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TTT: Literarisches Sentiment versus blasser Theaterseele Nr. 9  – Virginia Woolf –  Prägen Penetrationen in Kindheit (ab 5) durch Brüder / Vater (?) über Jahrzehnte Irrelevanz einer Feminismus – Ikone?

08.11.2023 | Themen Kultur

TTT: Literarisches Sentiment versus blasser Theaterseele Nr. 9   Virginia Woolf –

 Prägen Penetrationen in Kindheit (ab 5) durch Brüder / Vater (?) über Jahrzehnte Irrelevanz einer Feminismus – Ikone?

 Alternativen zur fehlenden Gefühlstiefe der Inszenierungsmiseren im Musiktheater!

wool

Generisches Maskulinum gilt elementar geschlechtsneutral, ohne Diskriminierung Abinärer (diversgeschlechtlich) durch  Gendersternchen: … *innen!

 Militante und andere feministische Orientierungen an Virginia Woolf dürften nur als vergangener Zeitspiegel und erschreckendes Einzelschicksal relativierend erfolgen!

 Von moralischem Totalitarismus: Hören Sie auf, Sie beleidigen uns!

 „Abgesehen davon, dass die Auswüchse von #MeToo mit Rechtsstaatlichkeit nichts mehr zu tun haben, hat sich Feminismus in eine Opferrolle hineingetwittert, die so schlicht nicht mehr vorliegt. Wir leben nicht mehr im Patriarchat, sondern in einer extrem vielschichtigen Übergangsphase. Es gibt noch real existierende Unwuchten, sicher. Aber wir Frauen sind doch konstitutiver Teil dieser Unwuchten

 … ich fordere, dass auch Frauen eine kritische Distanz zu sich selbst einnehmen, anstatt nur #MeToo zu tippen und auf den Mann zu zeigen. Wir haben ganz bestimmte Verhaltensweisen inkorporiert in den Jahrhunderten des Patriarchats: Passivität, Gefallsucht, Minderwertigkeitsgefühle. Das führt dazu, dass wir uns auch in Situationen, in denen wir die Möglichkeit hätten, autonom zu handeln, genau das oft nicht tun.

 Wenn mich ein Vorgesetzter fragt, ob ich mit ihm auf einem Hotelzimmer ein Bewerbungsgespräch führe, kann ich selbstverständlich ganz souverän sagen: Nein, danke. Wenn dann eingewendet wird: Ja, aber dann kriegt die Frau doch den Job nicht! Dann muss ich sagen: Ja, das ist Autonomie.

Gibt es den Teufel eigentlich auch in weiblicher Form? Ist das Teil irgendeines Diskurses oder darf der als einziger männlich bleiben?

Sehr interessant, aber auch lang, ab 2. Drittel empfohlen:     https://taz.de/Von-moralischem-Totalitarismus/!168884/

 Missbräuche in größter Erbarmungslosigkeit reichen fatalerweise in die Gegenwart, historische Bestialität von Menschen wuchert bis heute. Deshalb dürften jedoch in jeglichem  Feminismus keine pauschal allgemeingültigen Überhöhungen dieser Schrecken über alles Maskuline ausgebreitet werden. 

 Eklatantes Beispiel bieten aktuell die Umstände am Karlsruher Theater. Nach feministischer Übernahme wurden sämtliche Männer aus leitenden Strukturen entfernt, dann scheiterte man „Pardauz“ völlig. Heute sind wieder unlimitiert Menschen aktiv.

 Feminismus als bürgerliche Angelegenheit

 Der Feminismus des deutschen Theaters, … ist eine zutiefst bürgerliche Angelegenheit. Es geht um einen größeren Anteil an den Privilegien der Männer …  Konkurrenz statt Klassenkampf, ganz im Sinne der regierenden Männer und Frauen. … gewinnt an Glaubwürdigkeit, wenn sie oder er mehr Gerechtigkeit für alle anstrebt und nicht nur die Verteidigung der eigenen Interessen.

 Weiter lesen nicht empfohlen: https://www.kulturaextra.de/theater/spezial/thema_ThomasRothschild_AnnaBergmann.php

 Somit ist V. Woolfs Adaption durch heutigen Feminismus im Licht einer anderen Gesellschaft ohne Relevanz der nicht repräsentativen kindlichen sexuellen Gewalterfahrungen und eines Lebenswandels sexueller Eskapaden zu sehen, denen Virginia Woolf unterlag. 

 Denn das waren Verbrechen, wie sie mittlerweile z. B. bei nahezu allen Konfessionen an Kindern jeglichen Geschlechts aufgedeckt und nicht geahndet werden!

 Natürlich alles unter Beachtung s. o. „noch real existierender Unwuchten“ der Geschlechtergleichheit.

 Überdies leben wir auch in allgemein wandelnden Konstellationen vitaler Welt und feinstofflicher Universen (neue eingestandene Empfindungskosmen, Empathie, Resilienz u. a.). Nach Jahrhunderten kognitiv verhärteter Seelen öffnet sich die Menschheit zaghaft ehemals archaisch verinnerlichten Gefühlssphären. (s. Naturvölker + Quanten)

 Aber auch die unfassbare Schändung dieses Kindes findet in  Literatur und Publikationen nur eingeschränkte Erwähnung, kaum Wertung zur Frage menschlicher Verwahrlosung.                                   

Dazu auch: TTT – Geschändete Körper, geschändete Welt, bestialisierte Menschheit – energetische Wurzeln (Quanten)? Theater antizipieren!   

„Menschen haben derzeit die Chance immerwährende monströse, maßlose Bestialität ihrer Gattung wahrzunehmen.“

https://onlinemerker.com/ttt-geschaendete-koerper-geschaendete-welt-bestialisierte-menschheit-energetische-wurzeln-quanten-theater-antizipieren/

 Abschiedsbrief vor Suizid 1941 (mit 59):

 „Liebster, ich spüre mit Sicherheit, dass ich wieder verrückt werde. Ich glaube, dass wir diese schreckliche Zeit nicht noch einmal durchstehen können. Dieses Mal werde ich mich nicht erholen. Ich beginne, Stimmen zu hören, und ich kann mich nicht konzentrieren. Ich tue also, was das Beste zu sein scheint. Du hast mir das größtmögliche Glück geschenkt. Du bist mir in jeder Weise all das gewesen, was jemand sein kann. Ich glaube nicht, dass zwei Menschen hätten glücklicher sein können, bis diese schreckliche Krankheit kam. Ich kann nicht mehr kämpfen. Ich weiß, dass ich Dein Leben verschwende, dass Du ohne mich arbeiten könntest. Und das wirst Du, das weiß ich. Du siehst, nicht einmal das hier kann ich ordentlich schreiben. Ich kann nicht lesen. Was ich sagen will, ist: Ich verdanke alles Glück in meinem Leben Dir. Du unglaublich geduldig und gut zu mir. Ich möchte das sagen – jeder weiß es. Wenn mich jemand hätte retten können, wärst Du es gewesen. Mich hat alles verlassen außer die Gewissheit Deiner Güte. Ich kann Dein Leben nicht länger verschwenden.

Ich glaube nicht, dass zwei Menschen hätten glücklicher sein können, als wir es waren!“

Ich will noch nicht sterben

„Der „allzu billigen Wirklichkeit“ misstraute diese Frau aus gutem viktorianischen Haus und ging auf die Reise nach Innen. Sie erforschte in Gedankenströmen und inneren Monologen die Totalität des Lebens und verwandelte fließende Zeit in schwebende Texte: „Mrs. Dalloway“, Orlando“, „Die Wellen“, „Die Jahre“ … Virginia Woolf war zart, aber nicht zimperlich.

Und voller Widersprüche: Feministin und Snob, schüchtern, verletzbar, panisch und aggressiv, häufig am Rande des Nervenzusammenbruchs, wenn sie wieder mal Stimmen hörte. … Beim Schreiben balancierte sie ständig auf dem schmalen Grat von Selbstbehauptung und Selbstzerstörung. …

Und manchmal wünschte sie sich einfach nur „Kohlrüben & Frieden & Häuslichkeit“. Ihre scharfe Zunge war gefürchtet und geschätzt. Ihre Neigung zu Klatsch und Tratsch lebte sie in Briefen aus.

Schreiben ging ihr über alles. Bis zum Ende: „Ich lasse mich von diesem Verzweiflungstief nicht verschlingen, das schwöre ich. Die Einsamkeit ist groß … Ich brauche einen Energieschub, wie früher“, klagt sie im Januar 1941. Zwei Monate später gibt sie auf.“

Weiterlesen, sehr interessant: https://www.welt.de/wams_print/article2105460/Ich-will-noch-nicht-sterben.html

 Zitate Virgina Woolf:

Kunst ist kein Abbild der realen Welt! Eine ist, bei Gott, mehr als genug!

 Anmerkung: Auch danach sind Regietheater – Exegesen  in dekonstruierter Gegenwart keine Kunst, sondern ungenügende Kolportagen.

  Je ungebildeter der Mensch, umso größer sein Glaube.

Man kann vielleicht nur ganz an das glauben, was man nicht sehen kann.

 Keine Leidenschaft ist stärker in der menschlichen Brust als das Verlangen, andere glauben zu machen, was man selbst glaubt.

Alles, was ich Ihnen sagen kann, ist, dass ich entdecke, als ich zu schreiben begann, dass eine Frau – es klingt so einfach, aber ich sollte mich schämen, Ihnen zu sagen, wie lange ich brauchte, das selbst zu entdecken – nicht ein Mann ist. Ihre Erfahrung ist nicht die gleiche. Ihre Traditionen sind anders. Ihre Werte, sowohl in der Kunst wie im Leben, sind ihre eigenen.

Je älter man wird, desto mehr liebt man das Anstößige!

Der einzige Rat, den man jemand fürs Lesen geben kann, ist tatsächlich der, keinen Rat anzunehmen, dem eigenen Instinkt zu folgen, den eigenen Verstand zu gebrauchen und zu eigenen Schlussfolgerungen zu kommen.“

 Es ist tausendfach zu bejammern, nicht zu sagen, was man fühlt.

 Es gibt keinen Grund, zu strahlen. Es ist nicht notwendig, jemand anderes als man selbst zu sein.

 Der Erfolg eines Meisterwerkes scheint nicht so sehr darin zu liegen, dass es frei von Fehlern wäre – tatsächlich tolerieren wir in ihnen allen selbst die gröbsten Schnitzer -, sondern in der enormen Überzeugungskraft eines Geistes, der seine Perspektive vollständig gemeistert hat.

 Welche Bedeutung hat das Gehirn im Vergleich zum Herzen?

 Die Fiktion ist wie ein Spinnennetz, das vielleicht nur ganz leicht, aber doch an allen vier Ecken mit dem Leben verbunden ist. Oft ist die Verbindung kaum wahrnehmbar. 

 Anmerkung: Auch hier ein Hinweis, welchen Raum darstellende Kunst statt Trash – Regietheater einnehmen müsste: Fiktionen  – Parallelwelten, die einen neuen Blick auf unserer Welt werfen, auf visionäre Utopien, die über der alltäglichen Wirklichkeit stehen – also z. B. surreal (sur la réalité) sind.

 Virginia Woolf (* 25. Januar 1882 in London; †28. März 1941) war eine britische Schriftstellerin und Verlegerin. Sie entstammte einer wohlhabenden Intellektuellen-Familie, die zahlreiche Kontakte zu Literaten hatte.

 Als Jugendliche erlebte sie die viktorianischen Beschränkungen für Mädchen und Frauen.  Sie war früh als Literaturkritikerin und Essayistin tätig; ihre Karriere als Romanautorin begann im Jahr 1915 mit dem Roman „The Voyage“ (Die Fahrt hinaus). Ende der 1920er Jahre war sie eine erfolgreiche und international bekannte Schriftstellerin.

 Woolf wurde in den 1970er Jahren wiederentdeckt, als ihr Essay „A Room of One’s Own“ (Ein Zimmer für sich allein) (s. Anhang) aus dem Jahr 1929 zu einem der meistzitierten Texte der neuen Frauenbewegung wurde.

 Mit ihrem avantgardistischem Werk zählt sie neben Gertrude Stein zu den bedeutendsten Autorinnen der klassischen Moderne.

 Leben – Werk – Rezeption: https://de.wikipedia.org/wiki/Virginia_Woolf

 Inszenierung eines Opfers – Sexuelle Verschlingungen

 Virginia Woolf. Auswirkungen sexuellen Missbrauchs auf  Leben und Werk                                    

„1941 schrieb sie: Ich finde es interessant, dass Du nicht über Onanie schreiben kannst. ..da aber unser Leben zu einem so großen Teil aus Sexualität besteht …

Woolf war Zeit ihres Lebens daran interessiert, sich selber in ihren Gefühlen und Motiven durchsichtig zu werden, die Ereignisse ihres Lebens zu einer plausiblen seelengeschichtlichen Kette zu verknüpfen.

… Zentralfigur der literarischen Moderne ist, sondern auch als Kronzeugin eines frühen Feminismus gilt. … 

Die Schwester Vanessa heiratet den Bohemien Clive Bell, der schnell das Interesse an ihr verliert und eine Liaison mit seiner Schwägerin Virginia anfängt. Später verliebt Vanessa sich in Duncan Grant, den Liebhaber ihres homosexuellen Bruders Adrian; mit ihm hat sie ein Kind, Angelica.

Die wiederum wird einen Liebhaber ihres Vaters heiraten. Die Schwestern Vanessa und Virginia unterhalten sexuelle Beziehungen miteinander;

Virginia hat lebenslang Affären mit Frauen, heiratet aber mit Leonard Woolf einen jungen Mann aus dem überwiegend homosexuellen Freundeskreis ihres Bruders Thoby.

…  zum ideologischen Wunschbild der Frauenbewegung, die sich Virginia Woolf als Galionsfigur ihres Kampfes gegen die Männergesellschaft zurechtgestutzt hatte, passte die Vorstellung einer intellektuell und moralisch autonomen Frau ironischerweise sehr schlecht.

… Wenn die Frauenbewegung sich ihre Radikalität erhalten will, muss sie aufhören, an der Domestizierung von Sexualität mitzuarbeiten, indem sie etwa glauben macht, es würde ein sexueller Frieden ausbrechen, sobald nur die Männer das Feld räumen.

…  sexuelle Gewalt an Kindern den Verdacht geäußert, dass die publizistische Hochkonjunktur dieses Themas gar nicht dem Interesse an Aufklärung und Beseitigung des Übels dient, sondern Züge einer parareligiösen Erweckungsbewegung trägt, …

  1. T. abstoßende Details sexuellen Mißbrauchs: https://www.spiegel.de/kultur/inszenierung-eines-opfers-a-9d0e2662-0002-0001-0000-000013490264

Wie seriös kann weltanschaulicher Bezug auf eine Person sein, die lebenslang von  krankhaften psychischen Prägungen in ihre Außenwirkung durchdrungen ist? Pathologisch nennt man solch krankhaftes Verhalten, findet Ausdruck in extremen Lebensformen.

In dieser Perspektive wird so manch ertragreiches Geschäftsmodell, wie z. B. von Alice Schwarzer, fragwürdig. Neuerlich fallen entlarvend augenscheinlich idealistisch geprägte Aktivitäten auseinander, wenn man z. B. eine erlöschende Ikone wie Greta Thunberg bewertet.

Damit wird keine  grundsätzliche Gesinnung pauschal negiert. Es bleiben Risiken, durch modernistisch verfremdete idealistische Inhalte, Menschen zu instrumentalisieren, wie auch durch politische Statements aller Couleur. 

Infragestellung:  Alice Schwarzers „Emma“ Zeitschrift reduziert psychische Erkrankung auf physische Dimensionen!  Stärkung ihres Geschäftsmodells?  Die starke Virginia                                                                                                            

… eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen und Feministinnen dieses Jahrhunderts, sie ist auch eine vielstrapazierte Projektionsfläche – die Frauenbewegung nicht ausgenommen …

Dabei wurde die Künstlerin Virginia Woolf häufig auf spektakuläre Ereignisse ihrer Biographie reduziert – von Männern („War Virginia Woolf geisteskrank?“ bzw. „War Virginia Woolf verrückt?“), aber auch von Frauen. „Virginia Woolf war eine normale Frau, die eine Krankheit hatte.“

https://www.emma.de/artikel/virginia-woolf-die-starke-virginia-263825

Virginias Gesundheit

Ihre Erkrankung taucht das 1. Mal auf als sie einen Nervenzusammenbruch erlitt – ausgelöst durch den Tod der Mutter. Wahrscheinlich begann ihre Krankheit aber schon früher: mit dem sexuellen Übergriff durch ihre Halbbrüder, als das Mädchen 5 Jahre alt war.

Seit dem lehnte sie ihren Körper ab, konnte ihre Schönheit  nicht sehen und blieb sexuell gehemmt. Erst in die Zeit, als sie 15 Jahre alt war und begann, ihr, mittlerweile berühmtes, Tagebuch zu führen, fallen weitere bezeugte Berichte über ihre Krankheit.

Sie war aggressiv, extrem gereizt, hatte einen erhöhten Pulsschlag und schlief wenig. Nach dem Tod ihres Vaters fiel sie in schwere Depressionen und auf einer Parisreise, die sie kurz danach tätigte, begann sie zu toben, magerte ab, hatte Schlafstörungen, hörte Stimmen und sprang schließlich aus dem Fenster, ohne sich jedoch ernsthaft zu verletzen. Seit dem wurden ihre Krankheitsepisoden, die auch immer häufiger vorkamen, stetig schlimmer.

Während akuter Krankheitsphasen steckte sie in schweren Depressionen, war überwältigt von hoffnungsloser Melancholie, wollte kaum sprechen oder essen und war selbstmordgefährdet. In manischen Perioden befand sie sich in einem Zustand heftiger Erregung und unbändiger Euphorie, in dem sie unablässig redete und in einer Welt von Wahnvorstellungen lebte.

1911 machten ihre schweren Depressionen einen Klinikaufenthalt notwendig, 1913 versuchte sie sich, aufgrund der immer wiederkehrenden Symptome ihrer Erkrankung, mit Schlaftabletten umzubringen.

1941 beging sie ihren 3. und letzten Selbstmordversuch.

Erfolgreich. Da sie, wie sie in ihrem Abschiedsbrief an ihren Mann schrieb, keine weitere Krankheitsepisode mehr ertragen könne.

Ihre Werke schrieb sie ausschließlich in Krankheitsperioden. Sie empfand ihr Schreiben als eine Art Therapie für sich , obwohl es dabei immer wieder zu geistigen wie körperlichen Schwächeanfällen und Zusammenbrüchen kam, in deren Folge es oft Wochen und Monate dauern konnte, bis sie wieder in der Lage war, in ihr normales  Leben zurückzukehren.

„Wenn ich noch zwei Wochen im Bett zubringen könnte (Es ist aber unmöglich), so meine ich, würde ich „Die Wellen“ beenden…..ich glaube, in meinem Falle sind diese Krankheiten gewissermaßen mythisch. Etwas geschieht mit meinem Geist … er weigert sich, weitere Eindrücke aufzunehmen. Er verschließt sich, verpuppt sich. Ich bleibe bewegungslos liegen, oft mit größten körperlichen Schmerzen, wie im letzten Jahr. Es ist ein einziges Leiden, und dann entsteht etwas daraus.“                                          

Sonst nicht wichtig: Virginia Woolfs Tagebuch, Auszug 1930:  https://www.die-inkognito-philosophin.de/virginia-woolf-zitate

11 Songs, die von Virginia Woolf inspiriert wurden (mit youtube Einspielungen)

  1. T. leider viel Lärm mit interessanten Texten

https://www.musikexpress.de/virginia-woolfe-in-der-popkultur-1004701/

 Feminismus-Pionierin Virginia Woolf: Eine Kindheit, so privilegiert wie überschattet

 Kaum jemand vor ihr hat den Gedankenstrom unter der menschlichen Schädeldecke so präzise protokolliert, kaum jemand so geistreich die Gleichberechtigung der Frau postuliert. Die englische Schriftstellerin Virginia Woolf gilt heute als eine der einflussreichsten feministischen Autorinnen des vorigen Jahrhunderts und als Pionierin der literarischen Moderne.

Doch sie ist auch eine tragische Figur: Die hoch begabte Gelehrten-Tochter wurde als Mädchen missbraucht, litt zeitlebens unter Depressionen und ertränkte sich schließlich mit 59 Jahren.

Man pflegt einen elitären Nonkonformismus mit Spaß an der Provokation. 1910 reist Virginia mit falschem Bart und Fantasiekostüm in den Küstenort Weymouth, gibt sich als Kaiser von Abessinien aus und lässt sich durch das königliche Kriegsschiff „Dreadnought“ führen. Dem Übermut folgt der seelische Absturz. 1913 unternimmt sie den ersten Suizidversuch.

Weiterlesen:   https://www.stern.de/kultur/buecher/virginia-woolf-im-portraet–feminismus-pionierin–traumatisierte-frau-3357074.html

 Ergänzendes:

 Ein Tag, ein Leben, eine ganze Welt – Virginia Woolf hat starke Worte und noch stärkere Emotionen

 … auf der einen Seite ist sie für ihre Zeit radikal für Frauenrechte, gegen den Kolonialismus und überzeugte Pazifistin. Auf der anderen Seite bedient sie rassistische und anti-semitische Stereotype und Erzählungen. Sie war eindeutig finanziell und intellektuell privilegiert und spricht aus dieser Perspektive abwertend über Arbeiter*innen und finanziell Benachteiligte. Also eine wegweisende Positionierung für klassischen Feminismus.

 https://wesensart-papeterie.de/virginia-woolf/

… Einiges über den hohen Stellenwert Virginia Woolfs und ihrer Werke – doch was genau machte die Engländerin und ihre Essays und Bücher so außergewöhnlich?

 Eine psychotische Episode ist eine schwerwiegende psychische Erkrankung, bei der eine Person oft den Bezug zur Wirklichkeit verliert. Ihre Wahrnehmung und ihr Denken sind während einer Psychose oft stark verzerrt.

 Erzählweise:

  • oftmals lange, verschachtelte Sätze, die Gedanken und Gefühle eines Charakters so ausdrücken, wie sie gerade in deren Bewusstsein treten
  • bildet eine Art innerer Monolog
  • in der Regel aus der Ich-Perspektive geschildert
  • innere Welt der Charaktere hat Vorrang vor dem, was in der äußeren Welt geschieht

https://www.studysmarter.de/schule/englisch/englische-autoren/virginia-woolf/

 Virginia Woolf – Die Auswirkungen sexuellen Mißbrauchs auf ihr Leben und Werk

 … Anzeichen und Hinweise darauf , dass sie und ihre Schwestern Opfer von Inzest waren.

 … von ihren Halbbrüdern sexuell missbraucht wurde. Die meisten Biografien erwähnen es nur beiläufig oder gar nicht…. und eine wilde Fantasie und sogar den Wunsch, vergewaltigt worden zu sein, andichteten. …

… Fakten bisher nicht als wahr angenommen, sondern vertuscht oder verdreht wurden.

Sie war damit ihrer Zeit weit voraus, obwohl sie als Kind und Jugendliche nicht die Möglichkeit hatte, sich schulisch zu bilden. Trotzdem lernte sie lesen und schreiben …https://lolamachtprosa.de/rezension-virginia-woolf/

„Ein Zimmer für sich allein“ – Warum Virginia Woolfs Kampfschrift von 1929 auch heute noch schmerzlich aktuell ist (Leseprobe im Anhang)

Es geht um Geld, um Wertschätzung, um Macht – und um die Möglichkeiten der Selbstentfaltung. Virginia Woolfs Essay “Ein Zimmer für sich allein” wird noch in diesem Jahrzehnt seinen 100. Geburtstag feiern und zum Glück hat sich seit 1929 sehr vieles weiterentwickelt: Frauenwahlrecht, diverse Verhütungsmöglichkeiten, Vergewaltigung in der Ehe ist strafbar, manche Staaten werden sogar von einer Frau regiert.

https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/zuendfunk/ein-zimmer-fuer-sich-allein100.html

Zusammenfassung „Ein Zimmer für sich allein“ Virginia Woolf

Ihr brillant geschriebener Essay lotet das Phänomen der weiblichen Unterdrückung aus, spürt Literatinnen nach und stellt schließlich die Androgynitätsthese in den Raum: Der perfekte Dichter müsste männlich und weiblich zugleich sein. Ohne militant feministisch zu sein, ist der Essay der Anker- und Startpunkt der Frauenforschung und der feministischen Literaturkritik.                                                                                https://www.getabstract.com/de/zusammenfassung/ein-eigenes-zimmer/6968  

Tim Theo Tinn 8. Nov. 2023

 
   

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TTT ‘s Musiktheaterverständnis ist subjektiv davon geprägt keine Reduktion auf heutige Konsens- Realitäten, Yellow-Press (Revolverpresse) – Wirklichkeiten in Auflösung aller konkreten Umstände in Ort, Zeit und Handlung zuzulassen. Es geht um Parallelwelten, die einen neuen Blick auf unserer Welt werfen, um visionäre Utopien, die über der alltäglichen Wirklichkeit stehen – also surreal (sur la réalité) sind. Dabei müssen Menschenbilder in ihrem psychsozialen Sein als dramatische Vorgabe belassen werden. Charaktere dürfen nicht verändert werden, sind schließlich musikalisch determiniert. Selbstredend kann auf Basis bestehender Schöpfungen Neues geschaffen werden, das muss aber expliziert gekennzeichnet sein.

Profil: 1,5 Jahrzehnte Festengagement Regie, Dramaturgie, Gesang, Schauspiel, auch international. Dann wirtsch./jurist. Tätigkeit, nun freiberuflich: Publizist, Inszenierung/Regie, Dramaturgie etc. Kernkompetenz: Eingrenzung feinstofflicher Elemente aus Archaischem, Metaphysik, Quantentheorie u. Fraktalem (Diskurs Natur/Kultur = Gegebenes/Gemachtes) für theatrale Arbeit. Metaphysik befragt sinnlich Erfahrbares als philosophische Grundlage schlüssiger Gedanken. Quantenphysik öffnet Fakten zur Funktion des Universums, auch zu bisher Unfassbarem aus feinstofflichem Raum. Glaube, Liebe, Hoffnung könnten definiert werden.

Anhang, unvollständige Leseprobe, 25 Seiten:

Der Essay A Room of One’s Own (Ein Zimmer für sich allein bzw. Ein eigenes Zimmer)

 wurde 1928 geschrieben und im Oktober 1929 veröffentlicht. Die gescheite und witzige Abhandlung über die bedrückenden Bedingungen, unter denen Frauen in der Vergangenheit Literatur produzieren mussten, und in der Woolf William Shakespeares fiktive dichtende Schwester Judith Shakespeare beschreibt, wurde zu einem der meistzitierten Texte der Frauenbewegung: „[…]

Und wenn jede von uns fünfhundert [Pfund] im Jahr hat und ein Zimmer für sich allein; wenn wir an die Freiheit gewöhnt sind und an den Mut, genau das zu schreiben, was wir denken; […] dann wird diese Gelegenheit kommen und die tote Dichterin, die Shakespeares Schwester war, wird den Körper annehmen, den sie so oft abgelegt hat.“

Das seien die materiellen Grundvoraussetzungen, unter denen Frauen genau so erfolgreich Literatur produzieren könnten wie Männer. Außerdem formulierte sie darin einige Ansichten über künstlerische Kreativität, die ihr eigenes Schreiben leiteten. Das Buch wurde ein Erfolg; innerhalb eines halben Jahres wurden in England und Amerika 22.000 Exemplare verkauft.

„Aber, mögen Sie vielleicht sagen, wir haben Sie doch gebeten, über Frauen und Literatur zu sprechen – was hat das denn mit einem Zimmer für sich allein zu tun? Ich will versuchen, es zu
erklären. Als Sie mich baten, über Frauen und Literatur zu sprechen, setzte ich mich am Ufer eines Flusses nieder und begann darüber nachzudenken, was diese Worte wohl bedeuten. Sie könnten einfach ein paar Bemerkungen über Fanny Burney bedeuten, ein paar weitere über Jane Austen, eine Würdigung derBrontës und eine kurze Beschreibung des verschneiten Pfarrhauses in Haworth, womöglich irgendetwas Geistreiches über Miss Mitford, ein respektvoller Verweis auf George Eliot, eine Erwähnung Mrs. Gaskells und fertig. Doch auf den zweiten Blick schien die Sache nicht ganz so einfach. Die Überschrift Frauen und Literatur könnte bedeuten, und so haben Sie es vielleicht gemeint: Frauen und wie sie sind; oder sie könnte bedeuten: Frauen und die Literatur, die sie schreiben; oder sie könnte bedeuten: Frauen und die Literatur, die über sie geschrieben wurde; oder sie könnte bedeuten, dass alles drei irgendwie untrennbar miteinander vermengt ist und Sie möchten, dass ich es in diesem Licht betrachte. Aber als ich anfing, das Thema in diesem letzten Sinne zu betrachten, der am interessantesten schien, sah ich bald, dass die Sache einen entscheidenden Haken hatte. Ich würde niemals in der Lage sein, zu einer Schlussfolgerung zu
gelangen. Ich würde niemals in der Lage sein, zu erfüllen, was nach meinem Verständnis die erste Pflicht einer Vortragenden ist: Ihnen nach einer Stunde der Ausführungen ein goldenes Körnchen reiner Wahrheit auszuhändigen, damit Sie es zwischen die Seiten Ihrer Notizbücher stecken und für immer auf dem Kaminsims aufbewahren. Ich könnte Ihnen lediglich eine Meinung über einen nebensächlichen Punkt anbieten: Eine Frau braucht Geld und ein Zimmer für sich allein, wenn sich Bücher schreiben möchte, und das lässt, wie Sie sehen werden, das große Problem der wahren Natur der Frau und der wahren Natur der Literatur ungelöst. Ich habe mich vor der Pflicht gedrückt, in diesen beiden Fragen zu einem Schluss zu kommen – Frauen und Literatur bleiben, was mich betrifft, ungelöste Probleme. Doch um Sie ein wenig zu entschädigen, werde ich Ihnen, so gut ich kann, darlegen, wie ich zu dieser Meinung über das Zimmer und das Geld gekommen bin. Ich werde in Ihrer Anwesenheit so ausführlich und frei, wie es mir möglich ist, den Gedankengang nachvollziehen, der mich zu dieser Ansicht geführt hat. Wenn ich die Ideen offenlege, die Vorurteile, die hinter dieser Behauptung stehen, werden Sie vielleicht feststellen, dass sie einige Auswirkungen auf Frauen und einige auf die Literatur haben. Wenn ein Thema jedoch höchst umstritten ist – und das ist jede Frage, bei der es um die Geschlechter geht –, kann man nicht hoffen, die Wahrheit zu sagen. Man kann lediglich zeigen, wie man zu seiner Meinung gekommen ist, welche es auch immer sein mag. Man kann seiner Zuhörerschaft nur die Möglichkeit geben, ihre eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen, wenn sie die Grenzen, die Vorurteile und Eigenarten der Vortragenden bemerken. Literatur vermittelt in dieser Hinsicht wahrscheinlich mehr Wahrheit als die bloßenTatsachen. Daher schlage ich vor, dass ich mir alle Freiheiten und Vorrechte einer Schriftstellerin nehme, um Ihnen die Geschichte der beiden Tage, die meinem Eintreffen hier vorangegangen sind, zu erzählen – wie ich, gebeugt von dem Gewicht des Themas, das Sie meinenSchultern aufgebürdet haben, darüber nachgedacht und
es in meinem Alltag ein- und ausgearbeitet habe. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass die Dinge, die ich nun beschreiben werde, nicht existieren: Oxbridge isteine Erfindung, Fernham ebenso, 3 und »ich« ist nur eine bequeme Bezeichnung für jemanden, den es in Wirklichkeit nicht gibt. Lügen werden mir über die Lippen kommen, aber vielleicht mischt sich auch die eine oder
andere Wahrheit darunter; es ist an Ihnen, diese Wahrheit ausfindig zu machen und zu entscheiden, ob es sich lohnt, irgendein Stück davon aufzubewahren. Falls nicht, werfen Sie das Ganze einfach in den Papierkorbund vergessen es.

Da war ich also (nennen Sie mich Mary Beton, MarySeton, Mary Carmichael4 oder wie immer es Ihnen gefällt – das ist völlig unwichtig) und saß vor ein oder zwei Wochen bei schönem Oktoberwetter gedankenverlorenam Ufer eines Flusses. Jenes Joch, von dem ich gesprochen habe, Frauen und Literatur, die Notwendigkeit, bei einem Thema, das alle möglichen Vorurteile und
Leidenschaften weckt, zu einer Schlussfolgerung zu kommen, drückte meinen Kopf zu Boden. Zur Rechten und zur Linken leuchtete irgendeine Art von Büschen golden und purpurfarben, ja, ihre Farben schienen vor feuriger Hitze gar zu brennen. Am anderen Ufer weinten die Weiden, das Haar um ihre Schultern, in fortwährender Klage. Der Fluss spiegelte, was immer er von Himmel und Brücke und brennendem Baum auswählte, und nachdem der Student sein Boot durch die Spiege-
lungen gerudert hatte, schlossen sie sich wieder, so vollständig, als habe es ihn nie gegeben. Man hätte dort den ganzen Tag lang in Gedanken versunken sitzen können.
Die Gedanken – um sie mit einem stolzeren Namen zubelegen als sie verdienten – hatten ihre Angelschnur in den Fluss ausgeworfen. Dort tanzte sie, Minute um Minute, hin und her, zwischen den Spiegelungen und den Pflanzen, ließ sich vom Wasser heben und senken, bis –Sie kennen den kleinen Ruck – die jähe Verdichtung einer Idee am Ende Ihrer Angelschnur, dann das behutsame Einholen und das vorsichtige Ausbreiten des Fangs? Aber ach, wie klein und unscheinbar sah dieser mein Gedanke aus, als er dort im Gras lag, die Sorte Fisch, die ein guter Angler ins Wasser zurückwirft, damit er fetter und es sich eines Tages lohnen wird, ihn zuzubereitenund zu essen. Ich will Sie jetzt nicht mit diesem Gedanken behelligen, doch wenn Sie aufmerksam hinschauen,
können Sie ihn wohl im Verlaufe dessen, was ich nun sagen werde, selbst ausfindig machen.
Aber so klein er auch war, besaß er dennoch die geheimnisvolle Eigenschaft seiner Art: In den Kopf zurückgesteckt wurde er umgehend sehr aufregend und wichtig, und wie er so dahinschoss und abtauchte und hier und dort wieder aufblitzte, verursachte er einen solchen Schwall und Aufruhr an Ideen, dass es unmöglich war stillzusitzen. So merkte ich auf einmal, wie ich in hohem Tempo über ein Rasenstück lief. Im Nu erschien die Gestalt eines Mannes, um mich abzufangen. Doch be-
griff ich zuerst nicht, dass das Gestikulieren des seltsam aussehenden Individuums in Gehrock und Frackhemdmir galt. Seine Miene drückte Entsetzen und Empörung aus. Da kam mir eher der Instinkt als der Verstand zu Hilfe: Er war ein Pedell, ich war eine Frau. Hier war der Rasen, dort war der Weg. Hier sind nur Fellows5 und Gelehrte zugelassen, mein Platz ist auf dem Kiesweg. Diese Gedanken waren das Werk eines Augenblicks. Als ich mich wieder auf dem Weg befand, sanken die Arme des Pedells herab, nahm seine Miene die übliche Gelassenheit an, und obwohl es sich auf Rasen besser geht als auf Kies, war kein großer Schaden angerichtet worden. Das
einzige, was ich gegen die Fellows und Gelehrten, welchem College sie auch angehören mochten, vorbringen konnte, war, dass sie meinen kleinen Fisch verscheucht hatten, um ihren Rasen zu schonen, der seit dreihundertJahren ununterbrochen gewalzt wurde. Ich konnte mich jetzt nicht mehr erinnern, welche Idee es gewesen war, die mich zu diesem kühnen unbefugten Betreten angestiftet hatte. Der Geist des Friedens senkte sich wie eine Wolke vom Himmel herab, denn
wenn der Geist des Friedens irgendwo weilt, dann in den Innenhöfen und Gevierten von Oxbridge an einem schönen Oktobermorgen. Beim Umherstreifen durch die Colleges, vorbei an den altehrwürdigen Hallen, schien die Rauhheit der Gegenwart hinfortgeglättet, der Leib schien sich in einem wundersamen Glasgehäuse zu befinden, in das kein Laut vorzudringen vermochte, und der Geist, entbunden von jeglicher Berührung mit den Tatsachen (es sei denn, man beträte wieder unbefugt den Rasen), besaß die Freiheit, sich jeglicher Betrachtung anheimzugeben, die im Einklang mit dem Augenblick stand. Wie es der Zufall so wollte, rief mir eine beiläufige Erinnerung an einen alten Essay über ein Wiedersehen mit Oxbridge in den langen Ferien Charles Lamb in den
Sinn – Saint Charles, sagte Thackeray und drückte einen Brief von Lamb an seine Stirn. In der Tat ist Lamb unter all den Verstorbenen (ich teile Ihnen meine Gedanken somit, wie sie mir kamen) einer der einnehmendsten, einer, den man gern gefragt hätte: Erzählen Sie mal, wie haben Sie eigentlich Ihre Essays geschrieben? Denn seine Essays sind sogar denen von Max Beerbohm mit all ihrer Perfektion überlegen, dachte ich, wegen des wilden Aufloderns der Phantasie, des jähen Aufblitzens von Genie, was sie fehlerhaft und unvollkommen macht, aber vor Poesie funkeln lässt. Lamb kam also vor etwa hundert Jahren nach Oxbridge. Natürlich hat er einen Essay geschrieben – der Titel ist mir entfallen – über die Handschrift eines Gedichts von Milton, die er hier sah.

Vielleicht war es Lycidas, und Lamb schrieb, wie sehres ihn erschüttert habe, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, irgendein Wort in Lycidas könne anders sein, als es war. Der Gedanke, Milton könne in diesem Gedicht Worte geändert haben, erschien ihm wie ein Sakrileg. Das brachte mich darauf, mir – so weit ich konnte – die Verse von Lycidas aufzusagen und mich mit dem Ratespiel zu vergnügen, welches Wort Milton wohl geändert haben könnte und warum. Dann fiel mir ein, dass ebenjene Handschrift, die Lamb betrachtet hat, nur wenigehundert Meter entfernt lag, so dass man auf Lambs Spuren über den Innenhof zu der berühmten Bibliothek,die diesen Schatz bewahrt, wandeln konnte. Obendrein,entsann ich mich, als ich den Plan in die Tat umsetzte,liegt in dieser berühmten Bibliothek auch die Handschrift von Thackerays Esmond. Kritiker behaupten oft, Esmond sei Thackerays bester Roman. Doch der afektierte Stil, mit seiner Nachahmung des 18. Jahrhunderts, wirkt störend, soweit ich mich erinnere, wobei es jedoch sein könnte, dass der Stil des18. Jahrhunderts für Thackeray natürlich war – ein Umstand, der sich überprüfen ließe, indem man die Handschrift nimmt und nachsieht, ob die Änderungen der Verbesserung desStils oder des Verständnisses galten. Aber dann müsste man entscheiden, was Stil ist und was dem Verständnis
dient, eine Frage, die – aber da stand ich schon vor der Tür, die direkt in die Bibliothek führt. Ich muss sie geöffnet haben, denn augenblicklich erschien dort, wie ein Schutzengel, der mit dem Geflatter einer schwarzen Robe statt weißer Flügel den Weg versperrt, abwehrend ein silberhaariger, gütiger Gentleman, der, während ermich zurückscheuchte, mit leiser Stimme bedauerte, Damen seien nur in Begleitung eines Fellows des College oder mit einem Empfehlungsschreiben versehen zur Bibliothek zugelassen. Dass eine berühmte Bibliothek von einer Frau verwünscht wird, ist für eine berühmte Bibliothek völlig bedeutungslos. Ehrwürdig und gelassen, mit all ihren Schätzen sicher an ihrem Busen verwahrt, schläft sie selbstzufrieden und wird, was mich angeht, für immer so weiterschlafen. Niemals wieder werde ich jene Echos
erwecken, niemals wieder werde ich um jene Gastfreundschaft bitten, so schwor ich, als ich voller Zorn die Treppe hinabstieg. Bis zum Mittagessen blieb noch eine Stunde Zeit, was konnte man anfangen? Über dieWiesen spazieren? Am Fluss sitzen? Gewiss, es war ein wunderbarer Oktobermorgen, die Blätter trudelten rot zu Boden, beides würde keine große Mühe bereiten.
Doch drang Musik an mein Ohr. Irgendeine Andacht oder Feierlichkeit war im Gange. Die Orgel klagte mit Macht, als ich am Kirchenportal vorbeikam. Sogar das Leid der Christenheit klang in dieser gelassenen Atmosphäre mehr wie die Erinnerung an Leid als wie das Leid selbst, sogar das Stöhnen der alten Orgel schien in Frieden gehüllt. Ich verspürte nicht den Wunsch einzutreten,
selbst wenn ich das Recht dazu gehabt hätte, denn dieses Mal würde mich vielleicht der Küster anhalten und meinen Taufschein oder ein Empfehlungsschreiben des Dekans verlangen. Doch das Äußere dieser prachtvollen Gebäude ist oft ebenso schön wie das Innere. Obendrein war es vergnüglich genug, zuzuschauen, wie sich die Gemeinde versammelte, etliche hinein- und wieder hinausgingen und am Eingang zur Kirche10 umherschwärmten, wie Bienen am Schlupfloch ihres Stocks. Viele trugen Barett und Talar, manche hatten Quasten aus Pelz an den Schultern, andere wurden in Rollstühlen geschoben, und wieder andere schienen, obgleich noch nicht über die Lebensmitte hinaus, zu so eigenartigen Gestalten gestaucht und gefaltet, dass sie einen an diese riesigen Krebse und Langusten erinnerten, die sich mühselig über den Sand eines Aquariums schleppen. Wie ich so an der Mauer lehnte, erschien die Universität tatsächlich wie ein Refugium, in dem seltene Arten erhalten wurden, die bald ausgestorben wären, müssten sie auf dem Pflaster der Strand um ihr Dasein kämpfen. Mir kamen alte Geschichten von alten Dekanen und alten Professoren in den Sinn, aber bevor ich den Mut gefasst hatte, zu pfeifen – es hieß immer, dass ein alter Professor beim Ertönen eines Pfiffes … augenblicklich in Galopp verfiel –, war die ehrwürdige Gemeinde hineingegangen.Das Äußere der Kirche blieb zurück. Wie Sie wissen, kann man ihre hohen Kuppeln und Spitzen, die bei Nacht erleuchtet und meilenweit sichtbar sind, noch weit über die Hügel hinweg erkennen, wie ein Segelschiff, das sich ewig auf Fahrt befindet und nie ankommt. Einst war dieser Innenhof mit seinen ebenen Rasenflächen, den mächtigen Gebäuden und der Kirche vermutlich ebenfalls Marschland gewesen, wo die Gräser wogten und die Schweine wühlten. Gespanne von Pferden und Ochsen, so überlegte ich, müssen die Steine in Fuhrwerken aus
fernen Gegenden herbeigekarrt haben, und dann wurden die grauen Blöcke, in deren Schatten ich jetzt stand, mit unendlicher Mühsal Reihe für Reihe einer auf den anderen gesetzt, und dann brachten die Maler ihr Glas für die Fenster, und die Steinmetze waren über Jahrhunderte mit Kitt und Mörtel, Spaten und Kelle auf diesem Dach beschäftigt. Jeden Samstag muss jemand Gold und
Silber aus einem ledernen Geldbeutel in ihre alten Fäuste geschüttet haben, denn am Abend vergnügten sie sich vermutlich bei Bier und Kegelspiel. Ein nicht enden wollender Strom von Gold und Silber, überlegte ich, muss sich unablässig in diesen Innenhof ergossen haben, damit weiterhin Steine kamen und Steinmetze arbeiteten, damit geebnet, ausgehoben, geschaufelt und entwässert
wurde. Doch damals herrschte das Zeitalter des Glaubens, und es floss reichlich Geld, um diese Steine auf ein festes Fundament zu stellen, und als sich die Mauern erhoben, floss noch mehr Geld aus den Schatullen von Königen und Königinnen und hohen Adligen, um dafür Sorge zu tragen, dass hier geistliche Lieder gesungen wurde. Aber nur selten haben sie ein Wort dafür übrig, was gegessen wurde. Es ist Teil der schriftstellerischen Konventionen, weder Suppe noch Lachs noch Jungente zu erwähnen, als seien Suppe und Lachs und Jungente gänzlich unbedeutend, als habe nie jemand eine Zigarre geraucht oder ein Glas Wein getrunken. An dieser Stelle werde ich mir jedoch die Freiheit nehmen, mich über diese Konvention hinwegzusetzen und Ihnen zu berichten, dass die Mahlzeit bei diesem Anlass mit Seezungen begann, die in einer tiefen Schüssel lagen und über die der Koch des College eine Decke aus weißestem Rahm gebreitet hatte, nur hier und da wie die Flanke eines Rehkitzes von braunen Flecken gesprenkelt. Danach folgten die Rebhühner, doch wer dabei an ein paar kahle, braune Vögel auf einem Teller denkt, der irrt. Die Rebhühner, zahlreiche und verschiedene, kamen mit ihrem gesamten Gefolge von Soßen und Salaten, die scharfenund die süßen, alles schön der Reihe nach, mit ihren Kartoffeln, dünn wie Münzen, aber nicht so hart, und ihrem Rosenkohl, mit Blättern wie Rosenknospen, abersaftiger. Und kaum waren der Braten und sein Gefolge bewältigt, da setzte uns der stumme Diener, vielleicht der Pedell persönlich in einer milderen Erscheinungsform, eine von Servietten umkränzte Süßspeise vor, die sich in zuckriger Pracht aus den Fältelungen erhob. Sie Pudding zu nennen und so mit Reis und Tapioka in Verbindung zu bringen, wäre eine Beleidigung. Derweil blitzten die Weingläser golden und purpurn auf, wurden geleert und wieder gefüllt. Und so war allmählich dort unten, auf halbem Wege die Wirbelsäule hinab, wo sich der Sitz der Seele befindet, nicht jenes harte, kleineelektrische Licht, das wir Brillanz nennen, wenn es über unsere Lippen aufscheint, entzündet worden, sondern das tiefgründigere, feinere und unterschwelligere Glühen, das die leuchtend gelbe Flamme des gepflegten gesellschaftlichen Umgangs ist. Kein Grund zur Eile. Kein Grund zu glänzen. Kein Grund, ein anderer zu sein als man selbst. Wir kommen alle in den Himmel und vanDyck ist mit von der Partie – mit anderen Worten: wie schön das Leben doch schien, wie angenehm seine Genüsse, wie belanglos dieser Groll oder jener Kummer, wie vortrefflich Freundschaft und die Gesellschaft Gleichgesinnter, wenn man, sich eine gute Zigarette anzündend, in die Polster eines Sessels am Fenster sank. Wäre rein zufällig ein Aschenbecher zur Hand gewesen, hätte man mangels dessen die Asche nicht aus demFenster geschnippt, wären die Dinge ein wenig anders gewesen als sie waren, hätte man vermutlich nicht die Katze ohne Schwanz gesehen. Der Anblick dieses abrupt endenden und gestutzten Tieres, wie es sachte über den Innenhof stapfte, veränderte durch eine Laune des unbewussten Verstandes für mich die Gefühlslage. Es war, als hätte jemand einen Vorhang beiseitegezogen. Vielleicht lockerte der ausgezeichnete weiße Rheinwein seinen Griff. Auf jeden Fall schien irgendetwas zu fehlen, irgendetwas anders zu sein, als ich beobachtete, wie die Manxkatze mitten auf dem Rasen innehielt, als stelle auch sie das Universum in Frage. Aber was fehlte, was war anders, fragte ich mich, den Gesprächen lauschend. Und um diese Frage zu beantworten, mussteich mich aus dem Zimmer wegdenken, zurück in die Vergangenheit, ja, bis vor dem Krieg, und mir das Bild einer anderen Mittagsgesellschaft vor Augen rufen, die in Räumlichkeiten stattgefunden hatte, die nicht sehr weit von diesen entfernt waren, aber anders war. Alles war anders. Derweil lief die Unterhaltung zwischen den Gästen weiter, die zahlreich und jung waren, einige von diesem Geschlecht, andere von jenem, sie plätscherte dahin, angenehm, ungezwungen, amüsant. Und während sie so weiterlief, stellte ich sie vor den Hintergrund der anderen Unterhaltung, und als ich die beiden miteinander verglich, hegte ich keinen Zweifel, dass die eine die Nachfahrin und legitime Erbin der anderenwar. Nichts hatte sich verändert, nichts war anders, außer – hier war ich ganz Ohr nicht allein für das, was gesagt wurde, sondern auch für das darunterliegende Gemurmel und Rauschen. Ja, das war es – dort lag die Veränderung. Vor dem Krieg hätten die Leute bei einer Mittagsgesellschaft wie dieser ganz genau die gleichen Dinge gesagt, aber sie hätten anders geklungen, denn in jenen Tagen wurden sie von einer Art Summen begleitet, nicht artikuliert, aber melodisch, aufregend und das Gewicht der Worte verändernd. Konnte man dieses Summen in Worte fassen? Vielleicht kann man es mit der Hilfe von Dichtern. Neben mir lag ein Buch, ich schlug es auf und stieß rein zufällig auf Tennyson. Und hier fand ich, was Tennyson sang:

There has fallen a splendid tear
From the passion-flower at the gate.
She is coming, my dove, my dear;
She is coming, my life, my fate;
The red rose cries, »She is near, she is near«;
And the white rose weeps, »She is late«;
The larkspur listens, »I hear, I hear«;
And the lily whispers, »I wait.« 14

Die Leidensblume, die das Tor umspinnt,
 Sie weint und silberhell die Träne rinnt.
die Taube kommt, mein Lieb, mein einzig Glück,
Sie kommt, sie kommt, mein Leben, mein Geschick.
Die rote Rose sagt: »Sie naht mit Beben«;

Die weiße Rose sagt: »Ich harrte lange«;
Es lauscht der Rittersporn: »Ich hör es schweben«;
 Die Lilie flüstert: »Oh, ich warte bange.«
War es das, was Männer vor dem Krieg bei Mittagsgesellschaften summten? Und die Frauen?
My heart is like a singing bird
Whose nest is in a water’d shoot;
My heart is like an apple tree
Whose boughs are bent with thick-set fruit;
My heart is like a rainbow shell
That paddles in a halcyon sea;
My heart is gladder than all these
Because my love is come to me.

Mein Herz singt wie ein Vogel singt Im Nest an einer Schilfrohrbucht,

Mein Herz bebt wie ein Birnbaumzweig
Gebeugt von dichtgedrängter Frucht.

Mein Herz schwankt wie in heiterer See
Fünffarbig quirlt ein Muscheltier;

Mein Herz ist froher als all dies:
Es kam mein Liebster heut zu mir.

War es das, was Frauen vor dem Krieg bei Mittagsgesellschaften summten? Es lag etwas so Groteskes in dem Gedanken, dass Leute bei Mittagsgesellschaften vor dem Krieg derartige Dinge, wenn auch nur im Flüsterton, vor sich hinsummten, dass ich laut auflachte und dieses Lachen erklären musste, indem ich auf die Manxkatze deutete, die tatsächlich ein wenig absurd aussah, das arme Tier, so ohne Schwanz, mitten auf dem Rasen. War sie wirklich so geboren worden, oder hatte sie ihren Schwanz bei einem Unfall verloren? Schwanzlose Katzen sind, auch wenn es ein paar auf der Isle of Man geben soll, seltener, als man denkt. Es sind sonderbare Tiere, eher kurios als schön. Es ist doch merkwürdig, welch einen Unterschied ein Schwanz macht – Sie wissen schon,
all die Dinge, die man so sagt, wenn eine Mittagsgesell schaft im Aufbruch begriffen ist und die Leute nach ihren Mänteln und Hüten suchen. Diese hier hatte sich, dank der Gastfreundschaft des
Gastgebers, bis spät in den Nachmittag hingezogen. Der schöne Oktobertag schwand dahin, und die Blätter fielen von den Bäumen der Allee, auf der ich hinausging. Tor auf Tor schien sich mit sanfter Endgültigkeit hinter mir zu schließen. Unzählige Pedelle drehten unzählige Schlüssel in gut geölten Schlössern, das Schatzhaus wurde für eine weitere Nacht gesichert. Von der Allee gelangt man auf eine Landstraße – ich habe ihren Namen vergessen –, die einen, wenn man die richtige Abzweigung nimmt, nach Fernham führt. Aber es war noch viel Zeit. Abendessen gab es nicht vor halb acht.
Nach so einem Mittagstisch konnte man beinahe ohne Abendessen auskommen. Schon seltsam, wie einem ein Fetzen Poesie im Kopf herumgeht und die Beine im Takt dazu die Straße entlang bewegt. Diese Worte –

There has fallen a splendid tear
From the passion-flower at the gate.
She is coming, my dove, my dear –

sangen in meinem Blut, als ich geschwind Richtung Headingley17 ausschritt. Und dann sang ich, wo das Wasser vom Wehr aufgewühlt wird, in den anderen Rhythmus wechselnd:

My heart is like a singing bird
Whose nest is in a water’d shoot;
My heart is like an apple tree …

Was für Dichter, rief ich laut, wie man es in der Dämmerung tut, was für Dichter sie doch waren!
In einer Art von Eifersucht, vermute ich, wegen unseres eigenen Zeitalters, fragte ich mich dann, so abwegig und dumm diese Vergleiche auch sein mögen, ob
man ehrlicherweise zwei lebende Dichter benennen könnte, die heute so bedeutend sind wie Tennyson undChristina Rossetti damals. Offenbar ist es unmöglich,so dachte ich, in das schäumende Wasser blickend, sie miteinander zu vergleichen. Der eigentliche Grund, warum jene Dichtung bei uns eine solche Begeisterung, ein solches Entzücken hervorruft, liegt darin, dass sie ein Gefühl zelebriert, das wir (etwa bei Mittagsgesellschaften vor dem Krieg) zu haben pflegten, so dass wir leicht und unbeschwert darauf ansprechen, ohne unsdamit zu belasten, das Gefühl zu überprüfen oder es mit einem zu vergleichen, das wir gegenwärtig empfinden. Doch die lebenden Dichter geben einem GefühlAusdruck, das gerade erst entsteht und sogleich aus uns
herausgerissen wird. Man erkennt es anfangs nicht, oft fürchtet man es aus irgendeinem Grund, beobachtet es scharf und vergleicht es eifersüchtig und argwöhnisch mit dem alten Gefühl, das man kannte. Daher rührt die Schwierigkeit der modernen Dichtung, und eben wegen dieser Schwierigkeit kann man sich nicht an mehr als zwei aufeinanderfolgende Zeilen irgendeines guten
modernen Dichters erinnern. Aus diesem Grund – weil mich mein Gedächtnis im Stich ließ – erlahmte meine Beweisführung aus Mangel an Belegen. Aber warum, so
fuhr ich fort, während ich nach Headingley ging, habenwir aufgehört, bei Mittagsgesellschaften leise zu summen? Warum singt Alfred nicht mehr:

She is coming, my dove, my dear?
Warum antwortet Christina nicht mehr:
My heart is gladder than all these
Because my love is come to me?

Sollen wir dem Krieg die Schuld geben? Konnten die Männer und Frauen, als im August 1914 die Kanonen abgefeuert wurden, einander so deutlich an den Gesichtern ablesen, dass die Romantik getötet worden war? Gewiss bedeutete es einen Schock (besonders für die Frauen mit ihren Illusionen über Bildung und so weiter), die Gesichter unserer Herrscher im Lichte des
Granatfeuers zu erblicken. So hässlich sahen sie aus – Deutsche, Engländer, Franzosen –, so töricht. Aber wem oder was auch immer wir die Schuld geben, die Illusion, die Tennyson und Christina Rossetti beflügelte, so leidenschaftlich vom Kommen ihrer Geliebten zu singen, ist heute viel seltener als damals. Man brauchtnur einmal zu lesen, zu sehen, zu lauschen, sich zu erinnern. Aber warum von »Schuld« reden? Warum, wenn es eine Illusion war, preisen wir die Katastrophe nicht, welcher Gestalt sie auch immer war, die diese  llusion zerstört und die Wahrheit an ihre Stelle gesetzt hat? Denn die Wahrheit … diese Pünktchen bezeichnen die Stelle, wo ich auf der Suche nach Wahrheit die Abzweigung nach Fernham verpasste. Ja, in der Tat, was war Wahrheit und was war Illusion, fragte ich mich. Wie lautete zum Beispiel die Wahrheit über diese Häuser, jetzt in der Abenddämmerung mit ihren roten Fenstern so schummerig und einladend, aber um neun Uhr in der Früh mit ihren Schnürsenkeln und Süßigkeiten so rauh und rot und ärmlich? Und die Weiden und der Fluss und die Gärten, die sich zum Fluss hinabziehen, jetzt im Nebel, der darüber hinwegzieht, so verschwommen, aber im Sonnenschein rot und golden– was war bei ihnen die Wahrheit, was die Illusion? Ich erspare Ihnen die Drehungen unWendungen meiner Gedankengänge, denn sie führten auf der Straße nach Headingley zu keinem Ergebnis, und ich bitte Sie, davon auszugehen, dass ich meinen Fehler betreffs der Abzweigung bald bemerkte und meine Schritte wieder Richtung Fernham lenkte.
Da ich bereits gesagt habe, dass es ein Oktobertagwar, wage ich es nicht, Ihre Achtung zu verlieren und den guten Ruf der Literatur zu gefährden, indem ich die Jahreszeiten ändere und Flieder, der über die Gartenmauern wallt, Krokusse, Tulpen und andere Frühlingsblumen beschreibe. Literatur muss sich an die Tatsachen halten, und je wahrhaftiger die Tatsachen, desto besser
die Literatur – so wird uns gesagt. Daher war es nochimmer Herbst und die Blätter noch immer gelb, und sie fielen sogar ein wenig schneller als zuvor, denn es war jetzt Abend (sieben Uhr dreiundzwanzig, um genau zu sein), und eine leichte Brise (aus Südwest, um korrekt 23 zu sein) war aufgekommen. Aber trotz allem war etwas Seltsames am Werk:

My heart is like a singing bird
Whose nest is in a water’d shoot;
My heart is like an apple tree
Whose boughs are bent with thick-setfruit

Vielleicht waren zum Teil die Worte von Christina Rossetti verantwortlich für das närrische Hirngespinst – es war natürlich nichts als ein Hirngespinst –, dass der Flieder seine Blüten über die Gartenmauer schüttelte und die Zitronenfalter hin und her flatterten und die Luft mit Blütenstaub erfüllt war. Es wehte ein Wind, ich weiß nicht, aus welcher Richtung, aber er hob das junge Laub empor, so dass ein silbergrauer Schimmerin der Luft lag. Es war die Zeit zwischen lichtem Tag und Dämmerung, wenn die Farben an Leuchtkraft gewinnen und Gold und Purpur in den Fensterscheiben auflodern, wie das Pulsieren eines erregbaren Herzens, wenn sich aus irgendeinem Grund die Schönheit der Welt enthüllt und doch so bald wieder dahinschwindet (hier schlüpfte ich in den Garten, denn man hatte das Tor unklugerweise nicht verschlossen, und es schien kein Pedell in der Nähe zu sein); diese Schönheit der Welt, die so bald vergehen muss, besitzt zwei scharfe Schneiden, eine aus Lachen, die andere aus Leid, die einem das Herz entzweireißen. Vor mir lagen im Zwielicht des Frühlings die Gärten von Fernham, wild und offen, und im hohen Gras wuchsen, verstreut und achtlos gesetzt, Narzissen und Hasenglöckchen, wohl auch in den besten Zeiten nicht gepflegt, jetzt aber windzerzaust und schwankend an ihren Wurzeln zerrend.
Die Fenster des Gebäudes, gerundet wie Schiffsfenster zwischen hohen Wellen von roten Ziegeln, wechselten unter den schnell dahinziehenden Frühlingswolken vonZitronengelb zu Silber. Jemand lag in einer Hängematte, jemand – doch in diesem Licht waren es alles nur Schemen, halb vermutet, halb gesehen – rannte über den Rasen – würde sie niemand aufhalten? – und dann trat, als wolle sie kurz Luft schnappen und einen Blick auf den Garten werfen, eine gebeugte Gestalt auf die Terrasse, beeindruckend und doch bescheiden, mit ihrerhohen Stirn und ihrem abgetragenen Kleid – könnte es die berühmte Gelehrte, könnte es J*** H** persönlich sein? Alles war verschwommen, aber auch überdeutlich, als sei das Tuch, das die Dämmerung über den Garten geworfen hatte, von einem Stern oder Schwert entzweigerissen worden – der Blitz einer schrecklichen Wirklichkeit entsprang, wie es seine Art ist, dem Herzen des Frühlings. Denn Jugend –
Da kam meine Suppe. Das Abendessen wurde im großen Speisesaal serviert. Es war keineswegs Frühling, sondern vielmehr ein Abend im Oktober. Alle hatten sich in dem hohen Speisesaal versammelt. Das Abendessen war bereit. Da kam die Suppe. Es war eine klare Fleischbrühe. Darin befand sich nichts, was die Phantasie anzuregen vermochte. Man hätte durch die klare Flüssigkeit jedes Muster erkennen können, was sich auf dem Teller selbst befunden haben mochte. Aber dort war kein Muster. Der Teller war schmucklos. Als nächstes folgte Rindfleisch mit dem dazugehörigen Gemüse und Kartoffeln – eine rustikale Dreifaltigkeit, die an Rinderendstücke auf einem morastigen Markt denken ließen, an Rosenkohl mit gelblich gekräuselten Rändern, an Handel und Gefeilsche und an Frauen mit Einkaufsnetzen an einem Montagmorgen. Es bestand kein Anlass, sich über diese alltägliche Nahrung der Menschen zu beklagen, zumal es reichlich davon gab und Bergleute bestimmt mit weniger zu Tische saßen. Es folgten Backpflaumen mit Vanillesoße. Und wenn sich jemand beschwert, Backpflaumen seien, selbst durchVanillesoße gemildert, ein unbarmherziges Gemüse (Obst sind sie keines), zäh wie das Herz eines Geizhalses und eine Flüssigkeit absondernd, wie sie vielleichtdurch die Adern von Geizhälsen fließt, die sich seit achtzig Jahren des Weins und der Wärme enthalten und dennoch den Armen nichts gegeben haben, sollte er bedenken, dass es Leute gibt, deren Barmherzigkeit sogar die Backpflaume mit einschließt. Als nächstes kamen Cracker und Käse, und dabei wurde der Krug mit Wasser großzügig herumgereicht, denn es liegt in der Natur der Cracker, trocken zu sein, und diese waren Cracker der reinsten Sorte. Das war alles. Die Mahlzeit war beendet. Alle schoben geräuschvoll ihre Stühle zurück, die Schwingtüren schwangen ungestüm auf und zu, bald hatte man jeglichAnzeichen von Speisen aus dem Saal entfernt, und er wurde zweifelsohne für das Frühstück am nächsten Morgen vorbereitet. Die Jugend Englands zog polternd und singend durch Korridore und die Treppen hinauf. Und stand es einem Gast nun an,einer Fremden (denn ich besaß hier in Fernham nicht mehr Rechte als in Trinity oder Somerville oder Girton oder Newnham oder Christchurch), zu sagen: »Das Abendessen war nicht gut«, oder zu sagen (wir saßen jetzt, Mary Seton und ich, in ihrer Wohnstube) …

 

 

 

 

 

 

 

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