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USEDOM – Liebe auf den ersten Blick

15.05.2013 | KRITIKEN, REISE und KULTUR

USEDOM– Liebe auf den ersten Blick, 14.04.2013
Von Ursula Wiegand

Im Sommer 1990 war’s, gleich nach der Wende. Erstmals konnten wir West-Berliner auf   Usedom Urlaub machen. Unser Zimmer in Ahlbeck – na ja. Doch die Sicht über Dünen und weißen Strand auf die blau schimmernde Ostsee – das war Liebe auf den ersten Blick.


Bansin, Bäderarchitektur. Foto: Ursula Wiegand

Seither hat sich Deutschlands Sonneninsel herausgeputzt und brilliert mit ihrer fein restaurierten Bäderarchitektur. „Die Usedomer wussten gar nicht, welch einmaligen Schatz sie besaßen,“ erinnert sich Dietmar Gutsche, nun Tourismusdirektor der „3 Kaiserbäder“ Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin.
Wie auf einer Perlenkette reihen sich die hundertjährigen Villen, jede ein Unikat. Neoklassisches mit Säulen, Wandpfeilern (Pilastern), Friesen und Ornamentik steht neben pompösem Gründerstil, nordisch inspirierten Holzbauten und Schwarzwald-Häusern. In diesen Domizilen verbrachten Wohlhabende, Dienstpersonal inbegriffen, die Sommerfrische. Selbst Heringsdorfs heutige Jugendherberge ist ein Juwel.


Heringsdorf, Villa Staudt. Foto: Ursula Wiegand

Ahlbeck wurde zur Badewanne der Berliner. Doch nur gut Betuchte und Hochgestellte logierten im (auch jetzt wieder) edlen Ahlbecker Hof, so Kaiser Franz Joseph. Ansonsten war Heringsdorf der Ort für die Reichen und Schönen. Dort residierten der Adel, Bankbosse und arrivierte Künstler.


Heringsdorf, Villa Oechsler mit Mosaik. Foto: Ursula Wiegand

Kaiser Wilhelm II besuchte nach seinen Nordlandreisen  stets Frau Konsul Staudt. Noch immer trägt die Villa diesen Namen. Nahebei die bestens restaurierte Villa Oechsler, umfunktioniert als Escada-Modeboutique. 
Bansin, erst 1897 gegründet, war eher bourgeois, besitzt aber eine vierspurige Promenade und hat die meisten Bauten mit unverstelltem Seeblick. Allenthalben beherbergen die früheren Villen nun Sterne-Hotels, Ferienwohnungen und Residenzen.


Ahlbeck, Strand und historische Seebrücke. Foto: Ursula Wiegand

Auf den Seebrücken, wo auch die Adler-Schiffe anlegen, lassen wir uns den Wind um die Nase wehen. Den Schönheitspreis gewinnt die von Ahlbeck mit ihren hübschen Türmchen. Ein über 100 Jahre altes Schmuckstück, durch Loriot-Filme weithin bekannt.


Heringsdorf, sommerliches Strandleben, hinten der Seesteg. Foto: Ursula Wiegand

Models und jede Menge Volk spazieren nicht nur während des „Baltic-Fashion-Award“ über Heringsdorfs Seesteg, ein Nach-Wende-Bauwerk, mit 508 Metern die längste Seebrücke Kontinentaleuropas. Funktionaler gibt sich Bansins Seesteg, punktet jedoch mit dem besten Villen-Blick.


Bansin, Blick von der Seebrücke. Foto: Ursula Wiegand

Die „Bildermacher“ in der Gruppe stürmen gleich los, und selbst notorische Langschläfer eilen schon beim Sonnenaufgang zum Strand. Auch für die Neulinge wird Usedom offenbar zur Liebe auf den ersten Blick.
Die angenehm frische Brise macht munter fürs Fitness- und Entspannungstraining. Beim morgendlichen Qi Gong und anderen „Aktiv-Accessoires“ finden sich (fast) alle ein gemäß dem Motto: „natürlich gesund“.
Gleich nach dem Frühstück geht’s mit Reiseleiter Martin Twietmeyer rein in die Wälder zum Wandern und Schauen, Übungen inbegriffen.


Usedom, Krafttraining im Wald. Foto: Ursula Wiegand

Hier der verwunschene Mümmelkensee, dort eine ehemalige Wolfsschlucht. Schade, einen Max (wie im Freischütz) haben wir nicht dabei, statt seiner singen die Vögel.


Benz, Holländerwindmühle. Foto: Ursula Wiegand

Gut so, denn bei der Fahrradtour würde unsere Puste dafür nicht immer reichen. Die Eiszeit hat die Insel modelliert, und so geht es bei der Tour durch die „Usedomer Schweiz“ zur Holländermühle von Benz spürbar auf und ab.


Benz, St. Petri-Kirche, 1229 urkundlich erwähnt. Foto: Ursula Wiegand

Noch bedeutsamer ist die 1229 erstmals urkundlich erwähnte die St. Petri-Kirche von Benz. Ihr Feldsteinsockel stammt aus jener Zeit. Drinnen fasziniert die fabelhafte Sternendecke. Als bildschöner Himmel wölbt sie sich über der Gemeinde, und jeder Stern ist anders.


Benz, Sternendecke der St. Petri-Kirche. Foto: Ursula Wiegand.

Wir zücken die Kameras, der deutsch-amerikanische Maler Lyonel Feininger griff, vom Insellicht begeistert, zu Stift und Pinsel. 1955 in New York, kurz vor seinem Tod, entstand noch ein Aquarell dieser Kirche, ein Sehnsuchtsbild. Auch Feininger hatte sich gleich beim ersten Besuch (1908) in Usedom verliebt und kam mehrmals wieder.
Auf seinem Rennrad spurtete er auf der Jagd nach Motiven über die Insel. Mehr als 1.350 Usedomer Naturskizzen – Vorlagen für spätere Bilder – hat man entdeckt und die Stellen gefunden, wo er gestanden hat. Seit 2008 verbindet der 56 km lange Feininger Radweg 40 solcher Stationen, führt auch durch den polnischen Teil Usedoms bis nach Swinemünde (Świnoujście).
So schnell wie Lyonel kommen wir mit den Leihrädern von „UsedomRad“ nicht voran. Muss auch nicht sein. Immerhin haben sie Gangschaltung und Rücktrittbremse. Ein inselweites Netzwerk mit rd. 100 Verleihstationen macht die Gäste umweltfreundlich mobil. Bequeme nehmen ein E-Bike.


Lieper Winkel, traditionelles Haus. Foto: Ursula Wiegand

Auch die älteste Insel-Kirche, St. Johannes in Liepe (erwähnt 1216), hat Feininger gemalt. Sie ist das Herzstück vom Lieper Winkel, der wie ein Lindenblatt (lipa = Linde) in das von der Ostsee getrennte Achterwasser ragt. Usedoms geheimes Paradies.
In diesen Dörfern erfreuen reetgedeckte Häuser die Augen. Ein stiller, rd. zweistündiger Wanderweg verbindet dort Grissow und Warthe. Aus dem breiten Schilfgürtel am Ufer flattert ein Reiher auf, am Himmel kreisen Seeadler. In klitzekleinen Häfen träumen bunte Boote, und im „Gasthaus zum alten Kahn“ in Warthe esse ich den besten Matjes seit Jahren.

Für längere Strecken empfiehlt sich die moderne Usedomer Bäderbahn, die die Küste abklappert. Ein Strang fährt nach Peenemünde, zur Wiege der Raumfahrt. Wir steigen schon in Zempin aus, um Otto Niemeyer-Holstein (1896-1984), dem bedeutendsten Maler der Ostseeregion, Referenz zu erweisen.


Otto Niemeyer-Holsteins Haus in Lüttenort. Foto: Ursula Wiegand

Bei Koserow, an Usedoms schmalster Stelle, schuf er ab 1933 seine Bleibe Lüttenort. Ein mühsam transportierter Packwagen der Berliner Stadtbahn wurde der Grundstock des Hauses. Voll gestopft mit Bildern zeigt sich sein Atelier namens Tabu. Bildnisse von Frau, Sohn, Freunden und ein schemenhaftes Selbstporträt als alter Mann sind zu sehen. Das Gemälde „Dorf am Schmollensee“ von 1955 fällt in diesem Wirrwarr echt aus dem Rahmen. 
Rund 4.500 Werke hat er gemalt, zunächst nur wenige verkaufen können. Weder den Nazis noch der DDR waren (anfangs) seine Bilder genehm. Jahrelang haben er und seine Frau Anneliese ärmlich gelebt, „doch stets ein offenes Haus geführt,“ betont Museumsführerin Bettina John.


Atelier Otto Niemeyer-Holstein, Besucherin vor Schneelandschaft. Foto: Ursula Wiegand

Überregionale Anerkennung fanden seine Usedomer Schneelandschaften, ausgestellt im neuen Atelier, ein Anbau von 2001. Selbst gestaltet hat Otto Niemeyer-Holstein den Garten und ihn mit Skulpturen seiner Freunde geschmückt. Ein reizvolles Refugium auch für heutige  Besucher.
Doch die Kontraste sind nahe. Gemeint ist Usedoms Steilküste bei Koserow mit dem 56 m hohen Steckelsberg und wunderbar weiten Ostsee-Blicken.


Strandwanderer. Foto: Ursula Wiegand

Zum Baden entschließt sich noch niemand, auch nicht in den 3 Käserbädern, in denen es im Hochsommer nur so wimmelt.  Nach dem kalten Winter hat das Wasser momentan nur 10-12 Grad, doch die Wanderfüße erfrischt es prächtig. Denn die haben dort viel zu tun. Bei Strandspaziergängen und auf der bis Swinemünde verlängerten, 12,5 km langen Promenade mit Europarekord.
Mollig warm sitzt es sich jedoch in den Strandkörben, gefertigt im 1925 gegründeten Korbwerk Heringsdorf, Deutschlands älteste noch bestehende Strandkorbmanufaktur.


Korbflechter Udo Marron aus Heringsdorf. Foto: Ursula Wiegand

Jährlich 4.000 Strandkörbe fertigen dort Tischler, Polsterer und Korbflechter per Hand Nord- und Ostseemodelle in bester Qualität und in diversen Formen und Farben. Auch der superbreite Strandkorb für die 8 Regierungschefs beim G8-Gipfel in Heiligendamm (2007) stammte aus Heringsdorf. 
Einmal Strandkorb, immer Strandkorb. 70 % der Körbe gehen derzeit an Privatkunden, als Einsitzer, Zweisitzer und in XXL-Breite, zum Sitzen und Liegen, auch mit Safe, Musikanlage und Beleuchtung.


Korbwerk Heringsdorf. Puppenstrandkorb. Foto: Ursula Wiegand

Kinder- und Hundestrandkörbe gibt’s ebenfalls, und im Puppen-Strandkorb darf auch der Teddy Platz nehmen. Jeder Wunsch wird, soweit möglich, erfüllt. Vielleicht sollte ich mir ein PC-Modell bestellen, mit Ostseerauschen und Usedom-Sonne.

Infos zu Usedom und Buchungen unter www.usedom.de. Die Insel besitzt insgesamt 42 km Sandstrand, 150 km Radwege und 400 km Wanderwege. Unterkünfte in allen Kategorien.
Kulturelles: Atelier Otto Niemeyer-Holstein, geöffnet tägl. 10-18 Uhr. www.atelier-otto-niemeyer-holstein.de. – Vineta-Festspiele, die untergegangene Stadt Vineta thematisierend, vom 20.06.-31.08. in Zinnowitz. – Usedomer Musik Festival : 21.09.-12.10. Zum diesjährigen 20. Geburtstag des hochkarätigen Festivals steht Estland im Focus. Sonderkonzert unter Kurt Masur am 13.09. im Kraftwerk des Museums Peenemünde. www.usedomer-musikfestival.de

Wikinger Reisen (www.wikinger.de) bietet bis in den Herbst geführte Wander- und Radreisen (teils bis nach Polen) sowie die Variante „natürlich gesund“. Unterbringung im 4-Sterne Wellness-Hotel „Villen im Park“ in Bansin. Pools drinnen und draußen (beheizt). Gute Küche. Siehe unter www.vip-usedom.de.
Korbwerk Heringsdorf, Besucher willkommen: www.korbwerk.de.

Die Räder von UsedomRad sind rund um die Uhr buchbar unter (0049) 030-555 76911. Rückgabe an jeder beliebigen Station und Gratis-Mitnahme in der Usedomer Bäderbahn. Preis 9 Euro/Tag, E-Bike (Pedelec SWISS FLYER) 20 Euro/Tag. Rabatte bei mehrtägigen Nutzungen.

Usedom ist auch per Flug erreichbar: Flüge hin und rück ab Dortmund und Köln/ Bonn kosten 329 Euro, ab Düsseldorf, Frankfurt und Stuttgart 369 Euro, ab Wien 399 Euro, ab Zürich und Bern 453 bzw. 485 Euro. Siehe unter www.flug.usedom.de.

(Ursula Wiegand)

 

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