TTT Wertewandel + Theaterreform: Gilt’s der Kunst? Erneuerung oder Restauration? Teil 1 „Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert!“ Einstein
Theaterbauten: Prunk-, Protz-, Pomp-, Bling Bling-Paläste
Wesenskern dramatischer Fülle ?
Hunderte weitere Beispiele: Google Theatergebäude
Das Lied von der Glocke -1800 – F. v. Schiller (Auszüge -Allegorie zu öffentl. rechtlichen Theatern seit ca. 1920)
Vertrauen wir der Hände That,
Vertraut der Sämann seine Saat
Und hofft, daß sie entkeimen werde
Zum Segen, nach des Himmels Rath.
Noch köstlicheren Saamen bergen
Wir trauernd in der Erde Schooß,
Und hoffen, daß er aus den Särgen
Erblühen soll zu schönerm Loos.
Von dem Dome Schwer und bang
Tönt die Glocke Grabgesang.
Ernst begleiten ihre Trauerschläge
Einen Wandrer auf dem letzten Wege.
Nun zerbrecht mir das Gebäude,
Seine Absicht hat’s erfüllt,
Daß sich Herz und Auge weide
An dem wohlgelungnen Bild.
Schwingt den Hammer, schwingt,
Bis der Mantel springt,
wenn die Glock’ soll auferstehen
Muß die Form in Stücken gehen.
Und Würgerbanden ziehn umher,
Da werden Weiber zu Hyänen
Und treiben mit Entsetzen Scherz,
Noch zuckend, mit des Panthers Zähnen,
Zerreissen sie des Feindes Herz.
Nichts heiliges ist mehr, es lösen
sich alle Bande frommer Scheu,
Der Gute räumt den Platz dem Bösen,
Und alle Laster walten frey.
und wie der Klang im Ohr vergehet,
Der mächtig tönend ihr entschallt,
so lehre sie, daß nichts bestehet,
Daß alles Irdische verhallt.
Jetzo mit der Kraft des Stranges
Wiegt die Glock’ mir aus der Gruft.
Schwülstiges zum Thema, nur „Wirkungsweisen von Repräsentation“ dürfte gelten. (Staatliche Aufwendungen 3,3 Milliarden € p.a.!!!)
Spiel-Räume der Demokratie. Theaterbau in der Bundesrepbulik Deutschland 1949-1975 Kunsthistorisches Institut Deutsche Forschungsgemeinschaft e. G. (Förderungsetat rd. 3,3 Milliarden, 97 Mitglieder)
„Theaterbauten und Opernhäuser. Leitend … ist die Frage nach den demokratischen Implikationen von Theaterbauten hinsichtlich ihrer architektonischen Gestaltung, ihrer stadträumlichen Bedeutung sowie den Wirkungsweisen staatlicher und gesellschaftlicher Repräsentation. Dem Theaterbau kam als einer der frühesten Baugattungen nach dem Zweiten Weltkrieg eine herausragende Rolle bei der Etablierung eines »demokratischen« Ausdrucks bundesrepublikanischer Architektur zu. Der Bedeutungsgehalt der Bauten erstreckte sich von einer Umwertung traditioneller Materialikonografien bis hin zur Neudefinition räumlicher und städtebaulicher Strukturen. … So soll der Theaterbau der Bundesrepublik nicht nur als Visualisierung, sondern als Konstituens einer sich als demokratisch legitimierenden Gesellschaft beschrieben und interpretiert werden. …“
Tatsächlich signalisieren Theaterbauten, deren innere (hierarchische) Ordnung, intendierte Außenwirkung keine demokratisch architektonischen Zitate, sondern Absolutismus (alle Gewalt bei einer Person). Dies ist im vorherrschenden Klassizismus/ Neoklassizismuss/ Historismus stilprägend mit besonderem Drang zu Monumentalität, Prunk, Größe, Opulenz.
“Ein dumpfes Gefühl sagt dem Irrenden nur, dass ,Klassik‘ etwas Gutes, Schönes, Wahres ist, während ,Klassizismus‘ das einfallslos – nachtappende Stiefgeschwisterchen alles Klassischen ist.“ ( J. Schmidt 2008)
Theater mit Gebäuden in der BRD wurden durch lokale Parlamente als politische Entscheidung um 1920 gegründet, sind keine organisch künstlerisch gewachsenen Institutionen sondern formal Teile der öffentlichen Verwaltung mit üblichem Bürokratismus, Selbstherrlichkeits – Malaisen, in der Praxis i. d. R. ohne demokratische Grundprägungen.
Deutsche Theater/Musiktheater (Stadt- /Staatstheater), finanziert laufend mit mindestens 80 % öffentlicher Mittel, baulich zu 100 %, stehen organisatorisch in keiner großen Tradition, entstanden durch Übernahmen privater und höfischer Häuser, überwiegend durch Neubauten, aus Prestigegründen, nicht aus Kunst – und Kulturansprüchen weiter Bevölkerungsteile. Damals wollte halt auch jedes Provinznest renommieren.
Man konnte auf wenige Barock-/ Rokokobauten zurückgreifen, ansonsten verfolgte man pseudohöfische Optik. Erwähnenswert erscheint auch der Theaterursprung aus Bauern – und höfischem Theater, der darin mündete, dass man zwar beide Ursprünge inhaltlich berücksichtigte, bei administrativen, organisatorischen und materiell-substanziellen Ausprägungen aber die absoluten autokratischen Inhalte aristokratischer Herrscher übernahm.
Einfaches zweckgebundenes Auftreten, aus einfachen Volk (s. z. B. Schikander, Bauerntheater) geboren, wurde ausgeblendet. Sind oder waren diese höfischen Imitate unerlässliche oder nur charakteristische Ausstattung von Hochkultur: von meinungsbestimmenden Eliten genutzte, als besonders wertvoll akzeptierte Kulturleistungen – … der führenden Gesellschaftsschicht, des Bildungsbürgertums. (Wikipedia)?
Das ist mlgw. kein adäquates, zeitgemäßes Theater aber Theater unserer Realität, der Konsensgesellschaft. Wollen alle Menschen, wir, diese Ausprägung?
Mit den öffentlich-Rechtlichen wird es so nicht weiter gehen. Die haben sich seit über 100 Jahren nicht bewegt und wollen das vermutlich auch – wie der ganze Bürokratismus – nicht. Besser kann es einem Intendanten doch nicht gehen.
Ein Eindruck verdichtet sich: weder Theaterleiter werden von kreativem Kunst-/Kultur- Bedürfnis bestimmt, noch politische Entscheider.
Warum sollten Intendanten ihre autokratische Machtfülle aufgeben wollen? Warum sollten desinteressierte Politiker neben dem marktschreierischen Auftreten durch umstrittene Inszenierungen und sonstigen publicitiygeilem medialem Auftreten der lokalen Theater Interesse an demokratischer und dramatischer Qualität im Inneren von Theatern haben? Gewählt werden sie wenn „Bananen fliegen“, nicht für Realisierung ernsthafter Kriterien an Theatern.
Daraus sind in ca. 110 Jahren rd. 140 Theater mit Ausgaben von über 3 Mrd. € p. a. entstanden, plus rd. 130 Berufsorchestern. Hinzu kommen Investitionen in Neu – u. Umbauten etc. in Milliardenhöhen (p.a. z. B. Oper Stuttgart, Komische Oper Berlin, Frankfurt etc.) derzeit geschätzt 10 Mrd. € insgesamt.
Alle heutigen klotzigen Theaterbauten haben im Repräsentationsbedürfnis von Politikern vor über 100 Jahren ihren Ursprung. Betrachtet man die aktuellen Investitionen in Um- und Neubauten kann auch kein Nutzen -, Kosten -, Leistungs – Denken attestiert werden.
Der Kunstraum im Gebäude erscheint nur noch als nötiges Übel von repräsentativem Renomiergehabe.
Zweckbauten für tatsächlich musiktheatrale Kunst gibt es kaum, wesentlich sind Image pflegende Aufbrezelungen für Repräsentationswütige in eigenem Dress-Code/Auftreten im Prunk-, Protz-, Pomp-, Bling Bling-Palast zur eigenen gesellschaftlichen Selbstinszenierung. Das begründet auch die immer noch ausreichende Besucherfrequenz. Sind übliche Theater-Prachtbauten unabänderliche Notwendigkeit, Repräsentations-Tempel immanent für dramatische Kunst – oder fragwürdige Überwucherung repräsentativer Publikumsansprüche?
Publikumstreue dürfte also auch aus repräsentativem Charakter einer „Audienz im Prunk-Protz“ vergangener Oberklassen resultieren. Das ist ein gesellschaftliches Phänomen, kein kunstinteressiertes. Gleiches Inszenierungsangebot in schmucklosen Zweckbauten wird soziale Schichtung des Publikums verändern, dieses mglw. aber auch reduzieren bei üblichen Inszenierungen bisheriger Wirksamkeit.
Langfristig sollten, insbesondere in Zeiten knapper Kassen, dieser opulenten Musentempel in Traditionen höfischer Theater obsolet werden. Gesellschaftlich könnte anderweitige museale Nutzung wertvoll sein. Die Synthese aus historischer Bausubstanz und explodierenden Kosten für deren Erhaltung und synchroner aufwendiger Installation modernster Technik, für die diese Häuser nicht geschaffen wurden, muss eine Neuausrichtung begründen. Für die darstellende musikalische Kunst sind historische Musentempel keine Notwendigkeit.
Titulierte Hochkultur hat so nur äußere Bedeutung. Theaterbesuch muss Erlebnis/Eintauchen in Musikdramatik sein, nicht gesellschaftlicher Event in überlebten höfischen Prachtbauten.
Hinzu kommt, dass nun jedes alte Gebäude mit mind. 3stelligen €- Millionen auf heutigen technischen Standard gebracht werden soll. Dabei ist natürlich die nur bei öffentlich-rechtlichen Bauvorhaben herrschende Unkenntnis der endgültigen Kosten üblich (Komische Oper Berlin beginnt mit 440 Mio., weißt aber schon auf Unkenntnis hin).
Ärgerlich ist aber auch die neue geforderte technische Ausstattung. Statt sich auf die Urtugenden der Theaterkünste zu besinnen entstehen nun Mulitmedia-Tempel. Man will also auch als Kino im Luxustempel auftreten können, obwohl dies nie Kompetenz ist, war und sein wird und statt weniger Kräfte im Kino Hunderte auf Kosten der Steuerzahler beansprucht. Dies hat auch nichts mit dem Kulturauftrag eines Theaters zu tun – wenn mal jemand hinschauen würde.
Über ca. 2000 Jahre historisch gewachsene Bedeutung und Aufgabe der Theaterkunst erodiert grundlegend. Wesentlichen Aufgaben der Alleinstellung (Gesellschaftskritik, Aufklärung, Reformen etc.) gingen durch rasche Entwicklung von Film, TV, Internet, (noch) den Printmedien verloren. Die nötige Entwicklung anlog sämtlicher Medien von der Stummfilmzeit ins 21. Jahrhundert fand nicht statt.
Vergleichen wir die Entwicklung eines Block – Buster im Kino mit einem Theaterapparat, aber auch mit szenischen Qualitäten, zumindest der letzten 50 Jahre. Hier könnte Theater Platz greifen bei Betonung von Psychosozialem, dem Menscheln im direkten „Life“ in Einbindung des wertvollen dramatischen Erbes, wenn man in der Lage ist, tatsächliche dramatische Konflikte zu vertiefen.
Markant bleibt ausbleibender Wandel jeder Entwicklung der Strukturen. Während alle Medien rasant vorwärtsdrängen, bleibt Theater im Behördentraditionen altehrwürdig, hat szenische Qualität seit ca. 50 Jahren stagnierend in Sackgassen geführt. Aus wertvollem Werkstattcharakter von Werkzertrümmern wurde jahrzehntelanger Standard von oft Minderbegabten.
So reagiert Theater auf Veränderungen der Lebensverhältnisse, der Ausweitung des Wissens, dem Wandel von Weltanschauungen, Ideologien usw., auf Wandel von Werten, Wertsystemen, Wertorientierungen, veränderten Geschlechterrollen, Lebensverhältnisse, einem neues Verständnis von Hierarchie, andere Einstellungen etwa zu Karriere und Vergütungen. Stagnation seit über 100 Jahren begründen Bedeutungsverlust.
Erste Überlegung zu nötigen Reformen sind Antworten auf: „Was ist natürlich, gewachsen, konstruiert, verwachsen, degeneriert? (z. B. ist die deutsche Theater-Dichte noch tragbar, für absehbaren Verfall, für Neuordnung von Theatern und weiten Teilen der Wirtschaft?)“ Die überbordende deutsche Theaterlandschaft ist es nicht – wurde von Politikern aus Geltungsdrang in die Welt gepflanzt. Benötigt man Theater-Prachtbauten, die in ihren organisatorischen Strukturen rückständig geblieben sind, während alle anderen darstellenden Künste in Film, TV, Internet usw. rasante Entwicklungen gemacht haben? Überlebte Traditionen müssen befragt werden. Die Institutionen scheinen überlebt, die Kunstform ein unendlicher beglückender Makrokosmos.
Tim Theo Tinn 1.10.2022
TTT ‘s Musiktheaterverständnis vermeidet Reduktion auf heutige Konsens – Realitäten, Trash-Welten, Wirklichkeiten in Auflösung aller konkreten Umstände von Ort, Zeit und Handlung. Es geht um Parallelwelten, die einen neuen Blick auf unserer Welt werfen, um visionäre Utopien, die über der alltäglichen Wirklichkeit stehen – also surreal (sur la réalité) sind. Menschenbilder sind im psychosozialen Sein zu belassen. Musikalisch determinierte Charaktere sind irreversibel.
Profil: 1,5 Jahrzehnte Festengagement Regie, Dramaturgie, Gesang, Schauspiel, auch international. Dann wirtsch./jurist. Tätigkeit, nun freiberuflich: Publizist, Inszenierung/Regie, Dramaturgie etc. Kernkompetenz: Eingrenzung Feinstoffliches aus Archaischem, Metaphysik, Quantentheorie u. Fraktalem. Metaphysik befragt sinnlich Erfahrbares als philosophische Grundlage schlüssiger Gedanken. Quantenphysik öffnet Fakten zur Funktion des Universums, auch zu bisher Unfassbarem.. TTT kann man engagieren.