TTT – Wertewandel + Theaterreform: „Die Wahlesel“ von Heinrich Heine, 1855 – Wollen wir Esel (sein)?
Heinrich Heine ( https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Heine )
Lutz Görner rezitiert: (ein Vergnügen!) https://www.youtube.com/watch?v=amSBE0UTP1s 5.44 Min.
Der Text erscheint 1855 als satirischer Kommentar zu nationalistisch polemisch populistischem Gedankengut in jedwede Richtung. Zeiten haben sich geändert, Einsatz demagogischer Parolen – Rhetorik nicht.
„Die Esel“ handeln brillant ätzende Dilemmas von Traditionalismus, Kulturchauvinismus, („Chauvinismus ist der Glaube an die Überlegenheit der eigenen Gruppe“ Wikip. – Hier aufgegriffen), Nationalismus, Ethnozentrismus, etc. ab. Solche „Eseltümelei“ gebar dann auch rd. 100 Jahre später: „Wollt ihr den totalen Krieg?“ (s. Spiegel 2018 https://www.spiegel.de/geschichte/sportpalast-rede-von-joseph-goebbels-wollt-ihr-den-totalen-krieg-a-1193427.html )
Betrachten wir also nur kulturspezifische Werte assoziativ als Allegorie (sicher nicht 1 zu 1) im Disput von Verfechtern der Regietheater – Dekonstruktionen / Überschreibungen (Esel), denen man nach über 50 Jahren durchaus überlebten, erlahmten üblen Traditionalismus, ja schon theatral thematischen Historismus in oft nachbastelnder optischer Geschmacklosigkeit, Ästhetik, Gleichmacherei, Austauschbarkeit (PKWS,(s. aktuelle BSO – Premiere) schludrige Kleidung des 20. Jhdts., etc.), von nur noch behaupteter Modernität/ Avantgardismus attestieren kann. Ist das theatral totalitär? Das ist theatral totalitär!
Ich stelle auch intellektuelles Potential in Frage – deutlich: intellektuelle Strukturen meiner Antipoden können keine intelligenten, thematisch orientierten Geister ausmachen. Es wird Rambazamba aus „wunders was“, Unkultur, Trash (als minderwertiges kulturelles Phänomen) unwahr zur Intellektualität erhoben/ verklärt.
Wie beurteilt man Theaterleiter, Kritiker u. a., die diese verbrauchte Senioritis / Altertümelei gebetsmühlenartig hochjubeln?
Da wird der behauptete Rückschluss auf unser „Heute“ zur enthobenen Irritation im Vor-Vor- Vorgestern, gemeinhin auch zur unwahren, nie existent behaupteten Gegenwart.
Durch diese tristen Verblendungen erfolgen bei basaler Analyse dissoziale, vulgäre Angriffe auf unsere Wirklichkeit, die es so nicht gibt und gab, schon überwiegend gebildetes Publikum eigentlich anwidert, tatsächlich aber auch Theatrales absurd, blödsinnig, ärgerlich und überlebt werden lässt.
Warum will (Musik) – Theater fehlgeleitet sein? So wie Heine schon im ersten Satz ketzert: „ man habe Freiheit satt, wolle ein absolutistisches Regime“ ???
Damit wird die „Pferdepartei“ („Es gab eine kleine Pferdepartei“) in tatsächlichen Reformismus gesetzt: Reformen durch Fortsetzung, keiner Rückkehr zu der bis vor ca. 50 Jahren über Jahrhunderte gewachsenen, tradierten Musiktheater – Dramaturgie mit Kongruenz von Musik, Szene, Texten, Libretto. Keine altbackenen, modernistisch stagnierenden Dekonstruktionen/ Überschreibungen, sondern heutige, modern zeitgemäße, vorausstrebende Reflexionen in Parallelwelten (z. B. gemäß der Online – Merker – Reihe „Plädoyer zur Kraft surrealer Inszenierungen“, 10 Ausgaben)
„Die Väter sind nicht tot! Im Grab
nur ihre Häute liegen,
die sterblichen Hüllen. Vom Himmel herab
schaun sie auf uns mit Vergnügen.“
Die dekonstruierende Liga implantiert, mittlerweile in die Jahre gekommen, i.d.R. altmodische Langeweile und Unverständnis. Es ist ja nicht zu übersehen, dass der Zeitgeist der Entstehung (nicht die Bildsprache) des „Regietheaters“ gem. folgenden Bildern nun seit über 50 Jahren unverändert initial stagniert, nur noch kraftlosen Impetus besudelt:
Ein unverändert initial stagnierender Zeitgeist von anno dunnemals, der über ein halbes Jahrhundert keine Maßstäbe setzen konnte, gegen jede Theatralik des (Musik-) Theaters zur peinlichen Farce mutierte.
Diese Verödung wird aktuell erweitert, indem (Musik-) Theater nun auch weitere prägende Identitäten aufgeben und mit Cineastik / Kinowelten reüssieren wollen – das ist blasser Irr- und Unsinn, wirtschaftlich und künstlerisch. Dazu demnächst mehr.
Die Wahlesel
Die Freiheit hat man satt am End,
und die Republik der Tiere
begehrte, dass ein einzger Regent
sie absolut regiere.
Jedwede Tiergattung versammelte sich,
Wahlzettel wurden geschrieben.
Parteisucht wütete fürchterlich,
Intrigen wurden getrieben.
Das Komitee der Esel ward
von Alt-Langohren regieret.
Sie hatten die Köpfe mit einer Kokard,
die schwarz-rot-gold, verzieret.
Es gab eine kleine Pferdepartei,
doch wagte sie nicht zu stimmen.
Sie hatte Angst vor dem Geschrei
der Alt-Langohren, der Grimmen.
Als einer jedoch die Kandidatur
des Rosses empfahl, mit Zeter
ein Alt-Langohr in die Rede ihm fuhr,
und schrie: Du bist ein Verräter!
Du bist ein Verräter, es fließt in dir
kein Tropfen vom Eselsblute.
Du bist kein Esel, ich glaube schier,
Dich warf eine welsche Stute.
Du stammst vom Zebra vielleicht, die Haut
sie ist gestreift zebräisch.
Auch deiner Stimme näselnder Laut
klingt ziemlich ägyptisch-hebräisch.
Und wärst du kein Fremdling, so bist du doch nur
Verstandesesel, ein kalter.
Du kennst nicht die Tiefen der Eselsnatur,
Dir klingt nicht ihr mystischer Psalter.
Ich aber versenkte die Seele ganz
In jenes süße Gedösel.
Ich bin ein Esel, an meinem Schwanz
ist jedes Haar ein Esel.
Ich bin kein Römling, ich bin kein Slaw.
Ein deutscher Esel bin ich,
gleich meinen Vätern. Sie waren so brav,
so pflanzenwüchsig, so sinnig.
Sie spielten nicht mit Galanterei
frivole Lasterspiele.
Sie trabten täglich, frisch-fromm-fröhlich-frei,
mit ihren Säcken zur Mühle.
Die Väter sind nicht tot! Im Grab
nur ihre Häute liegen,
die sterblichen Hüllen. Vom Himmel herab
schaun sie auf uns mit Vergnügen.
Verklärte Esel im Gloria-Licht!
Wir wollen Euch immer gleichen
und niemals von dem Pfad der Pflicht
auch nur einen Fingerbreit weichen.
O welche Wonne, ein Esel zu sein!
Ein Enkel von solchen Langohren!
Ich möcht es von allen Dächern schrein:
Ich bin als ein Esel geboren.
Der große Esel, der mich erzeugt,
er war von deutschem Stamme.
Mit deutscher Eselsmilch gesäugt
hat mich die Mutter, die Mamme.
Ich bin ein Esel, und werde getreu,
wie meine Väter, die Alten,
an der alten, lieben Eselei,
am Eseltume halten.
Und weil ich ein Esel, so rate ich Euch,
den Esel zum König zu wählen.
Wir stiften das große Eselreich,
Wo nur die Esel befehlen.
Wir alle sind Esel! I-A! I-A!
Wir sind keine Pferdeknechte.
Fort mit den Rossen! Es lebe, hurra!
Der König vom Eselsgeschlechte!
So sprach der Patriot. Im Saal
die Esel Beifall rufen.
Sie waren alle national,
Und stampften mit ihren Hufen.
Sie haben des Redners Haupt geschmückt
mit einem Eichenkranze.
Er dankte stumm, und hochbeglückt
wedelt er mit dem Schwanze.
TTT