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Valer SABADUS (Countertenor): „Als Kind wollte ich Meeresbiologe werden…“

03.09.2018 | Sänger

Interview mit dem Countertenor VALER SABADUS

„ALS KIND WOLLTE ICH MEERESBIOLOGE WERDEN…“

 Karl Masek führte das Gespräch am 30. August 2018 in Köthen-Anhalt


Valer Sabadus. Foto: Andrea Masek

Wir betreten das historische, so genannte Prinzenhaus, gegenüber der St. Agnus-Kirche. Wir hören das Klackern von Billardkugeln. Als wir uns zum Interview melden, sagt man uns: „Herr Sabadus ist schon da. Er spielt im Billardzimmer!“ Die Begrüßung fällt schon sehr fröhlich, sehr herzlich, aus. Und für einen Moment drängt sich in der Bachstadt Köthen ein anderes Genie ins Bewusstsein: Mozart – denn der war ein begeisterter Billardspieler …

Sie wurden in Arad (Rumänien) geboren. Haben Sie noch Erinnerungen an das Geburtsland?

Auf jeden Fall! Ich bin als 5-Jähriger nach der Revolution, nach der Ceauşescu-Diktatur, nach Deutschland gekommen. Nicolae Ceauşescu wurde gestürzt und exekutiert, ich kann mich noch gut erinnern an die Fernsehübertragung der Exekution, das war hart und schockierend für uns alle, aber auch sehr befreiend. Als kleines Kind konnte ich es damals noch nicht so verstehen.

Aber ich erinnere mich auch, dass ich bei meinen beiden Omas in Arad und in Timişoara aufgewachsen bin. Ich habe heute noch das Gurren der Ringeltauben dort im Gedächtnis, überhaupt die schöne Natur, die gute Luft: daran erinnere ich mich. Sehr frühe Prägungen waren natürlich auch musikalisch. Mein Vater (er ist traurigerweise schon sehr früh, unmittelbar vor unserer Übersiedlung nach Deutschland, verstorben) war Cellist, meine Mutter war Pianistin. Ich hatte noch in Rumänien  sehr früh Gelegenheit, Konzerte zu besuchen. Also der kulturelle Background war schon sehr prägend…

 

Dann sind Sie in Bayern aufgewachsen.

Ja, aber es gab da Zwischenstationen, in Aussiedlerheimen. In Hamm (Westfalen) und in anderen. Warum wir nach Niederbayern gekommen sind? Meine Mutter bekam eine Festanstellung als Städtische Musikschullehrerin. Daher lebten wir dann in Landau an der Isar, und da absolvierte ich meine Schulausbildung von der Grundschule bis zum Abitur.

 

Wer ist dann in Bayern auf das außergewöhnliche Musiktalent aufmerksam geworden – außer der Mutter?

Zuerst meine Mutter. Klavier und Geige hatte ich schon gelernt. Und unter der Dusche immer sehr gern möglichst hoch gesungen. Aber dann kam eine Sonntagsmatinée mit dem Counter Andreas Scholl. Die hat mich so beeindruckt, dass ich den immer wieder mit meiner Kopfstimme imitiert habe. Meine Mutter war ganz perplex, im positiven Sinne natürlich, und hat gemeint, du bist ja auch ein Countertenor! Ich hatte bis dahin keine Ahnung von dieser Stimmlage. Ich war damals gerade im Wechsel vom Unterstufenchor zum Oberstufenchor – natürlich nur mit der Alternative Tenor oder Bass.  Für den Bass fehlten mir die tiefen Töne und  für den Tenor wurden die Höhen nur eher so hinaufgedrückt. Also das Aha-Erlebnis Countertenor. Mit Falsetthilfe konnte ich aber dann in einem Vokalquartett Tenor singen. Aber meine Mutter hat mich gleich zum Klavier hin gezerrt und spezielle Stücke einstudiert. Eine weitere Station war ein „Tag der offenen Tür“ in der Musikhochschule in München. Ich fuhr gemeinsam mit meinem besten Freund hin. Der suchte als Geiger die dortigen Geiger-Gurus auf. Da war ich 17, und ich machte mir dort mit hellwachen Ohren und großer Neugierde einen Eindruck, was ist überhaupt Gesang, und wie kann man das professionell machen? Und da habe ich meine spätere Professorin, Gabriele Fuchs, kennengelernt. Die hat mich mit 17 als Jungstudent, dann als „Vollstudent“ aufgenommen und sehr geprägt.

 

Der Berufswunsch „Sänger“ war schon immer?

Eigentlich gar nicht. Ich bin zwar immer mit Musik aufgewachsen, Kinderchor, Klavier, Geige, das war aber alles so mit: „Ich mach’s, ich muss es eigentlich machen!“ So mit „Zuckerbrot und Peitsche“ durch meine Mutter.  Heute bin ich ihr dankbar, denn sie hat mir Musik, Gehör, musikalisches Gespür „einverleibt“. Aber eigentlich wollte ich eher Meeresbiologe werden, danach Tierarzt, … (denkt nach) … ja, und Paläoanthropologe. Diese Dinosaurier, die alten Knochen, das hat mich begeistert! Generell mit Tieren, mit der Natur im Einklang zu sein. Aber Gesangsvirtuose oder „Primadonna“? Dass es dann der Gesang wurde, verdanke ich eher einigen glücklichen Zufällen,…, ja, ein bisschen „Schicksal“ …

 

Sie waren auch an der Theaterakademie August Everding, wie viele später namhafte Sänger. Was hat Sie dort für die Bühne, Sie sind ja ein „Bühnentier“ (Sabadus lacht und widerspricht nicht!!), geprägt?

Die Möglichkeit zum Experimentieren. Man konnte sich auf hohem Niveau ausprobieren, unbekanntes Repertoire wurde mit hochprofessionellen Regisseuren erarbeitet. Ich erinnere mich z.B. gerne an eine Produktion mit Regisseur Balázs Kovalik und Dirigent Michael Hofstetter, „Didone Abbandonata“. Auch die Chance für ein Podium, sich auswärtig zu profilieren! Und im Prinzregententheater, da waren dann auch schon Kritiker drin! Und ein derart hohes Profil haben nur wenige Akademien!

 

Sie haben sehr früh Grammys gewonnen und Auszeichnungen erhalten. Ist das Karriere fördernd?

Einerseits ja, aber auch wiederum nicht! Natürlich es gibt da Zahnrädchen, und Preise sind natürlich gut fürs Prestige, anderseits ist es natürlich die Ausbildung, und es war meine Lehrerin Gabriele Fuchs, die selber ein Koloratursopran war, sie  hat mir „das Singen beigebracht“, die Technik, die Art des Phrasierens, all das hat sie bei mir „verinnerlicht“ und auf besondere Art und Weise weitergegeben. Diese gesunde Technik hat mir das Countertenorsingen sehr erleichtert. Körper und Stimme, muss ja erstmal „eins“ werden. Diese Basics, meine Professorin, natürlich auch die Preise, aber auch das dritte: die glückliche Fügung, das alles ist Karriere fördernd …

 

„Vorbehalte“ von Teilen des Publikums gegen barocke Musik und gegen „Counters“ – obwohl die Barockmusik anderseits boomt – ist das immer noch so?

Unser aller Pionier war der Alfred Deller, der ja den Counter-Gesang wieder präsent gemacht und das Niveau angehoben hat, als das noch wirklich schwierig war. Ich glaube schon, dass die Akzeptanz des Publikums mittlerweile viel größer ist und es ist für „unsere Generation“ einfacher geworden. Wir sprechen ja jetzt schon von der dritten, vierten Generation! Auch die Qualität von der Stimmtechnik her ist viel besser geworden …

 

… damit ist die Konkurrenz aber auch ungleich größer geworden!

Jetzt ist es so: Es liegt großes Angebot vor, und man muss schon sehr kämpfen, um überhaupt seine eigene Nische zu finden! Sonst ist man nichts anderes als ein Epigone der Kastraten-Zeit! Also nicht „Kastraten vergangener Zeiten nachzuahmen“, sondern eigene Nischen finden und seine eigene Persönlichkeit, die persönliche ureigenste Kunst hörbar und fühlbar zu machen: das ist wesentlich! Und das merkt und honoriert das Publikum dann auch!

 

„Haltbarkeit“ von Counterstimmen: Manche schreiben,  ja, bis ca. vierzig ist die Zeit für den Zenit einer Karriere. Sie sind im 33. Lebensjahr. Was passiert mit fünfzig, fünfzig plus? Sie haben in einem anderen Interview gesagt, Counterstimmen sind  gefährdet…?

…Das hat mit der Physiognomie zu tun. Man muss sich vorstellen: Wir sind ja nicht kastriert worden. Also, wir sind ja ganz normale Männer mit Testosteron und allem Drum und Dran, und wir müssen mit unserem Stimmapparat durch diese kleine Stimmritze den gewaltigen Luftdruck überwinden und, wenn man sich jetzt vorstellt, man muss einen Raum mit 2000 Plätzen füllen ohne jegliche klangliche Verstärkung, dann ist das mit der Falsettstimme – was nur eine Randstimme ist –  sicher sehr gewagt, das bis, sagen wir, sechzig füllen zu können. Es ist ja was Artifizielles! Das hängt schon mit dem Begriff zusammen: „Falsetto“ heißt ja  eigentlich,  falsch zu singen, aber trotzdem muss man das so natürlich machen, mit einem besonderen Training, dass man die Gurgel geschmeidig hält, dass es nicht angestrengt klingt. Während ich mit ihnen rede, benutze ich ja die Modalstimme und rede nicht (wechselt ins Falsett: wenn ich so mit ihnen reden würde, das wär ja unnatürlich …) so mit ihnen! Und da muss man schon aufpassen, dass man diese verschiedenen Register immer ausgewogen verwendet. Man sollte als Counter nun nicht diese verschiedenen Register als „Innere Konkurrenz“ verstehen! Wenn man versuchen würde, das berühmte Trinklied-Duett aus der „Traviata“ nacheinander als „Alfredo“ und „Violetta“ – Tenor wie als Counter –  singen zu wollen (demonstriert das sofort!), das wäre doch irgendwie schizophren! … Aber ich bin jetzt vom Thema abgekommen, was ich sagen will: Es gibt keine Halbwertszeit für Countertenöre, jeder Mensch ist auch anders, wir als Countertenöre müssen uns alles sowieso „peu à peu“ erarbeiten, weil nach dem Stimmbruch hat sowieso alles mit Null begonnen. Weil man da noch nicht weiß, wie es weiter geht. Der höchste Knabensopran kann zum tiefsten Bass werden. Also, ich kann nur meine Stimme versuchen, möglichst pfleglich zu behandeln – und im Kopf muss mir das Singen Spaß machen. Prognostizieren (Karrieredauer) kann man überhaupt nichts …

 

In der Alten Musik gibt es ja noch unendlich viele Schätze zu entdecken. Sehen Sie sich auch als „Schatzgräber“ und „Entdecker“?

Ja, Archäologe wär‘ ich auch gern geworden! Es ist die große Chance, sich für die präbarocke Musik auf Schatzsuche zu begeben in die Bibliotheken um zu stöbern. Es gibt immer noch eine Menge Manuskripte, die nicht veröffentlicht wurden! Es gibt natürlich noch lange nicht alle Schlüssel dazu. Naja, die Cecilia Bartoli, die bekommt mit Händeküssen jeden Schlüssel für alle Tresore, um fündig zu werden für Caldara, Steffani, usw., ich versuche natürlich auch, etwas auszugraben. Ich bin kein Musikologe, denen muss ich dann vertrauen, wenn es  z.B. um neues Repertoire für eine neue CD geht. Ich kann diese Musik dann nicht „arrangieren“. Aber ich kann jedenfalls begrenzt erkennen, ob die Musik „gut geschrieben“ ist … Und da begebe ich mich auf die Spur der damaligen Kastraten als eine Art Archäologe.

 

Wir befinden uns in Köthen. Was ist für Sie das Besondere an Köthen?

Ich muss gestehen, dass ich vor 2 Jahren das noch nicht so kannte. Meine Frau (Anm.: Bratschistin des Köthener BachCollektivs, Corina Golomoz) hatte schon vor 2 Jahren die Chance, hier mitzuwirken. Wie intensiv Bach die Zeit in Köthen verbracht hatte, wurde mir erst jetzt bewusst. Es ist eine spirituelle Atmosphäre, ich befinde mich hier mit Kollegen, einem erlesenem Instrumental-Consortium, das mit Spaß und vollem Einsatz dabei ist, Bach wieder lebendig werden zu lassen. Ich empfinde es als großes Privileg, hier sein zu dürfen als ein Mitwirkender, der hier 2 Konzerte macht.

 

Abschließend der Blick in die Zukunft! Rollenwünsche?

Ich hatte mehrfach die Möglichkeit, mich in Bühnenrollen zu präsentieren (Anm: u.a. „Incoronazione di Poppea“, Nero, im Theater an der Wien; Titelrolle in „Xerxes“, Düsseldorf; „Agrippina“ in Gießen, Titelrolle in Händels „Teseo“ bei den Händel-Festspielen Karlsruhe). Und meistens hatte ich auch große Freude dabei – mitunter hat man „was daraus gelernt“ und lässt dann die Finger davon. Künstlerisch gesehen ist der „Speiseplan“ ziemlich ausgewogen: 50% Bühne, 50% Konzerte – wobei der Trend eher in die Konzerte gehen wird. Ich habe das Gefühl – „Bühnentier“ hin oder her -, dass ich mich auf dem Konzertpodium besser verwirklichen kann. Bei Bühnenproduktionen ist vieles von verschiedensten Faktoren abhängig und da muss schon wirklich alles zusammenpassen, da müssen alle an einem Strang ziehen. Zumal man dann ja 6 bis 8 Wochen investieren muss und die Probenzeiten sehr lang sind. Erfolg ist nicht vorprogrammiert. Es gilt für die Zukunft, Konzepte zu erstellen, die einen dann auch erfüllen…

 

Das Aufnahmegerät ist fast schon abgeschaltet, als Valer Sabadus dann noch sagt:

Also, den Cherubin in „Le Nozze“ würde ich schon gerne einmal machen!

 

(So schließt sich der Bach-Kreis am Billardtisch doch noch mit Mozart – und vielleicht findet sich ein Produktions-Team, das auch an einem Strang zieht und diese Idee verwirklicht)

 

Herzlichen Dank für das Gespräch – und alle guten Wünsche für die weitere Karriere!

Ich danke Ihnen!

 

 

 

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