Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

VERONA/ Arena: „Se pure infrangerne dovessi l’ale” – MADAMA BUTTERFLY mit Alexandra Kurzak und Roberto Alagna

13.08.2023 | Oper international

 

„Se pure infrangerne dovessi l’ale” – Madama Butterfly in der Arena di Verona, Vorstellung vom 12.8.2023

verona

Wenn der Name Franco Zeffirelli fällt, verfällt der übliche Opernbesucher gleich in Verzückung und sieht in Gedanken Bilder von magischer Opulenz. Kein anderer beherrschte die Fähigkeit, alle Arten der Kunst in der Oper zu vereinen und sie zum audiovisuellen Gesamterlebnis hochzustilisieren. Als Schüler Viscontis entwickelte er dabei eine ganz eigene Ästhetik, die niemals in Kitsch verfiel und aus dem Vollen aller Möglichkeiten schöpfte. Eine Vorstellung der Callas wurde für ihn zum Schlüsselerlebnis und für sie inszenierte er am liebsten. Letztlich war er bis zu seinem Ableben im Juni 2019 der ungeschlagene Meister seines Fachs, vielleicht sogar DER Opernregisseur schlechthin. 2004 kreierte er für die Arena di Verona seine einzige Inszenierung von Puccinis japanischer Tragödie Madama Butterfly, die nun ihre Wiederaufnahme feierte.

Zeffirelli beginnt das Stück im Vergnügungsviertel Nagasakis, in welchem wir, passend zur aufwühlenden Ouvertüre, mit in das Gewimmel der Menschen genommen werden. Wir erleben fahrende Verkaufsstände, Matrosen, Neugierige, Händler aller Art, Betrunkene, heimliche Stelldicheins und käufliche Liebe. Eine Einführung in das Set-Up, das uns ein Japan zur Jahrhundertwende zeigt, welches von westlichen Nationen, überlaufen wird und sich im Umbruch befindet. Zeffirelli lässt uns keinesfalls in diesem pulsierenden Leben alleine, er nimmt uns an die Hand und führt uns hinauf auf einen Hügel, welcher Nagasaki und seinen Hafen überblickt – gleich einem Kameraschwenk, der vom großen Ganzen, dem Trubel Nagasakis hin zum kleinen Kosmos führt, in welchem die Geschichte von Cio-Cio-San stattfindet. Ihm gelingt dabei ein eindrucksvoller Spagat zwischen den für ihn so typischen opulenten Bildern mit gewaltiger Ausdruckskraft auf der einen Seite und der Beschäftigung mit den kleinen Dingen, die die Protagonisten in ihrem Innersten bewegen, auf der anderen Seite. Dabei folgt er analog der gewaltigen Kraft von Puccinis Musik, als auch den psychologischen Tiefen des Librettos, die von Cio-Cio-San selbst erwähnt werden: „Noi siamo gente avvezza/ alle piccole cose/ umili e silenziose/ ad una tenerezza/ sfiorante e pur profonda/ come il ciel, come l’onda del mare”. Somit unterstreicht Zeffirelli Puccinis Intention, die Feinheit und Bescheidenheit die er als typisch japanisch rezipierte der brutalen Gigantomanie US-Amerikas gegenüberzustellen und sich damit auch klar gegen die USA und den Kolonialismus zu positionieren (Puccini kam erst 1906 das erste Mal in die USA und änderte seine Meinung nach großen finanziellen Erfolgen in New York).

Und so schafft Zeffirelli Bilder und Szenen von gewaltiger Strahlkraft, die gleichzeitig, insbesondere wenn es um Butterflys Emotionen geht, von besonderer Intimität und Zartheit sind. So endet der erste Akt mit einem rot ausgeleuchteten Papierfenster im Falthaus von Pinkerton und Butterfly, erinnernd an die untergehende Sonne Japans. Gleichzeitig sind es nur die Schatten beider, die wir sehen, und das Geschehnis elegant in unseren Gedanken und nicht auf der Bühne stattfinden lassen. Und auch als Butterfly Seppuku begeht, sehen wir wieder dieselbe rote Ausleuchtung des papiernen Fensters, wieder die japanische Sonne, die gleichsam mit Cio-Cio-San untergeht. Eine Inszenierung von zeitloser Schönheit und gewaltiger Strahlkraft, ein Genuss in jeder Hinsicht und ein gefühlvolles Meisterwerk, welches die Emotionen der Titelheldin so greifbar macht, daß es jeden zutiefst berührt. Bravissimo!

Für die Hauptrollen des Abends konnten Aleksandra Kurzak und Roberto Alagna gewonnen werden, beide höchst populär in Frankreich. Alagna erlebten wir zuletzt 2020 an der Wiener Staatsoper, als er Calaf und Canio sang, seine Rolle als Eléazar in La Juife musste er 2022 krankheitsbedingt absagen, genau wie seine Bühnenpartnerin Sonya Yoncheva. Umso erstaunlicher ist die Dynamik mit welcher Herr Alagna den Pinkerton hier im ersten Akt startet, stellenweise scheint es fast, als wäre es nicht seine Rolle die übermütig ist, sondern er selbst, als er die USA und den „Yankee“ preist, während er dabei Japan und seine Kultur verlacht. Kann er das noch? Doch Herr Alagna fängt sich ganz bravourös im Laufe des Abends und ihm gelingt ein wirklich lyrisches „Addio fiorito asil“ im 3. Akt, getragen von elegantem Legato und einer ehrlichen Darstellung eines sich schämenden Pinkertons. Bravo!

Frau Kurzak überzeugt hingegen auf ganzer Linie mit ihrer jugendlichen Darstellung der Butterfly, dieser kindlichen Träumerin, die sich so ganz in ihren Hoffnungen verliert und aufgibt. Dabei gelingt es ihr auch deutlich klarzumachen, weshalb Cio-Cio-San so handelt: „Questo mestier/ che al disonore porta!/ Morta! morta! Mai più danzar!/ Piuttosto la mia vita vo‘ troncar!” Frau Kurzak gelingt es hier fast unbemerkt aufzuzeigen, daß es sich bei Butterfly zunächst um ein fünfzehnjähriges Mädchen handelt, welches lange gezwungen war in der Prostitution zu arbeiten und ganz offensichtlich hierbei schreckliche Traumata erlitten hat. Und nun drohen sich diese zu wiederholen, da Pinkerton sie nur zu seinem Vergnügen benützt. Ein Aspekt des Stückes, der häufig vergessen wird und der dankenswerterweise an diesem Abend von Frau Kurzak wieder beleuchtet wird. Dass sie dabei gesanglich Exzellentes leistet und den ganzen Abend lang tadellos, leicht, strahlend und voller Emotion stemmt, erntet zu Recht großen Zuspruch des Publikums, bereits im ersten Akt einige Brava und nach „un bel di vedremo“ natürlich Begeisterungsstürme. Brava, Aleksandra Kurzak!

Das Orchester der Arena di Verona schaffte an diesem Abend unter der Leitung Daniel Orens interessanter Weise die Italianità der Musik Puccinis mit einem französischen Touch zu versehen. Das klang zunächst ungewöhnlich, hatte aber den Vorteil, daß Puccinis Werk an tragischer Schwere verlor, ohne seiner Aussagekraft beraubt zu werden. Gleichzeitig gab Maestro Oren den Sängern alle Möglichkeiten zu brillieren, hielt das Orchester oft im Zaum und erzeugte so ein klangliches Zusammenspiel, das zu jedem Moment tadellos funktionierte. Gut gemacht muss man sagen, hier ist niemand untergegangen, alle Beteiligten des Abends konnten brillieren, bravo, Maestro Oren.

Ebenso positiv ist der Rest des Ensembles zu erwähnen, Clarissa Leonardi debutierte als Kate Pinkerton, Elena Zilio stand ihrer Herrin Butterfly treu und resolut zur Seite, Gevorg Hakobyan war ein sichtlich mitfühlender Konsul Sharpless, Matteo Mezzaro ein nahezu schmierig durchtriebener Goro, Italo Proferisce überzeugte als auch stimmlich nobler und stolzer Prinz Yamadori und Gabriele Sagona konnte einen durch und durch zornigen Lo Zio Bonzen auf die Bühne schmettern.

So endet auch diese Butterfly mit dem tragischen Selbstmord Cio-Cio-Sans und die Hügel Nagasakis schließen sich vor dem kleinen japanischen Falthaus, verbergen den Blick vor dem beschämenden Ende, welches Butterfly erleiden musste und die Rufe Pinkertons schallen ungehört in die dunkle Nacht. Standing Ovations aus dem Publikum, bravi tutti!

E.A.L.

 

Diese Seite drucken