Foto: Wagner
UDO SAMEL
Alles hat seine Zeit
Es mutet seltsam an, einen berühmten Schauspieler wie Udo Samel im Zusammenhang mit einer Opernpremiere zu interviewen. Tatsächlich hat er in „Die Weiden“ von Johannes Maria Staud / Durs Grünbein eine wichtige Sprechrolle – die allerdings sehr musikalisch zu behandeln ist.
Das Gespräch führte Renate Wagner
Herr Samel, Ihre Figur in „Die Weiden“ heißt Krachmeyer und ist Komponist, wird aber auch in der offiziellen Inhaltsangabe von „Die Weiden“ als „dämonisch-rückwärtsgewandt“ beschrieben. Was hat man sich darunter vorzustellen?
Sicherlich hat der Krachmeyer mit Krach und Lärm zu tun, und das Orchester in dieser Oper ist oft sehr laut, obwohl es auch ganz starke stille Momente gibt. Möglicherweise hat sich Johannes Maria Staud da selbstironisch eingebracht. Tatsächlich aber zählt Krachmeyer – neben dem Demagogen – zu jenen Figuren des Werks, die sich bei ihrer Umwelt Gehör verschaffen, ohne dass sie etwas Lebensbewegendes oder Neues zu sagen hätten. Sie sprechen vom „armen Abendland“, vom „Erhabenden“, von „Klängen der Heimat“, von der „berechtigte Sorge um den eigenen Stamm“. Und wie das oft bei Verführern so ist, drückt er sich nicht wirklich klar aus. Aber er hat diese „Ich spreche zu Euch als Freund“-Formeln im Mund. Diese Figur, auch wenn sie noch so nichtig ist, muss Zweifel säen – unter den Menschen auf der Bühne und bei den Menschen im Zuschauerraum. Da kann man schon an den großen Verführern Maß nehmen.
Ich nehme an, Sie haben eine diesbezüglich Menge gelernt, als Sie die Goebbels-Tagebücher für eine CD aufgenommen haben? Wie ehrlich sind diese Demagogen? Glauben sie selbst, was sie sagen?
Wenn jemand so Entmenschlichtes äußert, kann das, was er sagt und was er denkt, nicht wirklich übereinstimmen. Aber das ist doch ein allgemeines Problem – wann steckt schon hinter dem, was alles gesagt wird (gar in der Öffentlichkeit, in der Politik, vor den Fernsehkameras) wirklich ein sprechendes Herz, die volle Aufrichtigkeit?
Man muss musikalisch sein, um eine Sprechrolle in einer Oper zu verkörpern?
Ja, schließlich spricht man den Text zur Musik oder in ausgewählte Pausen, das ist sehr genau notiert. Da ist Musikalität des Interpreten von Vorteil, und Musik hat in meinem Leben immer eine große Rolle gespielt.
Vermutlich hat man das in der Oper gewusst, als man Ihnen diese Figur anbot?
Ich glaube, man hat nicht einmal gewusst, dass ich nicht mehr im Burgtheater engagiert bin… Ich dachte eigentlich, meine Wiener Zeit sei zu Ende, darum ist es auch für mich eine Überraschung, wieder hier zu sein. Man ließ mich das Textbuch lesen, die Regisseurin hat mir die Rolle erläutert, es ging sich mit den Terminen aus – obwohl die nächste Staffel von „Babylon Berlin“ bald gedreht wird – , also bin ich wieder hier. Schließlich hat man mich auch damit gelockt, dass Krachmeyer am ehesten die Figur ist, die dem legendären Kurtz aus Joseph Conrads „Im Herz der Finsternis“ entspricht, das ja eine von mehreren Inspirationen für die „Weiden“ darstellt.
Man verbindet Ihren Namen auf jeden Fall mit Musik, genauer mit Schubert, denn „Mit meinen heißen Tränen“ hat ja durch Sie und den Regisseur Fritz Lehner vor nunmehr auch schon 30 Jahren, aber unvergesslich, ein neues, ganz radikales Schubert-Bild vermittelt.
Das war eine sehr schöne Arbeit für mich, aber die neue Sicht ist vor allem Fritz Lehner zu danken, der sehr genau recherchiert hat, die ungemütlichen Seiten des Biedermeier hervorholte, in jeder Hinsicht, von der Politik bis zur Hygiene – Schubert ist ja nicht nur an Syphilis, sondern auch an Typhus gestorben, weil das Wiener Wasser so verseucht war. Mit dem „Schwammerl“ des lieblichen „Dreimäderlhauses“ hatte das alles nichts zu tun. Na ja, viele Österreicher waren damals nicht sehr begeistert, als man ihnen die Klischees weggenommen hat – und dass „der Deutsche Samel“ den Schubert gespielt hat.
Hatte Ihre Erfahrung mit Schubert als Person auch damit zu tun, dass Sie zwischen 2003 und 2004 drei seiner Liederzyklen – „Die schöne Müllerin“, „Winterreise“ und „Schwanengesang“ – für die Frankfurter Oper szenisch gestaltet haben?
Das war einfach etwas Positives, das herauskommen kann, wenn etwas anderes nicht klappt. Ich habe in diesen Jahren mehrfach Opern inszeniert und besaß für Frankfurt einen festen Vertrag für „Carmen“. Dann kam es zu einem Intendantenwechsel, und der neue Chef, Bernd Loebe, meinte zu mir, ich möge doch bitte verstehen, dass er nicht das Programm seines Vorgängers übernehmen wollte. Er war es, der mir diese Schubert-Abende anbot, und in der Verschränkung von Theater und Oper und mit den tollen Besetzungen, die ich bekam, war das ein sehr schönes, auch zusammenhängendes Projekt.
Ich gestehe ehrlich, dass Ihre Arbeiten als Opernregisseur irgendwie an mir vorbei gegangen sind – hätte ich nicht gegoogelt, wüsste ich nicht, dass Sie 1996 in Weimar den „Wozzeck“ inszeniert haben und dann in Bremen, Dresden und Frankfurt sowie Sevilla die unterschiedlichsten Werke – von „Aida“ bis Zemlinsky. Aber seit 2007 gab es diesbezüglich nichts Neues. Warum eigentlich?
Es gibt einen Spruch in dem jüdischen Buch Kohelet, der besagt „Alles hat seine Zeit“. Bei mir scheint es da einen Rhythmus von zehn bis 15 Jahren zu geben, die ich an etwas festhalte, um dann weiter zu ziehen. Das heißt, an der Berliner Schaubühne waren es fast 20 Jahre. Dann die Opernjahre, die sich ein wenig mit den elf Jahren am Burgtheater überschnitten haben. Wobei ich in meinen Opernarbeiten vielleicht zu anspruchsvoll war, dem Publikum zu viel zugemutet habe, Oper nicht nur als Eskapismus verstanden haben will – darum fühle ich mich auch bei den „Weiden“ so wohl, weil das auch ein Werk ist, das das Publikum herausfordert. Und jetzt bin ich freiberuflich tätig und lebe, nach meinen Jahren in Wien, wieder in Berlin. Und es gibt schöne Angebote bei Film und Fernsehen.
Sie haben – irgendwie als Gegenpol zu der Figur, die Sie jetzt in den „Weiden“ spielen – zwei wunderbare „jüdische“ Filme gedreht, 2004 „Alles auf Zucker“ und eben erst „Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse“, beide Male hinreißend einen Rabbiner darstellend. Und weil ich sicher zu Recht annehme, dass im Vergleich zu den paar Tausend Besuchern, die „Die Weiden“ in der Staatsoper sehen werden, die Serie „Babylon Berlin“ ein unvergleichlich größeres Publikum hat, ist die Frage berechtigt: Wie geht es weiter?
Derzeit wird die dritte Staffel gedreht, ab 2020 werden die vierte und fünfte Staffel entstehen, die bis zur Olympiade 1936 reichen. Regisseur Tom Tykwer hat mir versichert, dass meine Figur – der Ernst Gennat von der Berliner Kriminalpolizei, der übrigens historisch ist – bis zum Ende dabei ist.
So sind Sie derzeit in Ihrer „Zeit“ der großen Film- und Fernsehaufgaben. Wie schön, dass Sie auch für einen Ausflug an die Oper Zeit finden und wir Sie solcherart in Wien wieder sehen. Besten Dank für das Gespräch.