TTT – Wertewandel + Theaterreform: Schimäre Publikum – Liebhaber und Adabeis
Haute-Volée, Renommeé, Canapé, – et un peu André Chénier, L’Euridice!
Wer geht in die Oper und warum? Zu WER gibt es haufenweise deskriptive Statistik-Texte mit äußeren Kennzeichen (Einkommen, Bildung, Beruf, etc.), zu WARUM, Motivation/Triebfedern weniger. Es sind nicht immer Liebhaber!
Für welches Publikum werden, wurden, sollten Aufführungen entstehen – mglw. nur für Apologeten der Anbieter? Fallen Konsumenten
Sehnsüchte ins Gewicht?
Trugbild = Schimäre: „ Je differenzierter “ – Hermann Hesse https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Hesse
„glauben wir dennoch … hunderttausend Stimmen der Völker nach demselben Ziele streben … wunderlich erhabene und überwirkliche Chimäre!“
Rezitation: Roger Willemsen R.I.P
https://www.youtube.com/watch?v=Uh-weE6muBI 2,2 Min.
Je differenzierter, je feinfühliger und beziehungsreicher
wir zu lesen verstehen, desto mehr sehen wir jeden
Gedanken und jede Dichtung in ihrer Einmaligkeit,
in ihrer Individualität und engen Bedingtheit,
und sehen, daß alle Schönheit,
aller Reiz gerade auf dieser Individualität
und Einmaligkeit beruht
und zugleich glauben wir dennoch,
immer deutlicher zu sehen,
wie alle diese hunderttausend Stimmen
der Völker nach demselben Ziele streben,
unter anderem Namen
dieselben Götter anrufen,
dieselben Wünsche träumen,
dieselben Leiden leiden.
Aus dem tausendfältigen Gespinste unzähliger Sprachen
und Bücher aus mehreren Jahrtausenden blickt in
erleuchteten Augenblicken den Leser eine wunderlich
erhabene und überwirkliche Chimäre an:
das Angesicht des Menschen,
aus tausend widersprechenden Zügen
zur Einheit gezaubert.
Adabeis – „ Auchdabeiseinwoller“ sind in der Schickeria (jidd. schickern, saufen), Haute-Volée oft mediengeile Wichtigtuer, reflektieren Äußerlichkeiten mit Kleidung, Kaviar, Champagner und Exaltiertem (Bussi-Bussi-Geschöpfe).
Monaco Franze – Opernkritik 4,18 Min.
https://www.facebook.com/br.capriccio/videos/monaco-franze-opernkritik/1465141470194892/
Da haben wir die Adabeis! Degutanter Opernbesuch als gesellschaftlicher Event von Kunstbanausen, Epikureern in Prunk-, Protz-, Pomp-, Bling Bling-Palästen (s. Teil 1 der Reihe 10/22) dient Status und Aufblende. Nach meiner Beobachtung sind das Leute, die den Auftritt außerhalb der Vorstellung mit Delikatessen belegter, garnierter, getoasteter Weißbrotschnittchen weitaus mehr schätzen, Kunst, Kultur zum Alibi verkommen lassen.
Die Opernhäuser ...sind steingewordenes Repräsentationsbedürfnis des Bürgertums …. Als Kunstform ist die Oper und damit ihr Publikum seit Längerem im Fadenkreuz der akademischen Soziologie. Dient der Opernbesuch der sozialen Distinktion? (Abgrenzung von Angehörigen bestimmter sozialer Gruppierungen) https://dasorchester.de/artikel/Oper-publikum-und-gesellschaft/
Zu Serge Dorny – Opern-Promi-Zirkus: In Dornys Staatsopern-Tempel (München) wähnt man sich bisweilen wie in einem kulturelitären Umerziehungslager. Wie damit ein technikaffines, jüngeres Publikum generiert und gleichzeitig die Münchner Opern-Schickeria bedient werden soll, das bleibt vorerst offen. (NMZ 2022)
Mehr noch als ein Besuch im Theater, eines Konzerts, einer Vernissage ist ein Opernbesuch ein gesellschaftliches Ereignis, ein Schaulaufen, eine Inszenierung. Und Inszenierungen muss man sich anschauen,… Deko-Kulinarik und Glamour-Ästhetik… muss man keineswegs goutieren, aber: Dem Sinn jedwede Sinnlichkeit auszutreiben, ist auch nicht der Weisheit letzter Schluss. (SZ 2011)
Der Opernregisseur Peter Konwitschny ist mit dem Publikum unzufrieden. Das Publikum, das sich inhaltlich mit den Stücken auseinandersetze, sterbe aus. «Jetzt sitzen da diese Eventjünger, VIP-Personen ohne richtiges Hintergrundwissen», sagte Konwitschny« Je weniger Perspektive die Menschen haben, desto mehr Kulinarik wird produziert. Schöne Bühne, schöne Kostüme – doch wie wär’s mal mit einer schönen Inhaltlichkeit?» Das Theater gehe Richtung Event und Ablenkung. NMZ 2015
Subjektive Beobachtung: Wertungen dieses Klientel sind selten kritisch kompetente Würdigung. Wiederholt beobachtete ich in München immergleiche größere Gruppen (schien mir gehobenes Beamtenklientel), die sich in der Pause zu einheitlicher Lautmalerei (Buh, Bravo) verabredeten, nach renommeé-geiler hoffähiger Degustatión der Dallmayr Genussgala im hauseigenen Edelrestaurant.
Bewertungen von Inszenierungsqualitäten profitieren bei denen vom bisherigen Presse-Echo/- Profil der Regisseure. So dürfte sich auch der brutale Publikumsüberfall auf den jungen Valentin Schwarz bei seiner Anfangs-Arbeit am Ring in Bayreuth 2022 erklären – der war jung und unbeschrieben, ansonsten bestehen viele Parallelen zu andern Inszenierungen.
Neue Entwicklung war kürzlich n. m. E. in einer Münchner Staatsopern Premiere mit Hundertschaften aus Sponsorenligen. Bei einer Premiere waren somit alle Plätze besetzt, in der Pause wurden große Räume für Normalos gesperrt und beim Applaus wurde einheitlich … wissende Liebhaber oder Adabeis?
Ob das beabsichtige Kunst- und Kulturpolitik oder gesellschaftliche Verwerfung ist, mag die Zukunft zeigen. Qualität wird verwässert.
Beispiele weiteren Publikums nach Beweggründen, ohne statistische Bewertungen
Musikaffines Publikum, wegen Musik nicht Renommee
Liebhaber, Personen, die von Musiktheater-Liebe durchdrungen sind
Sponsoren und ggf. deren Mitarbeiter – Hundertschaften
Touristen, oft auch architektonisch interessiert
Intellektuelle Inszenierungs – Liebhaber
Reputations-Gierige
Angeber bzw. Renommee – Gierige
Gewohnheitsmenschen (i.d. R. Abonnenten)
Wichtigtuer
Apologeten zur kulturellen Teilhabe
Frei – oder verbilligte Karten – Ergatterer
sogen. Steuerkarten Besitzer (Theater-Mitarbeiter gegen kleine Gebühr)
u.a. m.
Interessante Extrakte:
Kultur für Angeber: Hegel liebt Tokio Hotel – TTT empfiehlt, amüsant und wahr!
Pause. … Endlich im Foyer, ein Glas Sekt, es kann losgehen. Zu banal, jetzt lang und breit über die Inszenierung zu sprechen. Ein saloppes „der Regisseur hat einen interessanten Weg eingeschlagen“ reicht vorerst.
https://www.zeit.de/online/2008/38/kultur-fuer-angeber/komplettansicht
Das launische Publikum
Die Vorstellung von der einen, immer stärker homogenisierten Weltkultur ist eine Schimäre. In Wirklichkeit hat sich ein System von komplizierten, hierarchischen Kaskaden herausgebildet, in dem zwar kulturelle Einflüsse … machtvoll durchgesetzt werden. Doch gleichzeitig vermischen sich diese kulturellen Kanäle und verändern sich mit lokalen Einflüssen. Die Landschaft wird widersprüchlich und unübersichtlich. Zum anderen wächst das Gewicht, das clevere Mittler beanspruchen. Agenten und wenige wichtige Multiplikatoren und Meinungsmacher konnten sich in kulturelle wie wirtschaftliche Schlüsselpositionen bringen, an denen viel stärker über Erfolge und Abstellgeleise entschieden (und daran verdient) wird, als in den Zentralen der Konzerne.
Medienqualität und die Kompetenz des Publikums. Medienethische Anmerkungen zu einer Chimäre
… Ausdruck deskriptiv verstanden werden muss und als medienethische Kategorie ungeeignet ist. Normative Indikatoren für eine positiv bewertete Medienqualität müssen ethisch begründet werden. Dies gelingt aber nicht über die Eigenschaft der Medienprodukte, sondern über die Medienkompetenz der Nutzerinnen und Nutzer.
Qualität als Moralverallgemeinerung meint die Übernahme von Qualitätskriterien aus einer vorfindlichen normativen Praxis; das heißt, Professionalisierungserwartungen, die in einem Medienfeld vorherrschen, werden für die Beurteilung von Medienqualität herangezogen. Das können zum Beispiel Selbstverpfichtungen sein wie die Kodizes der verschiedenen Medienprofessionen . Das Maß dieser Regulierungen ist dabei meist der vermutete öffentliche, viel öfter aber nur der erreichte interne Konsens…. Die Forderung nach Medienqualität bleibt so lange hohl, solange man keine Kriterien benennen kann, um diese Qualitätsforderung zu spezifzieren.
„Das Opernpublikum läuft davon“
… attackiert … mehrere Gegner: das bildungsbürgerliche Publikum, die Opernhäuser, die Politik und die Schulen, an denen wir „fast musikalischen Analphabetismus kreieren“. „Zum Ritual erstarrt, verflacht und elitär: Die klassische Musik steckt in einer tiefen Krise. War sie früher ein subversiver Einspruch gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse, dominieren heute cleane Inszenierungen und grenzenlose Kommerzialisierung.“
Tim Theo Tinn