Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

TTT Sekundärtext II zu „Literarisches Sentiment…“ 11, Andreas Gryphius (1616 – 1664)  (folgt)      

01.02.2024 | Themen Kultur

TTT Sekundärtext II zu „Literarisches Sentiment…“ 11, Andreas Gryphius (1616 – 1664)  (folgt)      

Theater 2024 – Sein oder Nichts sein? Fauler Zauber, Seelen – Nahrung oder  Snack?      

zau

Text modifiziert mit etwas sperrig wissenschaftlichen, akademisch exaltierten Auszügen aus „Kulturvermittlung in klassischen Kultureinrichtungen: Ambivalenzen, Widersprüche und Impulse für Veränderungen“  Universität Hildesheim, Prof. Birgit Mandel, 2018. Mit den z. T. arrogant elitären Thesen stimme ich nicht immer überein. Fundierter Meinungsvielfalt soll jedoch genügt werden.

https://www.kubi-online.de/artikel/kulturvermittlung-klassischen-kultureinrichtungen-ambivalenzen-widersprueche-impulse

Als Wertloses, Abzuwertendes, Verfehltes etikettiert man „Faulen Zauber“. Da Visionen neuer Bühnen-Universen seit bald 60 Jahren ausbleiben, erlebt man diese Stagnation als zunehmende Abflachung und Trivialität immer gleicher Inszenierungsansätze in Raum und Zeit überholter,  versumpfter Dekonstruktionen und Überschreibungen (Regietheater). Nahe Zukunft wird diese Einschätzung be – mglw. widerlegen.

Prof. B. M.: „Dabei kann und muss es selbstverständlich Unterschiede geben zwischen solchen kulturellen Einrichtungen, die auf hohem fachwissenschaftlichen Niveau künstlerisch oder forschend arbeiten und nur für eine kleine Gruppe von Interesse sind und solchen, die für viele kulturelle Bildung, Anregung, Austausch, Freizeitvergnügen bereiten sollen. Der Reichtum und die hohe Dichte der institutionellen Kulturlandschaft in Deutschland lässt sich angesichts starker demografischer Veränderungen jedoch vermutlich nur dann aufrecht erhalten, wenn die Einrichtungen ihr Aufgabenspektrum überdenken und je nach Auftrag und Position in einer Stadt oder Region auch erweitern und sich offensiv für eine heterogene Bevölkerung öffnen.

Gerade das zeitgenössische Regietheater in seiner elaborierten Form forciert die gesellschaftliche Trennung verschiedener sozialer und ethnischer Gruppen, indem es genau diese Differenzen durch seine bildungshuberischen (besserwisserischen) Barrieren kunstvoll zementiert. Und sei es noch so dekonstruktiv oder popkulturell: Letztlich steht das aktuelle Theater, von rühmlichen Ausnahmen abgesehen, für die affirmative Selbstvergewisserung eines überschaubaren Milieus, einer Gruppe von speziell gebildeten, wohlhabenden, meistens weißen Menschen, für die der Kokon aus Bühne und Zuschauerraum zum Naherholungsgebiet des unverfänglichen Unter-Sich-Seins geworden ist (Bicker 2015:4).“                                                                                                                   

Bei den Recherchen dieser Reihe fällt auf, dass Theater Kunst und Kultur solche tiefgründigen literarischen Sentiments weitgehend ignorieren. Aktuell am Beispiel Andreas Gryphius‘, dessen Inhalte nach über 360 Jahren immer noch tagesaktuell wirken (folgt in wenigen Tagen).

Seit geraumer Zeit werden hier literarische Perlen, Gedichte u.a., in  Texte eingeflochten. Theater in seiner Funktion als Bewahrer und Verwalter kulturellen Erbes scheint verloren, aber z. B. lyrische Kunst, die Gedichte müssen wieder in unsere Lebensmitte geholt werden – das ist kulturelles Welterbe, das nur überlebt, wenn es vor dem Vergessen bewahrt wird.

Tatsächlich gibt es kein Theater fein zeichnender Dramaturgien mehr!

Literarische Meilensteine, Perlen unserer Kultur werden im Online Merker in dieser Reihe seit 6/2023 in Erinnerung gebracht: bisher Gottfried Benn, Virginia Woolf,  Stefan Zweig, Theodor Storm, Heinrich Böll, Honoré de Balzac, Ernest Hemingway,  Gustav Freytag,  Hermann Hesse.

Prof. B. M.: „Kulturvermittlung könnte ein Motor für Veränderungsprozesse klassischer Kultureinrichtungen sein, wenn Vermittlung als Funktion begriffen wird, die nicht nur zwischen künstlerischen Produktionen und unterschiedlichen Zielgruppen vermittelt, sondern auch zwischen den verschiedenen Perspektiven und kulturellen Interessen (Hentschel 2016) – wie denen der Akteure des Kunstbetriebs an künstlerischer Innovation und Autonomie (Babias 1995), den Distinktionsbedürfnissen eines hochgebildeten „Kernpublikums“ und den Unterhaltungsbedürfnissen eines Laien-Publikums. Über eine Auseinandersetzungen in den Einrichtungen mit verschiedenen Interessen und Sichtweisen auf die von ihnen angebotene Kunst und Kultur können Anstöße resultieren, Programm und Programmatik zu erweitern und zu verändern“.

 

Blasse Theaterseele: Alternativen zur fehlenden Gefühlstiefe der Inszenierungsmiseren im Musiktheater!

Grundlagen der Reihe sind das dürftige Sentiment dramatischer Dichte am Theater im Unterschied zu prallen schriftstellerischen Gefühlswelten. Es fehlt Evokation (= suggestive Erweckung bildhafter  Empfindungen, zu Sinnbildern, Allegorien, Emotionstransfers), somit dramaturgisches Handwerk der Inszenatoren „nonvisuelle“  Ebenen, Gefühle zu erwecken, die sich der Sphäre des Optischen entziehen.

Jenseits Physisch-Optischem könnten feinstoffliche Phänomene der Sinnlichkeit (s. auch Quanten) tiefe menschliche Regungen bilden. Deren Qualitäten verblassen am Theater = Lebenskraft entweicht!

Warum können wir  kraft Kino oder Literatur ein emotionales Verhältnis zu Charakteren und deren Sein aufbauen? Welche Konsequenzen kann dieses imaginäre Erleben auf uns, auf das Verhältnis zu unserer Realität haben? Warum ist diese Kraft am Theater verrottet?

Es bleibt rätselhaft, warum Musiktheater szenische Dekonstruktionen üblicherweise ohne werkimmanente planvolle Evokation produzieren (Hinweise findet man bei akribischer Sichtung in jedem Text und Komposition inklusive Libretto), dafür jenseits ihres Kulturauftrages fabulierte Inhalte quasi als Unterrichtseinheit (notwendigerweise meist durch Programmhefte erläutert) auftragen, deren Grundlagen oft hanebüchen sind.

Behauptete Realität wird durch dilettantisch fabulierte Zeitproblematik veralbert. Es wird etwas geschaffen, das qualitativ zerfallen muss, mangels Substanz keine Rezeption als Kulturgut findet,  von manchen nur noch als belächeltes Spektakel hingenommen wird. Auf Dauer wird auch finanzierende Politik diese Unwuchten erkennen.

Wie können Macher und Kritiker solche Deutungen als Hochkultur apostrophieren? Oder kennen wir regelmäßig gelungene Dekonstruktionen / Überschreibungen, die dramatisches Gewicht entwickeln, als Kunstwerk betrachtet weitere szenische Interpretationen erfahren, also als eigenständiges neues Drama Bestand erlangen können, somit Inspiration werden (ggf. Chereau – Ring)?

Prof. B. M.: „Damit sie diese anspruchsvolle Aufgabe bewältigen können, benötigen sie profundes künstlerisches Fachwissen, um inhaltlich kompetent mit dem künstlerischen Team zusammenzuarbeiten, ebenso wie künstlerisch-ästhetische Gestaltungskompetenz, um Laien tatsächlich „auf Augenhöhe“ in die Arbeit einbeziehen zu können und auch unter künstlerischen Aspekten Qualität … zu schaffen.

Denn die künstlerische Arbeit … erfordert hohe Inszenierungskompetenz. Wissen über die Erkenntnisse aus der kulturellen Bildungsforschung sind notwendig, um zu verstehen, wie und unter welchen Bedingungen kulturelle Selbstbildungsprozesse bei unterschiedlichen Gruppen von Teilnehmenden ermöglicht werden können. Kulturvermittler*innen in Institutionen brauchen neben Wissen über Kunst, Kultur und ihre spezifischen Codes auch Verständnis für die Barrieren, die damit oft verbunden sind. Nur dann können sie künstlerische Produktionen neu kontextualisieren und Anschlüsse schaffen für ein Nicht- Expert*innen-Publikum. Die eigene Begeisterung für die Kunst und Kultur, der von ihnen betreuten Einrichtungen, muss verbunden werden mit Wissen um kulturelle Machtverhältnisse und Offenheit für andere Kunst- und Kulturinteressen.

Damit verbunden ist ein Bewusstsein der verschiedenen Logiken, Denk- und Arbeitsweisen von Kultur-, Bildungs- und Sozialinstitutionen, die in Kulturvermittlungsprojekten zusammen kommen. Wissen über Change Management-Prozesse in Organisationen kann dazu beitragen, Hindernisse bei den Öffnungsversuchen einer Einrichtung für eine breitere Nutzer*innenschaft zu verstehen und um die Hebel zu wissen, die Veränderungen begünstigen.“

Grundsätzlich falsch ist begriffliche Zuordnung als Inszenierung z. B. in Rezeptionen /Kritiken. Deren Autoren irren, wenn sie sich so solchen Werken widmen, die mit angekündigter Schöpfung nicht mehr kongruent sind, da die Handlung dekonstruiert / überschrieben wurde, durch die oft erwähnten „Rübenrausch – Monumente“. Das ist neu Fabuliertes unter Missbrauch tiefgründigen Weltkulturerbes, der Originale.

Es bleibt unverständlich ärgerlich, warum die Gilde der Theaterleiter keinen Wert auf Erhaltung originalen Kulturgutes legt, unter dem unsäglichen Hinweis auf überholte Werktreue. Dabei dürfte der Unterschied Werktreue / Werkimmanenz manchen kognitiven Horizont überschreiten.

Zu werkimmanenten neuen Inszenierungsperspektiven sind z. B. 10 Plädoyers „Zur Kraft surrealer Inszenierungen“ im Online Merker erschienen.

In üblichen aus regulärer Bildung folgernden Beurteilungen werden solche Methoden andernorts als falsch, jeglicher Logik widersprechend, missbilligt, ggf. mit schlechtesten Schulnoten – Thema verfehlt!

Das ist in verbreiteter Opernkritik offensichtlich noch nicht überall angekommen. Hier greift einmal mehr Konformismus /Anpassung statt eigenständigem Denken, Motto: „ Leute fresst mehr Scheiße, 1000sende Fliegen können nicht irren!“

Ich lehne es ab mich am Stuhlgang Weniger zu delektieren, auch wenn dem Viele noch genügen wollen.

Prof. M. B.: Anders als Bibliotheken sind klassische Kultureinrichtungen wie Theater, Konzert- und Opernhäuser oder Museen Kulturorte, die mit einer hohen symbolischen Wertigkeit und einem oftmals eher elitären Image als „Kulturtempel“ aufgeladen und darum als „dritte Orte der Begegnung“ keineswegs neutral sind und dem entsprechend sehr reflektiert und pro-aktiv mit dieser symbolischen Distinktion umgehen müssen. Verbunden damit ist die Herausforderung, die „hochkulturell“ aufgeladenen Orte in ihrer Symbolik zu erweitern, um damit neuen, potentiellen Besucher*innen- und Nutzer*innengruppen zu vermitteln, dass dies auch ihr Ort sein könnte.

Gegenwärtig lässt sich leider in Deutschland feststellen, dass trotz einer starken Zunahme an Kulturvermittlungsprogrammen in den Einrichtungen, diese in ihren „Kernprogrammen“ oft nicht zugänglicher werden (u.a. Bishop 2013). Aufgrund von Über-Komplexität und Leerstellen der Produktion und Präsentation künstlerischer Artefakte von Seiten der Kunst-Akteure in den Kultureinrichtungen wird ein nicht vorgebildetes, Nicht-Fachpublikum weiterhin ausgegrenzt. Eine tatsächliche Öffnung der Einrichtungen würde nicht nur Vermittlung als nachgelagerte Kommunikationsaufgabe, sondern auch die Auseinandersetzung mit den künstlerisch-kulturellen Programmen und den Kultur- und Unterhaltungsansprüchen einer vielfältigen potentiellen Nutzer*innenschaft beinhalten, für die kulturelle Angebote mehrheitlich neben neuen Anregungen auch Freizeit, soziales Zusammensein, Abwechslung vom Alltag und Entspannung implizieren.

„In den Künsten und den Kunst-Diskursen halten sich bestimmte Herrschaftsansprüche und Dogmen besonders hartnäckig“ (Rat für kulturelle Bildung 2015:17). Auf subtile, vermutlich oft unbewusste Weise, häufig mit Referenz auf die Kunstautonomie und Qualität der Künste, werden Distinktionen aufrecht erhalten, die einen Großteil der Bevölkerung von Erfahrungen mit den Künsten und Kulturinstitutionen ausschließen.“ (s. manche Print – Medien – Kritiker)

Es offenbart sich auch hier ein verbogenes Verständnis des Kulturauftrags der Theater, der u.a. auch Bewahren und Pflege kulturellen Erbes vorsieht. Bewertet man gegenwärtige Kultur der Überschreibungen und Dekonstruktionen, landet man in Subkultur (s. verzerrende Trash – , Asozialen-, Randgruppen – Milieus, die z. B. keine Anbindungen (weder rational noch evokativ) an Themen bestehender Kompositionen und  Libretti erschließen (halt Rübenrausch!).

Warum greifen Theater z. B. die lyrischen Weltkulturerbe / Gedichte dieser Reihe nicht auf, z. B. durch tägliche eintrittsfreie Lesungen (auch auf öffentlichen Plätzen – München z. B. „Englischer Garten “) von z. B. 18 – 19 Uhr. Das wäre Ernst genommener Kulturauftrag statt Einstampfen universalen Weltkulturerbes durch Dekonstruktionen und Überschreibungen.

So könnte Jedermann immer mal Theater erschnuppern, z. B. mit  Kulturperlen in den Feierabend gehen, schnell und einfach zwischendurch als kulturellen „snack“ und ggf. bisher fremde, spannende Kunst und Kultur  entdecken – es muss ja nur gut sein (sagte einst Prof. Otto Schenk zu mir!).

Tim Theo Tinn 1. Febr. 2024

zuua

15 Jahre Festengagements Schauspiel u. Musiktheater, u.a. Deutsche Oper am Rhein, Bayerische Staatsoper, div. Fernsehproduktionen, freie Kindertheaterproduktionen, begleitend Gesangs- ( Hendrikus Rootering u. a.) / Schauspiel-/Sprechausbildung.

Mitarbeit an über 100 Musiktheater- u. Schauspielinszenierungen (Assistent, Spielleiter, Dramaturg, Regisseur, Sänger, Schauspieler). Ca. 2000 Vorstellungen, davon ca. 200 an der bayerischen Staatsoper, als verantwortlicher Spielleiter. Neben vielen anderen enge Zusammenarbeit mit: Ponnelle, Otto Schenk, Herlischka, Reinhard, G. Strehler, Everding, G. Barfuss, U. Brecht, Kindermann, Düggelin, G. C. del Monaco, Hartleb, Roth, Dejmek, Wonder, C. Kleiber, Sawallisch, Patanè, Schneider-Siemsen, Lehnhoff und viele andere.

 

 

 

Diese Seite drucken