Das Ensemble von Rossinis „Petite Messe Solennelle“ im Teatro Olimpico in Vicenza. Pressefoto: Colorfoto Artigiana
VICENZA / Teatro Olimpico: PETITE MESSE SOLENNELLE zum Auftakt des Festivals VINCENZA IN LIRICA
am 31.8. 2019 (Werner Häußner)
Mittlerweile zum siebten Mal findet in der Palladio-Stadt Vicenza ein Festival statt, bei dem Architektur und Musik eine glückliche Verbindung eingehen. Wer das weltberühmte Teatro Olimpico kennt, den ersten frei stehenden Theaterbau Europas seit der Antike, entstanden nach Plänen Andrea Palladios, wird nur allzu gern bereit sein, die Reise ins Veneto anzutreten, um auf den Stufen des Theaterhalbrunds zu sitzen, die antiken Vorbildern nachgebaute Skené vor Augen. Dort richtet sich der Blick in die perfekte perspektivische Illusion des Bühnenbaus Vincenzo Scamozzis, eine idealisierte antike Stadt (Theben).
In der seidigen, frisch-klaren Akustik dieses Raums Musik zu hören, ist ein berührendes Erlebnis. Zumal wenn es sich um ein Werk wie Gioachino Rossinis „Petite Messe Solennelle“ handelt, die bei aller Expressivität doch noch eher dem klassischen Ideal einer von romantischer Ausdrucks-Ästhetik unberührten, „absoluten“ Musik verpflichtet ist. Rossinis letzte groß angelegte Komposition, 1864 zur Einweihung einer privaten Kapelle uraufgeführt, eröffnete das Festival „Vicenza in lirica“. Auf dem Programm stehen noch „La Diavolessa“, ein dramma giocoso des Venezianers Baldassare Galuppi, ein Intermezzo von Giuseppe Maria Orlandini, einem heute kaum mehr bekannten, aber äußerst fruchtbaren Opernschreiber aus Florenz, mit dem Titel „Bacocco e Serpilla“, und zum Abschluss am 13. und 14. September Gaetano Donizettis „L’Elisir d’amore“.
Michele Campanella am ersten der beiden Flügel macht schon zu Beginn klar, aus welcher Tradition heraus er Rossinis Messe lesen will: Es sind weniger die neuartigen Züge, die Richard Osborne in der „Petite Messe Solennelle“ entdeckt hat und die auf spätere geistliche Musik eines Gabriel Fauré und sogar Francis Poulenc vorausweisen. Sondern es ist das kernige Erbe des italienischen melodramma, das bei den kraftvollen Akkorden zu Beginn, bei der wuchtigen Steigerung und einem fast schon zu Puccini reichenden Bogenschlag Pate steht.
Groß und leuchtend steigt auch der Chor, die Schola San Rocco unter Francesco Erle, in den musikalischen Fluss ein. Klangvoll und direkt das Kyrie, intensiv leuchtend der Beginn des Gloria. Der Mann am Harmonium, Silvio Celeghin, ein geschmackvoller, genau hinhörender Gestalter, muss sich bemühen, die Harmonien und Überleitungen mit seinem zarten Instrument gegen die fröhlich-unmittelbare Wucht des Klaviers und der Stimmen durchzusetzen. Im „cum sancto spiritu“ zeigt Rossini, dass er gegen alle altdeutschen Vorurteile Bach verstanden hat und Fugen schreiben konnte. Der Chor ist prachtvoll bei Stimme und setzt sich – jetzt im Bunde mit zwei Klavieren – strahlend in Szene. Monica Leone zeigt am zweiten Flügel besonders in der Begleitung des Solo-Soprans in „O salutaris hostia“, wie schön sie differenzieren kann. Im Chor fallen im Credo gestützte Piani auf („Et ascendit in coelum“); an anderen Stellen wieder hätte man sich einen flexibleren Klang und ausgewogenere Balance der Stimmen gewünscht. Die unfehlbare Akustik offenbart, wo der Sopran etwas zu zurückhaltend, der Bass dafür umso durchsetzungsbereiter agiert.
Mit Barbara Frittoli und Sara Mingardo gestalten in Vicenza zwei bewährte Solistinnen die prominenten Partien. Sie harmonieren im „Qui tollis“ wie in einem der großen Frauenduette aus Rossinis Opern, weil Barbara Frittoli ihren Ton zu zügeln und an die weichere, flexiblere Stimme Sara Mingardos anzupassen weiß. Im „Crucifixus“ demonstriert Barbara Frittoli ein inniges Piano. Bei dem Tenor Alfonso Zambuto klingt das alles robuster: Die Tonbildung ist nicht gleichmäßig, die Stimme lässt sich nicht auf dem Atem ins Piano zurücknehmen, beim Aufstieg in die Höhe muss er bisweilen forcieren. Mit dem Bass Davide Giangregorio, der im „Quoniam“ einen großen Auftritt genießt, harmoniert das Vibrato ebenso wenig wie mit den beiden Damen: In den Solisten-Ensembles schaut jeder, wo er bleibt. Vor allem im Credo stellt sich keine Harmonie der Stimmen ein. Dennoch: Ein Festival, das Aufmerksamkeit verdient, weil es einzigartige Architektur mit musikalischem Leben füllt. Vicenza ist eine Perle im Kranz oberitalienischer Städte, die nicht nur wegen Palladio und Baccalà, der Villen des Veneto und der Weine der Monti Berici einen Besuch lohnt.
Werner Häußner