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VENEZIA / Teatro Malibran: AGENZIA MATRIMONIALE von Roberto Hazon / IL SEGRETO DI SUSANNA von Ermanno Wolf-Ferrari

28.01.2016 | Oper

VENEZIA / Teatro Malibran: AGENZIA MATRIMONIALE von Roberto Hazon / IL SEGRETO DI SUSANNA von Ermanno Wolf-Ferrari am 26.1. 2016 (Werner Häußner)

Wie cool ist das denn? Da wird 1961 am Teatro La Fenice in Venedig Luigi Nonos „Intolleranza 1960“ uraufgeführt, eines der Schlüsselwerke der italienischen Nachkriegsmoderne. Und ein dreiviertel Jahr später, im Januar 1962, geht am Teatro Regio in Parma eine dreiviertelstündige Farce über die Bühne, die so tut, als gingen sie die ganzen revolutionären Aufbrüche seit Arnold Schönberg nichts an. Der Komponist heißt Roberto Hazon, ein Mailänder, 1930 geboren, 2006 verstorben, und einer der sympathischsten Menschen, die man sich kennenzulernen wünschte. So jedenfalls schreibt der renommierte italienische Kritiker Lorenzo Arruga.

Selbstbewusst und von den Umtrieben von Darmstadt bis Donaueschingen unberührt, schrieb Hazon tonale Musik mit ziemlichem Erfolg: Opern, Orchesterwerke, geistliche und Ballettmusik. Von den Titeln kennt man heute keinen mehr – weder seine Erstlingsoper „L’amante cubista“ von 1953, die es sogar nach Berlin geschafft hat, noch sein abendfüllendes Werk „Una donna uccisa con dolcezza“ (Parma, 1967) auf eine elisabethanische Tragödie von Thomas Heywood („A woman killed with kindness“, 1603). Auch die in Parma uraufgeführte kurze Komödie, ein geistvolles Spiel um Vorstellung und Tatsache, ist weitgehend vergessen: „Agenzia matrimoniale“ wurde zwar häufiger, unter anderem in Dortmund, gespielt, schaffte es in jüngerer Zeit aber gerade noch ans Slowakische Nationaltheater in Bratislava (1975) und ans Conservatorio di Musica di Milano (2002).

Und wie cool ist das?: Aus Anlass des zehnten Todestages von Roberto Hazon nutzt die venezianische Fondazione Teatro La Fenice ihre intime zweite Spielstätte, das Teatro Malibran, und bringt die „Heiratsagentur“ wieder einmal auf die Bühne, zusammengespannt mit „Il Segreto di Susanna“ – mittlerweile ebenso rar geworden wie andere Schöpfungen Ermanno Wolf-Ferraris. Eine sinnvolle Kombination: In beiden Einaktern geht es um Frauen, die sich eines Aspekts ihrer Persönlichkeit vergewissern. Bei Wolf-Ferrari hat die Geschichte eines nikotinliebenden Eheweibchens einen unverkennbaren Zug ins Emanzipatorische, auch wenn sich der Konflikt in buffonesker Manier in freundlichen blauen Dunst auflöst: Es qualmen am Ende einfach alle. Dennoch: 1909, als Wolf-Ferrari seine „Susanna“ rauchen ließ, war die Frau mit der Zigarette immer noch die zwielichtige Femme fatale – wie etwa Pola Negri als Stummfilm-„Carmen“.

Bei Hazon schürft die Psychologie des Librettos – es stammt von seiner Frau Ida Vallardi Hazon – tiefer: Seine Protagonistin Argia, die in einem nebligen Mailänder Winter ein bisschen Liebe ersehnt, hat sich eine Parallelwelt aufgebaut, stilisiert sich zur tragischen Aktrice, der sie den bezeichnenden Namen „du Barry“ gibt: Die Comtesse Dubarry war eine aus einfachen Verhältnissen stammende Maitresse König Ludwigs XV. von Frankreich, manchen vielleicht noch aus Carl Millöckers gleichnamiger Operette bekannt. Im Büro einer Heiratsagentur lernt Argia einen scheinbar gut situierten Mann – Adolfo – kennen und spielt erwartungsgemäß, aber wenig überzeugend, das schüchterne Fräulein. Als ihr Adolfo die Rolle nicht abnimmt, überwältigt sie ihn mit einem furiosen Auftritt, der den eingeschüchterten Mann letztlich jedoch in die Flucht treibt. Verzweifelt plant Argia ihren Selbstmord nach Art einer großen Szene von Eleonore Duse – da ändert ein Klingeln an der Tür alles …

Die Liebe, so folgt aus dem Ende der Oper, befreit die Menschen aus ihren illusionären Konstrukten in die Welt authentischer Gefühle. Doch Regisseur Bepi Morassi misstraut der allzu evidenten Komödienlogik: Die beiden finden zwar zusammen, aber Adolfo, frisch gekürter Ehemann, legt gleich die Beine auf den Tisch. Die Eroberung ist geschafft, die eheliche Gleichgültigkeit kündigt sich an. Morassi ist ein Meister der intimen Szene, der feinen, sprechenden Andeutung, der sparsam-expressiven Geste. Das kommt beiden Einaktern zugute. Natürlich beherrscht er auch, was eine vor allem kulinarisch ausgerichtete italienische Regie gerne pflegt: das bildmächtige Pathos, die altertümlich ausladende Bewegung. Aber im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen setzt er sie bewusst und mit einem Hauch Ironie ein – gerade so viel, dass der ästhetische Rahmen nicht verletzt wird. Die Brechstange des Regietheaters bleibt im Werkzeugschrank.

Bestens unterstützt wird dieser Ansatz von der Bühne Sebastiano Spironellis und den Kostümen Caterina Righettis. Beide studieren an der Scuola di scenografia dell‘ Accademie di Belle Arti di Venezia und haben sich in einem internen Wettbewerb der Akademie qualifiziert. Klare Linien, ein schlichter Rahmen, ein durch Farblicht variierter Hintergrund und wenige Accessoires kennzeichnen die Bühne. Für Hazons „Agenzia matrimoniale“ steht ein Fauteuil im Mittelpunkt, das – bei fortschreitender Verbindung der beiden Heiratskandidaten – zu einem Diwan ergänzt wird.

Den tristen Alltag der Frau kennzeichnet eine auf Linie ausgerichtete Reihe grauer Kostüme; den Kontrast zu ihrer Traumwelt markieren farbige Kleider, die von oben einschweben und an die Kostüme eines Theaterfundus erinnern. Sinnigerweise steht das Sitzmöbel in der Oper Wolf-Ferraris auch im Salon von Don Gil und seiner jungen, heimlich rauchenden Frau Susanna: Hier treffen wir ja auf Szenen einer bereits arrivierten Ehe. Morassi gruppiert seine Figuren mit Anklängen an Bilder des Art Nouveau, elegant und atmosphärisch überzeugend, ohne den Sinn an bloßen Ästhetizismus zu verraten.

Im Orchestergraben beglaubigen Musiker des Orchesters von La Fenice, dass sich beide Entdeckungen musikalisch lohnen. Enrico Calesso, aus Treviso stammender Generalmusikdirektor am Theater in Würzburg, arbeitet bei seinem Debüt in heimatlichen Gefilden äußerst konzentriert an den Details der kleinteiligen Partituren, trifft so den richtigen Ton für Wolf-Ferraris transparente, quirlige Musik. Schon die Ouvertüre, die einst als Konzertstück beliebt war, lässt in zwei Minuten vier prägnante Themen vorbeihuschen wie flüchtige Masken in einer venezianischen calle: am Ende meint man noch, ihr Echo zu hören, wenn sie in einem sottoportego verschwinden. Calesso erfasst aber auch den ariosen Bogen, mit dem Wolf-Ferrari zu Catalani hinüber- und zu Puccini herübergrüßt. Und er hat das Gespür für die Balance des Klangs, wenn er in der „Raucharie“ die Flöte in ein feines Netz atmosphärischer harmonischer Valeurs einspinnt.

Hazons kristalline Klarheit ist bei Calesso ebenfalls in besten Händen. Mit Posaune und Ottavino markiert die Partitur die Extreme des Klangraums, der Zwischenraum wird lediglich durch Trompete und Klarinette besetzt. Das gibt mit den sparsam besetzten Streichern Mischungen, die sich rauflustig beißen, lasziv verschmelzen oder burlesk nebeneinander herlaufen – vor allem, wenn Hazon einzelne Stimmen in unterschiedlicher Tonart parallel führt. Sein rhythmischer Pep und die Anleihen bei populärer Musik – vom Chanson mit Ziehharmonika bis zur Barmusik mit gestopfter Trompete – erinnern mal an Igor Strawinsky, mal an Kurt Weill. Doch der Ton bleibt individuell: Hazon ist ein Eklektiker mit einem ausgeprägt eigenem Stil. Sehr, sehr cool!

Von den Sängern wird das parlando der italienischen Buffa, das recitar cantando der Tradition und der klanglich erfüllte Bogen intensiven Melos‘ gefordert. Gladys Rossi und Armando Gabba beglaubigen die Figuren in ihren Skrupeln und ihren Illusionen, singen nicht immer elegant, aber stets charakterisierend. Elisabetta Martorana hat große Mühe, als Wahrsagerin ihren Mezzo in ihrer kurzen Szene in Mailänder Dialekt aus dem hinteren Bühnenraum zum Klingen zu bringen. Auch die wenigen Sätze von Lieta Naccari, Sekretärin in der Agentur, dringen nicht durch. In Wolf-Ferraris Intermezzo punktet Bruno de Simone mit manchmal ein wenig zu polternder Komik und kraftvoller Stimme; Arianna Vendittelli trifft den aufgesetzt naiven Ton, später aber auch die lyrische Intensität im wundervollen Duett, in dem sich beide an ihre zärtliche erste Liebe erinnern, bevor der Sturm der Eifersucht ausbricht. In solchen Momenten ist Wolf-Ferraris Musik zarter Flaum, fragile Finesse. Am Ende resümiert er mit unverkennbarem Bezug zu Verdis „Falstaff“: Alles ist Rauch auf Erden.

Werner Häußner

 

 

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