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TTT Wertewandel + Theaterreform: Gilt’s der Kunst? Erneuerung oder Restauration? Teil 4.1

30.11.2022 | Themen Kultur

TTT Wertewandel + Theaterreform: Gilt’s der Kunst? Erneuerung oder Restauration? Teil 4.1

Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert! Einstein

Macht Macht mächtig? Macht macht mächtig? Wie wirken Theaterprodukte?

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„Schmeiß Er hinaus das Trauerpferd! Wer? Was? Er will nicht?“ Baron Ochs, Rosenkavalier

Das Thema unterschätzend, glaubte ich mit einem vierten Teil Alles in Kürze abzudecken. Ich kann es nicht! Daher teile ich „ Macht Macht mächtig? Macht macht mächtig?“ in einzelne Betrachtungen.

Haben Theater noch gesellschaftliche Potenz und Tragweite zu prägenden Affekten, zu einer Aura psychosozialer Bedeutung? Erleben wir Verzwergung mit billigen Effekten historisch gewachsener, kulturell geprägter Prioritäten und damit Siechtum (zum Untergang)?

Gibt es verantwortungsvollen Machtgebrauch zum Faszinosum gesellschaftlicher Relevanz, neben dem in Teil 3 ausgiebig diskutierten Machtmissbrauch innerhalb der Theater?

Avisiert man noch signifikante förderliche Affekte oder hangelt man sich durch Effekte, irrelevante Effekthaschereien in akut gammeligen Trash – Allüren (minderwertiges kulturelles Phänomen – Unkultur!)? Gibt es noch namentlich einen Trend kultureller Teilhabe?

Begrifflichkeiten: Affekte und Effekt werden verwechselt.

Affekt: Durch Impulse (Affekte) Anregungen geben. Affekte aktivieren Gemütsbewegungen, starke vitale Eindrücke, die großformatige körperliche Reaktionen auslösen können (z. B. Atmung, Herzschlag etc. befördernde Empfindungstiefen) und übergeordnetes Bewusstsein berühren (s. 5 Sinne und auch den  6. + Eisenstein: Theater der Affekte und Assoziationen)

Effekt ist funktionaler, auf direkte Wirkung, Nutzen zielend. „Mit dem Hammer gehämmert, formt dieser Effekt das Behämmerte sofort“.

Effekte dienen  kleinformatigem gezieltem Gebrauch, direkter Wirkung. Adam-/Eva-Kostüm weckt ggf. Instinkte beim Betrachter. Mögliche „Lüsternheit“ ist ein einfacher kurzfristiger Trieb, Instinkt, im Unbewussten (!) angeborenes animalisches Erbe, größere übergeordnete Wahrhaftigkeiten werden nicht berührt. Das musste man nie lernen. Effekte sind verzichtbar, rational konstruiert.

Die sieben „Primäraffekte (Grundgefühle)“ Freude, Verzweiflung, Wut, Furcht, Ekel, Überraschung, Interesse sind unterbewusste (!), durch Sozialisation geöffnete Regungen, Sinneseindrücke mit weitreichendem Belang, durchaus zu lenken. Ausfall auf Dauer dieser immanenten Regungen sind pathologische Deformation. (s. Wikipedia – Grundgefühl:  https://de.wikipedia.org/wiki/Grundgef%C3%BChl )

Hier kann rationale Ansprache irrationalen Kosmos im Seelenleben öffnen.

Wann konnten zuletzt, neben dem kulinarischen auditiven Erleben, diese Affekte visuell in einer Musiktheater – Inszenierung geöffnet werden? I. d. R. verlässt man eine Aufführung mit  Achselzucken, oft mit Verdruss. Unsere Grundgefühle finden kaum noch Ansprache im Musiktheater, sind bestenfalls Verwunderung gewichen. Gebotenes erwirkt distanzierte Unklarheit bis Wirrwarr.

Eine Herzdruckmassage hat den Effekt Lebensrettung. Gemüt bewegende Musiktheater – Aufführung könnte den Affekt „Hinterfragen der Lebensgestaltung“ auslösen.

Effekte zielen auf sofortige Resultate, Affekte auf weiterreichende vertiefende Erkenntnisse.

Philosoph E. Kant in „Kritik der reinen Vernunft“ 1781. „Kausalität ist als Denkform Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung. Dadurch, dass sie den (transzendentalen) Status einer Bedingung hat, ist sie gleichzeitig aber objektiv, das heißt allgemeingültig und notwendig …“  (Vulgo TTT: ohne gescheite Schlüssigkeit, Logik, Stimmigkeit wird Nonsens verbreitet, da man nichts erfahren kann. „ Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung wird verweigert“!)

Diese Reihe begründet sich in der Untersuchung / Frage des Verfalls der öffentlich rechtlichen Musentempel, dem Musiktheater in Szene, Institution und menschlichen Ausprägungen. Hier  beziehen wir uns auf aktuelle Bedeutung, Macht der gesellschaftlichen Wirkung durch szenische Ansprachen, Inszenierungen.

Die Programmatik der Musiktheater hat sich überwiegend jenseits jeder Kausalität vom vitalen schlüssigen Erleben entfernt, damit die „Möglichkeit von Erfahrung“ eliminiert (s. dazu umfassende Ausführungen /’Rezensionen in TTT Schriften im Oneline Merker zu regelrechten Dekonstruktions – Orgien aktuellen Musiktheaters!) Selten ist noch etwas schlüssig, logisch = kausal.

Berichte im Online Merker 30.11.2022: „Das Theater spielt völlig am Publikum vorbei“, Oper in Berlin : Beschämende Befreiung, …an der Komischen Oper: Was für ein Quatsch!, Zahnlose Haifische im Dreigroschen-Opernglas, Inszenatorisch: Massiv unklar dekonstruiert, … jede Nachricht ist für uns unklar, usw.

Theaterinszenierungen, besonders Musiktheater (auch musikalische Welten werden inszenatorisch ignoriert) erfüllen somit Bedingungen allgemeingültiger, notwendiger Kausaliät nicht mehr. Welchem zu vermarktenden Produkt fehlt auch solche Infrastruktur? Wo wird auch Ablehnung, Missfallen der Konsumenten bewusst provoziert (Buh-Rufe)?

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Auszug aus: „Metamorphose der Pflanzen“, Elegie von  J. W. Von Goethe 1798

(Metamorphose: Wandel z. B. zu philanthropischer Reife)

… Und die Weise zu leben, sie wirkt auf alle Gestalten

mächtig zurück. So zeiget sich fest die geordnete Bildung,

welche zum Wechsel sich neigt durch äußerlich wirkende Wesen.

Doch im Innern befindet die Kraft der edlern Geschöpfe

sich im heiligen Kreise lebendiger Bildung beschlossen.

Diese Grenzen erweitert kein Gott, es ehrt die Natur sie:

denn nur also beschränkt war je das Vollkommene möglich.

Doch im Inneren scheint ein Geist gewaltig zu ringen,

Wie er durchbräche den Kreis, Willkür zu schaffen den Formen

Wie dem Wollen; doch was er beginnt, beginnt er vergebens.

Denn zwar drängt er sich vor zu diesen Gliedern, zu jenen,

stattet mächtig sie aus, jedoch schon darben dagegen

andere Glieder, die Last des Übergewichtes vernichtet

alles Schöne der Form und alle reine Bewegung.

Siehst du also dem einen Geschöpf besonderen Vorzug

irgend gegönnt, so frage nur gleich, wo leidet es etwa

Mangel anderswo, und suche mit forschendem Geiste,

finden wirst du sogleich zu aller Bildung den Schlüssel …

Dieser schöne Begriff von Macht und Schranken, von Willkür

und Gesetz, von Freiheit und Maß, von beweglicher Ordnung,

Vorzug und Mangel erfreue dich hoch; die heilige Muse

bringt harmonisch ihn dir, mit sanftem Zwange belehrend.

Keinen höhern Begriff erringt der sittliche Denker,

keinen der tätige Mann, der dichtende Künstler; der Herrscher,

Der verdient, es zu sein, erfreut nur durch ihn sich der Krone.

Freue dich, höchstes Geschöpf der Natur, du fühlest dich fähig,

ihr den höchsten Gedanken, zu dem sie schaffend sich aufschwang,

nachzudenken. Hier stehe nun still und wende die Blicke

rückwärts, prüfe, vergleiche, und nimm vom Munde der Muse, …

Übernächstes klingt wohl pathetisch, nostalgisch – antiquiert? In und nach meiner Ausbildung vor Jahrzehnten war es „unser täglich Brot“  – heute im Theater wohl eher profan, wertlos Entseeltes:

Dogma heute: Die Sau wird durch das Dorf getrieben (bis der Hahn tot ist)!

„Redewendung aus mittelalterlicher Schandstrafe, bei der Delinquenten als Schwein verkleidet durch Straßen getrieben wurden, was viel Aufmerksamkeit und Spott erregte. Verwendung, um auf Unnötigkeit, Kurzlebigkeit erzeugter Aufregung hinzuweisen.  Am Ende: „Der Hahn ist tot, der Hahn ist tot, der Hahn ist tot, der Hahn ist tot. Er kann nicht mehr krähn, kokodi, kokoda, er kann nicht mehr krähn, kokodi, kokoda, koko koko koko kokodi, kokoda“. (Haaner Treff 2020)

Entfaltung des Theaters begründete sich aus Nachahmung von Dramen, um Zuschauer nach Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) zur Katharsis durch Affekte, zu emotionaler tiefer Berührung zu führen. „Nicht Effekte … , sondern Affekte“ durch Aufbau und Erreichen von Erregung bis zum „Jammern und Schaudern“ war Prinzip.

„ … nach Aristoteles brachte Theater edle oder aber schlechte Charakterzüge der Menschen auf die Bühne. Sie sollten einen Vorbild für das Verhalten in der Realität sein. … In der reinigenden Katharsis sah er die Entlastung der Zuschauer von psychischen Spannungen. … Im Spiel selbst liegen heilsame Kräfte und die Möglichkeit besonderer Selbstwahrnehmung. Katharsis bei Aristoteles vor allem die Wirkung … auf die Empfindungen des Zuschauers …“ Wikipedia

Über die Jahrhunderte haben z. B. Gluck, Brecht u.a. weitere prägenden Regeln fürs Theaterspielen begründet – allen liegt die Kausalität gem. Kant  zugrunde.

Die nun schon ca. ein halbes Jahrhundert währenden Dekonstruktionen haben noch keinen schlüssigen akademisch dramaturgischen Niederschlag gefunden – diese Soda – Theatralik (einfach so da, ohne begründende Erläuterungen/ Kausalität) bleibt unbefriedigender Anachronismus.

„Ein Anachronismus bezeichnet entweder die absichtliche oder irrtümliche … Bewertung, ein Sachverhalt oder eine Vorstellung sei in einer bestimmten Zeit nicht oder nicht mehr angemessen“. (Wikipedia)

Die nächsten Ausgaben der Reihe  „Wertewandel + Theaterreform – Macht Macht mächtig? Macht macht mächtig? Befasst sich mit Auflösung der deutschen Theater- und Orchesterstrukturen um mindestens zwei Drittel ohne Einbußen für Konsumenten, Theater – Leitern, – Publikum, – Kritikern, der ehrgeizigen Naivität in der Einführung von Virtual Reality – Brillen für Zuschauer in Theatern, die sonst  nichts zu melden haben. Bayreuth mit 1937 Plätzen muss mindesten 700.000 € nur für die Brillen investieren, plus Aufnahmetechnik. Augsburg schießt den Vogel ab, indem das Theater sich selbst aufgibt und bisherigen Theaterbesuchern die Brillen zum theatralen Konsum im Konserven-Modus ins Wohnzimmer schickt.

Theater schafft sich derzeit so auch in Naivität durch Aufweichen seiner Qualität in der Nutzung anderer Medien selbst ab.

Haben Theater/Musiktheater die Identität jenseits flacher Unterhaltung mit immanenten Themen wirklich verloren, Demagogie, Propaganda, Eloquenz usw. stattdessen verinnerlicht?

Mit voller Zustimmung folge ich Riccardo Muti, 21.9.2022
„Unser biologisches System ist noch immer auf das tonale System geeicht.“ Dissonanz erzeugt „Spannung, Unbehagen, Verstörung“! „Heute machen wir Schuhe für wenige Intellektuelle, die für diese neuen Formen, Klänge und Harmonien ein Faible haben.“

Tim Theo Tinn 30.11.2022

TTT ‘s Musiktheaterverständnis vermeidet Reduktion auf heutige Konsens – Realitäten, Trash-Welten, Wirklichkeiten in Auflösung aller konkreten Umstände von Ort, Zeit und Handlung. Es geht um Parallelwelten, die einen neuen Blick auf unserer Welt werfen, um visionäre Utopien, die über der alltäglichen Wirklichkeit stehen – also surreal (sur la réalité) sind. Menschenbilder sind im psychosozialen Sein zu belassen. Musikalisch determinierte Charaktere sind irreversibel.
Profil: 1,5 Jahrzehnte Festengagement Regie, Dramaturgie, Gesang, Schauspiel, auch international. Dann wirtsch./jurist. Tätigkeit, nun freiberuflich: Publizist, Inszenierung/Regie, Dramaturgie etc. Kernkompetenz: Eingrenzung Feinstoffliches aus Archaischem, Metaphysik, Quantentheorie u. Fraktalem. Metaphysik befragt sinnlich Erfahrbares als philosophische Grundlage schlüssiger Gedanken. Quantenphysik öffnet Fakten zur Funktion des Universums, auch zu bisher Unfassbarem.. TTT kann man engagieren.

 

 

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