Franco Vassallo einen imponierenden Vertreter des heldischen Baritonfachs mit enormen Höhen und dramatischer Durchschlagskraft. Stilistisch ist nicht zu überhören, dass er sich die Aufnahme mit Cappuccilli intensiv „reingezogen“ hat. Mit der Präzision der Verzierungen nimmt er es allerdings nicht immer so ernst wie man sich das wünschen würde.

Das neue „Il Pirata“ Album bietet 20 Minuten mehr Musik als die 1970, also vor über 50 Jahren, für die EMI produzierte Aufnahme mit Montserrat Caballé, Bernabé Martí und Piero Cappuccilli unter der künstlerischen Leitung von Gianandrea Gavazzeni. Die einzige Alternative dazu mit Lucia Aliberti, Roberto Frontali und Stuart Neill unter Marcello Viotti aus den 90-er Jahren ist längst vergriffen und nur noch antiquarisch erhältlich.

Das italienisch-englische Booklet enthält das Libretto und einen Aufsatz über „Il Pirata“ vom Bellini Spezialisten Domenico Di Meo.

Gualtiero: Javier Camarena, Tenor

Imogene: Marina Rebeka, Sopran

Ernesto: Franco Vassallo, Bariton

Goffredo (Il Solitario): Antonio Di Matteo, Bass

Itulbo: Gustavo De Gennaro, Tenor

Adele: Sonia Fortunato, Mezzo-Sopran

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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