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VALTICE/ Barockes Schlosstheater: FARNACE von Antonio Vivaldi

22.10.2021 | Oper international

VALTICE/ Barockes Schlosstheater: FARNACE von Antonio Vivaldi

am 15.10.2021

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Foto: Festival Valtice

Es gibt nur noch wenige Barocktheater in Europa. Das am besten erhaltene ist zweifellos das in Drottningholm bei Stockholm, das nur durch eine List der Geschichte überlebte (es wurde jahrhundertlang von einem kunstfernen Monarchen ganz einfach als Geräteschuppen missbraucht und dadurch konserviert). An zweiter Stelle könnte man durchaus das (wenn auch etwas kleinere und primitivere) Schwarzenbergsche Theaterchen in Krumau nennen.

Auch der Liechtensteinsche Stammsitz in Valtice (Feldsberg) hatte natürlich sein barockes Schlosstheater, das allerdings seine Schändung als Traktorgarage der russischen Besatzer ganz und gar nicht überstanden hat.Eigentlich blieben nur die Aussenmauern übrig. Bei der letzten Renovierung des Schlosses hat man das Theater „rekonstruiert“ – und zwar (da nicht einmal Originalskizzen überliefert waren) nach dem Vorbild Krumaus. Allerdings in einer verbesserten, zuschauerfreundlichen Version: anstatt auf Hühnerspriesserln sitzt man hier auf ganz normalen Sesseln, und eine gut funktionierende Lüftungsanlage hält einen davon ab, vor lauter Sauerstoffmangel in Ohnmacht zu fallen. Es lebe das Barocktheater 2.0 !

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Foto: Festival Valtice

In diesem modernisierten Juwel fand zum Abschluss des Lednice/Valtice-Festivals (wir haben darüber berichtet) dessen aufwändigste und ambitionierteste Produktion statt: die szenische Aufführung von Vivaldis Meisterwerk „Il Farnace“ (in einer erst unlängst in einem Archiv in Pavia wiederaufgefundenen fünften, dem Fürsten Liechtenstein gewidmeten Fassung).

Um es gleich vorwegzunehmen: der Abend wurde zu einem einzigen grossen ungetrübten Fest !

Allein schon der musikalische Teil war makellos. Marek Štryncl dirigierte sein brillantes Musica Florea Orchester (sehr ungewöhnlicherweise) mit einer umgehängten Barockguitarre so temporeich und energiegeladen, sodass sogar anfängliche Barockmuffel schlussendlich in Begeisterung gerieten. Und alle, aber auch alle Sänger/innen könnten mit dem einmal vorgegebenen hohen orchestralen Niveau locker mithalten: Zoltán Megyesi, Marta Infante, Michaela Šrůmová, Zuzana Kopřivová und Sylva Čmugrová.

So weit so gut, so weit so normal.Denn nach 40 Jahren Barockmusik-Renaissance sind wir (dank Nikolaus Harnoncourt, William Christie, Marc Minkowski, Diego Fasolis, George Petrou u.v.a.m)  so ein olympisches Niveau ja mittlerweile gewohnt.

Die Crux mit den Barock o p e r n war jedoch von Anfang an, der zuerst historisch-„getreuen“, später dann historisch-„informierten“ instrumentalen Praxis in szenischer Hinsicht nichts Adäquates gegenüberstand. In den ersten Jahrzehnten versuchten dummdreiste Regisseur*innen, der barocken Form misstrauend, die von ihnen als langweilig empfundene Handlung (die es in dem Sinne in der Barockoper eigentlich gar nicht gibt, da es in ihr ja ausschliesslich um die Darstellung extremer Gefühlszustände geht) durch plakativ-brutal-blutige „Action“ im veristischen Stil aufzupeppen. Was natürlich 1. ein Holler ist und 2. die Sache nur noch schlimmer gemacht hat.

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Foto: Festival Valtice

Später kam dann doch endlich eine Bewegung auf, die dieses groteske Missverhältnis bemerkte und versuchte, durch das Studium von Stichen, Regiebüchern, Gestenlexika und Augenzeugenberichten auch die szenische Originalaufführungspraxis so gut wie möglich wiederherzustellen. Gilbert Blin, Sigrid d’Hooft, Nils Nieman (und in unseren Breiten Bernd Roger Bienert), um nur einige zu nennen, waren da Pioniere.

Leider muss man sagen, dass die Ergebnisse trotz aller diesbezüglicher ernsthafter Bemühungen in den meisten Fällen dann doch unbefriedigend waren. Wenn man bei fahlem Kerzenlicht edel gewandete und grell geschminkte (weisse Gesichter mit rosigen Pausbacken) Darsteller zuerst in höfischer Manier lustwandeln und dann heftig gestikulierend zum Absingen der Arien an die Rampe treten sieht, so mag sich das 1727 in Venedig, Versailles, Wien oder Prag möglicherweise tatsächlich so abgespielt haben (was ich allerdings zutiefst bezweifle), aber selbst wenn uns das theoretisch ein zufällig überlebt habender Zeitaugenzeuge eidesstattlich bestätigen können würde, ändert das halt auch nichts daran, dass uns eine solche Methode des sklavisch-musealen Nachstellens vermuteter Spielpraxis heute in keinster Form emotional erreicht, zumal diese ängstliche, geradezu neurotische Geziertheit im Ausdruck der zwar formal strengen, aber im Inneren vulkanisch lodernden Kraft der Musik diametral entgegensteht.

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Foto: Festival Valtice

Und daher war die große Überraschung dieses denkwürdigen Abends, dass das alles in dieser Inszenierung n i c h t der Fall war.

Und das, obwohl sich die britisch-tschechische Regisseurin Andrea Miltnerová sich an alle bisher von ihren Kollegen in ihren Recherchen erarbeiteten Vorgaben nahezu strikt hält: gemalte Prospekte, phantasievoll-farbenfroh-historisierende Kostüme, das ganze überlieferte kodifizierte Gesten-und Bewegungsrepertoire: alles da (nun gut, es gibt keine Kerzen, sondern ein – sehr intelligent eingesetztes „modernes“ Licht, was aber nur von Vorteil ist)

Und doch ist diesmal, und doch ist bei ihr alles anders. Weil man in keinem Augenblick den Eindruck hat, dass die Sängerinnen nur mechanisch und widerwillig nachmachen, was ihnen die Chefitza aufgetragen hat, sondern in jedem einzelnen Augenblick überzeugt davon ist, dass die Sängerinnen diesen ganzen reichen Fundus an standardisierten Gesten nur dazu einsetzen , um der Kraft ihres Gesangs eine weitere Dimension zu verleihen, und zwar so organisch, selbstverständlich und natürlich, als ob sie das schon ihr ganzes Leben so gemacht hätten.

Wie das die bisher eher als Tänzerin und Choreographin hervorgetretene Miltnerovà angestellt hat (es ist erst ihre dritte Operninszenierung), bleibt ein Mysterium, bleibt ein Rätsel.

Doch wenn kümmerts? Wir schwebten drei Stunden lang zwei Meter über dem Parkettboden, wir waren drei Stunden lang im einerseits im originalen , andererseits aber auch im gegenwärtigen Barockhimmel. Mehr kann man vom Theater, mehr kann man von einer Vivaldi-Aufführung nicht wollen…

Robert Quitta, Valtice

 

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