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TTT – Wertewandel + Theaterreform: „Regietheater“ – Postulate, Pro, Contra, Kunst und Kappes

21.02.2023 | Themen Kultur

TTT – Wertewandel + Theaterreform: „Regietheater“ – Postulate, Pro, Contra, Kunst und Kappes

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Eigentlich „absolutes Tabu: eine sterbenslangweilige, Lebenszeit raubende Aufführung. Insofern sollte vielleicht doch nicht jeder Regie führen dürfen.“

 Hoffnung,  1797 – Friedrich Schiller

Hier: Hoffnung als Erwartungshaltung und Weckruf zu urwüchsigen, reizvollen Aufbereitungen von Musiktheater.

Es reden und träumen die Menschen viel
von bessern künftigen Tagen;
nach einem glücklichen, goldenen Ziel
sieht man sie rennen und jagen.
Die Welt wird alt und wird wieder jung,
doch der Mensch hofft immer Verbesserung.

Die Hoffnung führt ihn ins Leben ein,
sie umflattert den fröhlichen Knaben,
den Jüngling locket ihr Zauberschein,
sie wird mit dem Greis nicht begraben;
denn beschließt er im Grabe den müden Lauf,
noch am Grabe pflanzt er – die Hoffnung auf.

Es ist kein leerer, schmeichelnder Wahn,
erzeugt im Gehirne des Toren,
im Herzen kündet es laut sich an:
zu was Besserm sind wir geboren.
Und was die innere Stimme spricht,
das täuscht die hoffende Seele nicht.

Diese Ausführungen, angeregt durch Anwürfe (gem. u. st. Mail-Adresse bin ich zu weiteren Diskussionen bereit) uneingeschränkter, bedingungsloser fast militanter Regie-Theater- Fans, sollten einer fundierten Darstellung pro, dem positiven Gehalt dieser Ausprägung gelten, außerhalb meiner Eindrücke schlüssige Gründe Dafür auflisten! Es ist dann doch kein Advocatus Diaboli – Plädoyer geworden. In u.st. Text-Extrakten werden abwägende,gegenteilige Positionen fundiert vorgetragen.

Durch die intensivere Beschäftigung der letzten Monate, unter Berücksichtigung von durchaus interessanten Aufführungen dieser Sichtungen (Verhältnis max. ca. 1 : 9), kann Meinung differenzierter werden. Die Erwägung mangelnde Qualität durch Dilettantismus wird im Text 5 bestätigt („… eklatanten Lücken im Handwerk“).

In meinem Erleben ist Regietheater  fast schon Synonym für miserable handwerkliche Regie-Arbeit nicht nur durch Berufsfremde, die wohl auch oft unzureichend vorbereiten. Somit wird auch die ohnehin oft schräge Dramaturgie invalide, wenn grundlegend fehlende handwerkliche Befähigung nichts erlebbar machen kann, nur in heillosen Arrangements statt Inszenierung mündet.

Da schließe ich allerdings gegenwärtige Größen (Stone, Kratzer, Serebrennikov etc.) nicht aus. Bei Valentin Schwarz (Ring Bayreuth 2022) habe ich zumindest eine stringente Handlung, ordentlich inszenierte Personenführung in raumtiefer Bühne gesehen.

Mglw. ist einfach schlechtes Handwerk Grund von Befangenheiten, da gut gemachter Blödsinn ja durchaus reizvoll sein kann.

Aus den z. T. „manierierten, aber durchaus fundierten Texten s.u. wurden hier Extrakte mit nachvollziehbaren, schlüssigen Inhalten ausgewählt.

Nur zur Vollständigkeit weise ich auch auf  1. Das Regietheater hat die Oper gerettet –  Lebenselixir für die Oper https://www.br-klassik.de/aktuell/meinung/regietheater-oper-meinung-kommentar-100.html                                                                           

hin. Das ist platter pauschaler Andienungsjournalismus im Behauptungsmodus einer öffentlich rechtlichen Anstalt (BR). Solche pauschale Überhöhung betrachte ich als Unsinn, deutet auf verqueres Verständnis, wird schon deshalb hier nicht weiter beachtet, weil Leser unter dem Text   alles Nötige kommentieren.

Bei manchen Befürwortern stoße ich auf „intellektuellen Snobismus“, die Theater als  psychosoziales Polit-Labor degradieren wollen. Das sind intellektuelle Überziehungen, mit denen ich nichts anfangen kann, die verhoben erscheinen, s. z. B.  Text 3.

„… Adäquatheit nicht im Sinne einer faktischen Beziehung zwischen Drama und Inszenierung definiert und verwendet werden kann“, es handele sich nur im einen „subjektabhängigen Deutungs- und Wertungsprozess“. 

Aha – so soll es sein, „bei wem das dumme Ding gelegen, dem sei’s zu eigen, meinetwegen (n. Orff, Kluge).“ Bei mir hat nix gelegen! Ich lächle erkenntnislos und zucke mit den Schultern! 

  1. Regietheater „Brüll! Kreisch! Donner! Schepper!“

Es geht um das Theater, genauer gesagt, um das Regietheater, verächtlich auch „Rübenrauschtheater“ (FAZ) genannt, weil darin „alles, was dem Regisseur während der Proben durch die Rübe rauscht,“ auf der Bühne umgesetzt werde. Ins Fadenkreuz der Kritik geraten ist damit, was andere als „Kern der Theaterkunst“ ansehen: „Diese Subjektivität, die Aneignung eines Stoffes durch ein Regisseur-Ich.“                               

Wie erklärt man schließlich ein Geschehen, bei dem auf der Bühne „geschissen, gefurzt, onaniert und Urin getrunken wird“ (Bildzeitung 2006)

Populistisch-Polemische zur  Finanzierung des Theaters: „Warum … subventionieren wir die Theater, wenn doch jeder Pornoshop das Gleiche bietet? („Bild“-Briefeschreiber 2006)

… von besorgten Bürgern erhobene Forderung nach einer „Rückbesinnung auf Sitte und Anstand in öffentlich subventionierten Theaterhäusern“.

Ihr Ruf nach mehr Texttreue oder Werkgerechtigkeit, Kritiker sagen „Textfrömmigkeit“,  folgt einem altbekannten Konzept für das Theater als „Gegenentwurf zu einer Welt, in der wir dank einer ziemlich totalen Bilder- und Informationsversorgung täglich mit verstümmelten Leibern und pornografischer Nacktheit konfrontiert sind. 

Solchem Publikumsgeschmack widerstrebt der so genannte „Eurotrash“ auf europäischen (Opern-)Bühnen, ein Begriff, den „konservative Amerikaner“ geprägt haben.

Ein solches Theater, könnte als Stätte der Kontemplation, der zahmen Text- und Seelenbehandlung dienen; es könnte Trost und Erbauung spenden. Fragt sich nur, was diese Idylle noch mit lebendiger Kunst zu tun hätte, die notwendig ein Spiegelbild ihrer Zeit ist, die von den Ängsten, Schrecken, Katastrophen der Gegenwart erzählen sollte und nicht nur museal ausstellen, was früher einmal war.

Als Schlagwort ist Regietheater „zum Inbegriff für das verkommen …, was jedermann schlecht findet“, steht für „Inszenierungsquatsch“ schlechthin.

Szenen, wie in der Aufführung von »Ödon von Horvárths (1901-1938) Drama „Zur schönen Aussicht“ (1926) in Hamburg, zeigen worum … es geht: „Ein dicker Mann zieht sich aus, stellt sich nackt und breitbeinig mit gezogenem Glied vor den Kopf einer liegenden jungen Frau, schreit sie an, sie solle seinen Pimmel in den Mund nehmen und so weiter, steigert sich dabei in einen Schreikrampf“.

Und, aller Empörung darüber zum Trotz, betont Wolfgang Höbel (2006), lohne es sich doch auch in diesem Fall genauer hinzusehen, denn, was da gezeigt werde, diene nicht voyeuristischer Triebbefriedigung, sondern zeige die Gesellschaft als „Schrecken“ und beschwöre eine „Nachkriegshorrorwelt“: „Lauter Kriegsversehrte taumeln da durch ein Hotel, das eine finstere Ruine ist; es sind vollkommen verrohte Menschen einer zusammengebrochenen Gesellschaft, die über ein Mädchen namens Christine herzufallen drohen; und es ist ein Zeichen der Verkommenheit dieser Männer, dass einer von ihnen Urin in seinen Schlund kippt und ein anderer ausgiebig onaniert.“

Vorzubeugen ist also dem „verunglückten Theaterbesuch“, der sich auf die Lust am Theater … negativ auswirken und heute aus vielen Gründen schlicht die Lust auf Theater nehmen kann: weil man sich enttäuscht sieht, nichts damit anfangen kann oder schlicht nicht versteht, was auf der Bühne passiert.

  1. Daniel Kehlmanns Salzburger Rede gegen das Regietheater, Zeitreisender, rückwärtsgewandt

Tief in die Mottenkiste greift Kehlmann, wenn er für „Schiller in historischen Kostümen“ plädiert und behauptet, dass die „historisch akkurate Inszenierung eines Theaterstücks einfach nur eine ästhetische Entscheidung ist, nicht besser und nicht schlechter als die Verfremdung“.

Theater kann so vieles! Kann Kult sein und Fest; Maskentheater, durch das die Toten sprechen, oder Jahrmarktbelustigung, Noh, Commedia dell’arte, Kasperlspiel, Biomechanik, Improvisation, Method Acting, Armes Theater oder Medienspektakel … über die Jahrhunderte und Kontinente hinweg entwickelte sich ein reiches, ein breites Spektrum szenischer Vorgänge, aber Daniel Kehlmann interessiert sich nur für eine bestimmte Form: ein Literaturtheater, das dem Autor dient. Klar, er selbst ist ja auch Autor.

… wie im bösen Theater, wo man mit dem Zeitgeist gehen muss und schöne altmodische Inszenierungen unterbunden werden.

…  es ist eine ästhetische Entscheidung! Aber Historizismus und Verfremdung auf diese Art einander gegenüberzustellen verkennt, dass die vermutlich größte Verfremdung im Theater – ausgenommen vielleicht für einige Rentner und Operngänger, Kehlmann und Horst Köhler – heute durch „historische Akkuratesse“ erzeugt würde.

Wichtiger noch als die inhaltlichen Fragen sind die formalen, ästhetischen. Brecht begriff und beschrieb, dass ein Filmsehender anders liest, anders schreibt. Wie können wir heute, mit der Medienerfahrung von Kino, Fernsehen, Internet noch in der Hoffnung auf dieselbe Wirkung dieselben Texte und Kostüme präsentieren wie Shakespeare, Goethe, Schiller? Und haben nicht selbst die schon Stoffe aufgegriffen, abgewandelt, für ihre Zeit und Bühne angepasst? Dramen für die Inszenierung umgeschrieben? Häufig genug in (damals) zeitgenössischen Kostümen gespielt? Warum wäre ein damals aktuelles Kostüm heute durch ein historisches und nicht ein gleichfalls aktuelles wiederzugeben?

Die Chefdozentin der deutschen Theaterwissenschaft, …hat bereits vor einem viertel Jahrhundert formuliert, dass die Werktreue bzw. Adäquatheit „nicht im Sinne einer faktischen Beziehung zwischen Drama und Inszenierung definiert und verwendet werden kann“, es handele sich nur im einen „subjektabhängigen Deutungs- und Wertungsprozess“.    

Statt als bürgerliches, könnte man Theater besser als eines der Prostitution begreifen, im Sinne von George Tabori, der einst die Gemeinsamkeiten von „Bett und Bühne“ betonte. Dort wären dann wieder Menschen, die Lust und Liebe machen. Die sich und einander begegnen. Berühren. Und nicht nur an die Decke auf den glitzernden Kristallluster starren.                                                                         

  1. Kritik am Regietheater TAZ

Contra: Denn die Argumente des Regietheaters stimmen einfach nicht. Argument eins: Die beliebigen Einfälle der Regisseure seien ein Ausdruck des Stücks. Oder des Regisseurs. Oder überhaupt Ausdruck für irgendetwas. Sind sie aber nicht.

Es kommen mehr Menschen denn je in die Theater? Nein, sie kommen in den Zuschauerraum, aber nicht, um ein Theaterstück zu sehen. Wer das sehen will, bleibt zu Hause. Deswegen hat Kehlmann recht, wenn er sagt, das Theaterpublikum würde heute Bücher lesen und „Curb your Enthusiasm“ gucken, also heruntergeladene intelligente US-Serien. Die Bühnen haben das Theaterpublikum verloren und dafür ein zahlenmäßig größeres Zirkuspublikum gewonnen.

Pro: Der Masochismus dessen, der viel ins Theater geht, ist womöglich etwas größer.

Vorwurf Kehlmanns, das Regietheater sei eine letzte Schrumpfform linker Ideologie, …  Der Mangel an Utopien von größerer sozialer Gerechtigkeit ist eines seiner Themen, und das Leiden an diesem Defizit wird offen zur Schau gestellt. Die Suche nach ästhetischen Sprachen, die die Grenzen zwischen separierten Milieus durchbrechen können, ist dabei ein Mittel. Es gehört eine gehörige Portion Ignoranz dazu, diese Suchbewegung mit einem Verbeißen in eine Ideologie, die schon immer weiß, wo es langgeht, zu verwechseln.

 

  1. Zerstören die Regisseure die Oper?

Die Überzeugung, dass Opernregie eine Spielwiese für Selbstdarsteller geworden ist, die das Musiktheater dazu missbrauchen, sich selbst eine Bühne zu geben, so alt wie das Regietheater selbst, also gut 50 Jahre .

Nicht mehr die Werke und deren Originalgestalt, nicht die ursprüngliche Handlung und der Gesang stünden im Zentrum, sondern die „Neudeutungen“ der Regie. Von Intendanten unterstützt und in Komplizenschaft mit Kritikern, die fast nur mehr übers Szenische schreiben, hätte sich das Regietheater zum Herrscher über die Oper aufgeschwungen.

Warum sind Inszenierungen so wichtig geworden? Eine erste mögliche Antwort ist die, dass Kunst – wie alle Dinge, die zum Leben gehören – immer und überall einem Wandel unterworfen ist. Kunst wandelt sich stetig, wie die letzten 2500 Jahre zeigen. Niemand malt heute mehr wie die Maler der Frührenaissance oder die Präraffaeliten des 19. Jahrhunderts, niemand schreibt mehr gestelzte Barockdramen, niemand macht mehr Stummfilme, obwohl alle jene erwähnten Kunstwerke nicht nur auf der Höhe ihrer Zeit waren, sondern auch: große Kunst.

Kunst muss sich wandeln, wenn sie nicht sterben will. … Große Künstlerinnen und Künstler waren fast immer Innovatoren, die bestehende Regeln umdeuteten oder gleich ganz über Bord warfen. Wobei man lange gedacht hat, solche Veränderungen seien zugleich Verbesserungen. Ein folgenreicher Irrtum, denn automatisch eine Verbesserung sind sie nur in dem Sinne, in dem sie helfen, etwas lebendig zu halten.

 

  1. Tagesspiegel: Schöne neue Einfalt, Planet der Laffen … die Zukunft der Opernregie retten

Regie führen kann jeder. Auch und gerade in der Oper. Auf der kuscheligen Seite des Grabens sitzen, sich ein nettes Setting ausdenken, den Sängern ein paar Anekdötchen erzählen, wenn der Vormittag lang ist, eherne Bühnengesetze beachten (wo ich stehe, kannst du nicht stehen), dem Dirigenten freie Bahn lassen: Schon ist er fertig, jener Beruf, der keiner ist. Opernregie, so will es ein uralter Branchenkalauer, sei eine Erfindung der Frau Schenk – womit die Gattin von Otto Schenk gemeint ist –, die ihren Mann offenbar dauerhaft aus dem Haus haben wollte. Prompt galt „Otti“ Schenk in den 70er Jahren neben Günther Rennert, Jean-Pierre Ponnelle und Rudolf Noelte als Großer seiner Zunft. Ein Regisseur, der, wie es heißt, sein Handwerk verstand (Anmerkg. ich  (TTT) habe oft bei Otto Schenk und auch bei Jean-Pierre Ponnelle assistiert).

Dann freilich kam 68, und es schlugen auch über „Otti“ und der Oper die Wogen des Regietheaters zusammen. Was von jenem Clash der Ideologien und ästhetischen Anschauungen für das 21. Jahrhundert übrig geblieben ist …  inszenatorischen Schludrigkeiten und Fehlern nur so wimmelte. .. weitet sich seit Jahren ins Symptomatische, die Rückkehr des Konventionellen (Anmerkg. s. z. B. Personenführung Regietheater) wie dessen durchaus mangelhafte Qualitäten.

… unter heutigen Regisseuren verbreitete Allergie … paart sich längst mit eklatanten Lücken im Handwerk. Das heißt auch: Das Regietheater selbst, jenes Schürfen nach dem Stück hinter dem Stück, jene programmatische Verlängerung des Vergangenen mitten hinein in die Gegenwart des Betrachters, es hat das Handwerkliche mehr und mehr bedroht und verkommen lassen. Wo Konzepte (das nächste Hasswort) geschmiedet, Übersetzungen angefertigt und Verpackungen geschnürt werden, da ist es nicht mehr so wichtig, ob die Übergänge stimmen oder das Licht Schatten wirft, ob das szenische Timing einer Arie mit der Musik atmet oder, arhythmisch, dagegen, und ob die Menschen auf der Bühne …, wie meist, einen handtuchbreiten Streifen vorne an der Rampe bespielen, face à face mit Dirigent und Saal.

So ein Handwerk aber verlernt sich. Die böse verpönte Werktreue, die im besten Fall stets mehr gewesen ist als ein buchstabengerechtes Aufklappen von Regieanweisungen ins Räumliche, sie hat sich vor unseren Augen und Ohren längst ins Schimärenhafte, Illusionistische verabschiedet. Wirklich fähig ist dazu heute niemand mehr.

Volker Schlöndorff …ganz persönlicher Werktreue-Begriff: „Hält sich ein Regisseur beim Film nicht an das Drehbuch, fliegt er auf der Stelle raus.“ Gemeint hat Schlöndorff natürlich: Wer sich in der Oper nicht an den Text hält, an Libretto und Partitur, der sollte seinen Selbstverwirklichungstrip bitte anderswo ausleben. Sätze von Alt-68ern für Alt-68er? Autoritäre Sätze, muffige Sätze, Sätze wie Ohrfeigen ins Antlitz eines jeden halbwegs wachen, kritisch aufgeklärten Bewusstseins?

Das Musiktheater jedenfalls, das jener neokonservativen Haltung der (Oper inszenierender) Filmemacher entspringt, ist im Ergebnis denkbar ernüchternd. Ein paar technische Spielereien, wie gesagt, jede Menge Mottenkiste, nicht zuletzt weil die Seherfahrung, das Opernvorleben, fehlt – und ein eher bescheidener, sich nicht selten aus Ehrfurcht, ja aus Angst vor der Musik duckender Wille zum Ausdruck.

… aber im Grunde ändern all diese Verpackungskünste nichts. Der alte Trick: Man denke sich die ganze Staffage einen winzigen Moment lang weg, lasse die Sänger gleichsam nackt agieren – prompt tritt an Substanz, an eigentlicher Regiearbeit kein Jota mehr zutage …. … galligen Abgründe der „Così“ erschöpfen sich in postmodernen Beziehungständeleien, Herzzittern im Vater-Tochter-Verhältnis bei Verdi bleibt vollständig unterbelichtet – und der Rest ist Rampe.

… von Unsachkundigen, von Dilettanten regiert  werden – wobei der Dilettant keineswegs nur den bekennenden Nichtfachmann meint, sondern auch den Liebhaber. …

… derzeit auch im Musiktheater  – … kürt man nicht die Fachleute und hartgesottenen Spezialisten zu neuen/alten Heilsbringern, sondern, jawoll, die Dilettanten. Diejenigen, die von der Kompliziertheit des Metiers garantiert nichts verstehen – und sich all seiner rezeptionsästhetischen Wucherungen im Handstreich entledigen.  … Blinde Hühner finden bisweilen fette Körner, und wer würde der genialischen Intuition nicht jederzeit den Vorzug geben vor wie viel Erfahrung, welch hochmögendem Regie-Diplom auch immer?

Seit es sie gibt, hat die Oper ein in erster Linie ökonomisch motiviertes Akzeptanzproblem – entsprechend vielfältig sind die Wege und Weisen seiner Beseitigung. Warum also man im 21. Jahrhundert nicht zu einer Marketingstrategie greifen, die insofern verlässlich funktioniert, als die fachfremden Regie- Promis regelmäßig ausverkaufte Häuser provozieren? Für mehr als Marketing indes stehen  … diese nicht. Allenfalls dass es sie jetzt gibt, könnte ein Symptom sein: Für den allmählichen Verfall (siehe oben) eines Berufes, der Gefahr läuft, seinem kritischen Geist und Qualitätsanspruch untreu zu werden; für die Leichtfertigkeit und die Not der Intendanten; für eine chice neue Einfalt in der Kunst, einen neuerlichen rollback (Rückschritt).

Quereinsteiger hat es in der Oper immer gegeben (Anmerkg.s. Regie, Intendanten, Dirigieren etc. geht nicht). Das System saugt sie ein und spuckt sie wieder aus, früher oder später. Eines allerdings galt schon „Otti“ Schenk als absolutes Tabu: eine sterbenslangweilige, Lebenszeit raubende Aufführung. Insofern sollte vielleicht doch nicht jeder Regie führen dürfen.

Quellen:

Regietheater „Brüll! Kreisch! Donner! Schepper!“ 2008

https://www.teachsam.de/deutsch/d_literatur/d_gat/d_drama/drama_dlitun_4_2.htm

Daniel Kehlmanns Salzburger Rede gegen das Regietheater  2009   https://nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=3094:daniel-kehlmanns-salzburger-rede-gegen-das-regietheater&catid=101:debatte&Itemid=84                                                                                                                           

TAZ Kritik am Regietheater  2009    https://taz.de/Pro-und-Contra/!5158742/                                                                                                             

Zerstören die Regisseure die Oper?  2022

https://www.kleinezeitung.at/kultur/klassik/6178896/Essay_Zerstoeren-die-Regisseure-die-Oper

Schöne neue Einfalt, Planet der Laffen … die Zukunft der Opernregie retten  2005

https://www.tagesspiegel.de/kultur/schone-neue-einfalt-1208902.html

 

Tim Theo Tinn 22. Febr. 2023 – T.T.Tinn@gmx.de

 

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