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VALENCIA/ Palau de les Arts Reina Sofia: MACBETH – ausverkauft!

George Gagnidze und Anna Pirozzi sorgen für große Oper im ausverkauften Palau von Valencia

09.04.2022 | Oper international

VALENCIA „MACBETH“ – Palau de les Arts Reina Sofia; 8.4.2022

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Außenfront des Palau de les Arts Reina Sofia. Foto: Ingobert Waltenberger

 

George Gagnidze und Anna Pirozzi sorgen für große Oper im ausverkauften Palau von Valencia

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George Gagnidze. @ artsfotografia les arts

 

Jede Opernaufführung in Valencia beginnt mit einer Lektion in Sachen erfindungsreicher und fantasievoller Architektur. Wie ein wendiger, weiß schimmernder Korallenfisch im Moby Dick Format ruht es da, das Wunderwerk des Architekten Santiago Calatrava. In das stillgelegte Flussbett des Turia hat er die Stadt der Künste und der Wissenschaften (Ciutat de les Arts i les Ciències) gebaut. Wie eine Fata Morgana erhebt sich daraus das eigentliche Opernhaus, der Palau de les Arts Reina Sofia, über dem flachen Wasser. Gleich dahinter reckt der 125 Meter hohe Pfeiler der Schrägseilbrücke seine weißen Seile wie eine Riesen-Himmelsharfe nach oben. In des musischen Fischleins Mitte scheint ein Ozeandampfer mit Bullaugen und Palmen eingebaut zu sein. Über allem wölbt sich eine mächtige Flosse, die nur an einem Ende im Boden fixiert ist und sich über die gesamte Opernmeeresfantasmagorie stülpt. Wer die selten einfallslosen eckig kantigen Häuserungetüme in Berlin kennt, wird sich wundern, wie schön runde Formen auch aus Metall, Keramik, Glas und Holz sein können. Rundherum ein Planetarium, ein Aquarium, ein Laserium, ein 3D Kino, ein Wissenschaftsmuseum,  Skulpturen, Radwege, Grün. 

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Anna Pirozzi, George Gagnidze. @ artsfotografia les arts

 

Vom 31. März bis zum 10. April steht eine Serie von Verdis „Macbeth“ auf dem Spielplan. Ich habe die vorletzte Aufführung am 8.4. besucht. Da stand der deutsch-georgische Bariton George Gagnidze als Titelheld neben der Lady von Anna Pirozzi auf der Bühne, die ersten beiden Aufführungen wurden von Luca Salsi bestritten. In diesem so ungestüm originellen Frühwerk Verdis geht es um Destruktion und Mord durch krankhafte Herrschsucht hervorgeholt, das Verdorren der Seele im ehrgeizigen Machtrausch, das Verglühen des inneren Hauses in Wahngebilden des Realitätsverlustes und dadurch ausgelöster politischer Willkür. Verdi hat aus dieser Shakespeare’schen Versuchsanordnung eine Oper geschaffen, in der große Tableaus neben intimen Szenen stehen, in denen Protagonisten mit ihrem Spiegelbild als einziger Instanz mit sich selbst in den Ringkampf steigen.  Dementsprechend müssen die wichtigsten Hauptrolleninterpreten in der Lage sein, in großen Ensembles mächtig über Chöre hinweg aufzutrumpfen, belkanteske Verzierungen zu singen und in den kammermusikalischen Momenten ganz in sich selbst versunken expressive Pianissimi anzustimmen, zu hauchen, zu flüstern. 

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George Gagnidze, Anna Pirozzi. @ artsfotografia les arts

 

Das haben sowohl die Vollblutitalienerin Anna Pirozzi als auch George Gagnidze drauf. Pirozzi wirft sich mit ihrem vollmundigen dramatischen Koloratursopran wie einst Elena Suliotis mit gestochen scharfen Koloraturen und alles überstrahlende Höhen in die tödliche Intrigengeschichte. Bei den Akuti scheint ihr gerade geführter Sopran vom Volumen her noch einmal zu explodieren. Gagnidze hat nach landläufigen Begriffen wohl keine schön sämige Stimme, in der Mittellage sind seinem eher metallisch hellen Bariton auch von der Projektion her Grenzen gesetzt. Dennoch gestaltet hier ein Könner den schwachen, von Gewissensbissen und Halluzinationen heimgesuchten, zum König aufgestiegenen General mit feinster Detailzeichnung. Was allerdings beiden abgeht, ist die zwingende schauspielerische Leistung, das überzeugende Agieren zur Musik, das Geschmeidige im Bösen. Da ist wohl eher ein Herr Kammersänger und eine Diva mit all dem „Hand rauf, Hand runter“ stereotypen Gestenrepertoire am Werk. Man kann sich zudem des Eindrucks nicht erwehren, dass die Regie eher auf Gigi-Effekte denn eine detailgenau psychologisierende Personenführung aus war. Aber davon später.  Der kroatische Bass Marko Mimica als Banco ist pures Labsal für die Ohren, ebenso überzeugt Giovanni Sala als Macduff in der gerade jetzt besonders aktuellen und voller Emphase vorgetragenen Arie im vierten Akt. Aber auch der lyrische Tenor von Jorge Franco als Malcolm und insbesondere Rosa Dávila als Dama di Lady Macbeth geben überzeugende Kostproben einer großen Begabung ab.

 

Den größten Applaus im ausverkauften Haus konnte am Schluss das Orchester unter der musikalischen Leitung von Michele Mariotti einheimsen. Zu Recht. Überhaupt spielen Chor und Orchester in einer Liga, die es durchaus mit der Deutschen Oper Berlin aufnehmen kann. Besonders haben mich die Holzbläser (z.B. die Oboe und die Klarinette im Vorspiel zu Una macchia e qui tutt’ora) und das fantastische Blech beeindruckt. Mariotti dirigiert den Klangkörper mit Kraft, Schwung, kantigen Rhythmen und bisweilen einem Hang zu übermäßigen Temporückungen. Der Chor, durch schwarze Masken beeinträchtigt, singt dennoch samtig rund und ausdrucksstark. Lauter junge oder jung gebliebene Stimmen ohne Vibrato bilden dieses erstklassige homogene Vokalensemble. 

 

Die Produktion, sie hatte ihre Premiere 2013 an der Königlich Dänischen Oper in Kopenhagen, stammt vom australischen Film- und Theaterregisseur Benedict Andrews. Dem leading team gehörten damals wie heute noch der Lichtdesigner Jon Clark, der Bühnenbildner Ashley Martin Davies und die Kostümbildnerin Victoria Behr an. Andrews lebt zwar in Island, die optische Signatur der stilistisch so uneinheitlichen Inszenierung ist aber eher in Hollywood verortet. So viel Blut auf den weißen Hemden und all die Masken und Plüschtierchen auf der Bühne haben schon was arg Parodistisches. Das ist eher Musicalstaffage als große Oper. Im zweiten Akt wird ein riesiger Festtagstisch, höchst kitschig arrangiert, in den nur aus kahlen Holzwänden bestehenden Bühnenraum geschoben. Im dritten Akt finden wir eine Theater im Theater Szenerie vor. Das macht Sinn, weil Macbeth so von den Prophezeiungen der Hexen als passiver Zuschauer im Fauteuil erfährt. Warum allerdings Choristinnen (=Hexen) wie Tänzerinnen des Pariser Crazy Horse mit Pfauenfederbüscheln auf dem Hof ausstaffiert sind und eine Tänzerin sich lasziv peinlich an der Stange übt, andauern Kinder auf der Bühne herumhuschen, ist zwar dramaturgisch erklärbar, aber stellen am Ende Beispiele jener regietheatralischen Gags bzw. Rätsel, dar die zu lösen mir die Mühe nicht wert scheint. 

 

Die Stärke des Abend liegt eindeutig auf der musikalische Seite. Eine trefflichere Besetzung wird man auch anderswo kaum finden. Die Bühne kommt mit wenigen Requisiten aus, Andrews arbeitet vor allem mit effektvollen wie drastischen Lichteffekten, aber halt sehr wenig raffiniert. Die Kostüme bestehen – wie so oft im Regietheater – bei den Herren aus den obligaten Businessanzügen und bei den Damen aus eleganten Damenkleidern im Hier und Jetzt. Wie langweilig und abgedroschen.

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Schlussapplaus: Foto: Dr. Ingobert Waltenberger

 Am Schluss kurzer aber heftiger Beifall. Das Haus war brechend voll, Auslastungsprobleme scheint es in Valencia kaum zu geben. Vielleicht ist dieser Umstand auch der Aktion geschuldet, dass die unter 35-jährigen nur die Hälfte zahlen. 

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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