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TTT – „For sale: Baby shoes. Never worn.“ – Literarisches Sentiment versus blasser Theaterseele – Ernest Hemingway

17.06.2023 | Themen Kultur

TTT – „For sale: Baby shoes. Never worn.“Literarisches Sentiment versus blasser Theaterseele – Ernest Hemingway

heming

Alternativen zur fehlenden Gefühlstiefe der Inszenierungsmiseren im Musiktheater!

Ernest Miller Hemingway war einer der erfolgreichsten und bekanntesten US-amerikanischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, Großmeister des modernen Erzählrealismus‘. 1953 erhielt er den Pulitzer-Preis für seine Novelle Der alte Mann und das Meer und 1954 den Literaturnobelpreis.
https://de.wikipedia.org/wiki/Ernest_Hemingway

Kürzeste, tragische Kurzgeschichte aller Zeiten „Zu verkaufen: Babyschuhe, ungetragen.“             
https://hemingwayswelt.de/die-kurzeste-kurzgeschichte-aller-zeiten/

Wirklichkeit holte Hemingway zwei Jahrzehnte später ein. Die Ehefrau überlebt, doch das Baby nicht.
https://hemingwayswelt.de/bridget-hemingway-die-tochter/

Hemingway zeigt Männer in harten Situationen, die tapfer und wortkarg ihrem Schicksal trotzen.

…männliche Tugenden wie Mut, Willensstärke, Unabhängigkeit, Risikobereitschaft und das tapfere Ertragen von Leid und Schmerz  … Doch hinter dem immer wieder beschworenen Männlichkeitsideal verbirgt sich offensichtlich ein tieferer Antrieb. Im Alter von 62 Jahren beginn er Selbstmord. Die nach außen zur Schau getragene Hülle des harten Naturburschen hat augenscheinlich eine innere Versehrtheit und Todessehnsucht verborgen. https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/deutsch-abitur/artikel/ernest-miller-hemingway#

Der alte Mann und das Meer, regelmäßig gelesen, beeinflusste meine Sozialisation als Pubertierender und darüber hinaus, prägte Vieles, auch den Umgang mit Lebenszyklen in allen Ausprägungen, lapidar „Sekt und Selters“ – Phasen (Unabhängigkeit, Risikobereitschaft, Ertragen von…).

Inhalt: Parabel über den Daseinskampf des Menschen: Der alte Mann, sein Boot, der ihn bewundernde Junge, das Meer, ein paar Wolken, zwei, drei Fische, die verspeist werden, der große Fisch, mit dem er drei Tage hindurch kämpft, und schließlich die Haie – das sind nahezu alle Beteiligten dieser weltberühmten Erzählung. … Mit sparsamen Mitteln schildert der Autor den einsamen, dreitägigen Kampf eines vom Glück verlassenen alten Fischers mit einem großen Fisch. Unter Aufbietung aller Kräfte, aller Erfahrung und allen Geschicks gewinnt der alte Mann schließlich den Kampf – doch dann kommen die Haie …! 

Ausführlich: https://www.getabstract.com/de/zusammenfassung/der-alte-mann-und-das-meer/5262

In einer schlichten, klaren, fast lapidaren und scheinbar emotionslosen Sprache voller Symbole und Metaphern erzählt Hemingway von einem einsamen Menschen, der sich im Zweikampf mit der Natur misst, Sieger und Unterlegener zugleich ist und sich schließlich auch in der Niederlage nicht besiegen lässt. Der leidenschaftliche Glaube an die Würde des tragischen Helden, die Schönheit des Kampfes, die Willenskraft des Einzelnen und die metaphysische Unbesiegbarkeit des Kämpfers spricht aus dem gesamten Roman.

Hemingway sah das Leben als einen andauernden Kampf, der mit Zähigkeit, Fairness, Mut und vor allem Würde geführt werden muss. Dabei ist nicht entscheidend Siege davonzutragen, denn es kann im Leben nicht nur Siege geben. Entscheidend ist die Haltung im Kampf, wie auch immer dieser ausgeht: Die Größe und Würde des Menschen ermisst sich laut Hemingway darin, wie er sich in der Niederlage behauptet.

https://www.wissen.de/bildwb/hemingways-der-alte-mann-und-das-meer-sieg-der-niederlage

Heutige Einschätzungen widerlegen die zeitgenössische Rezeption, das Klischee des großen Machos,  gefühlslosen Kerls. Im Roman „Madame Hemingway“ (2012) porträtiert z. B. Paula McCain den Schriftsteller als sensiblen und von inneren Kämpfen zerrissenen Mann.

Chauvinistische toxische Männlichkeit findet bei Hemingway nicht statt! Diese Sicht angesagter „me too“ – Debatten, mit überstrapazierten harsch maskulinen Gestaltungen (viele Feminine in Führungspositionen sind noch „die besseren Männer“ s. Soziologie, Taylorismus) verbrämter Feminismus – Machtansprüche, scheinen in den Auswirkungen am Theater auch nur opportunistisch verinnerlicht (s. Karlsruhe – da sind diese Bewegungen völlig „in die Hose“ gegangen).

Feministische Töne der Marie Morgan in Hemingways zweitem Roman „Haben und Nichthaben“:  „Wie kommt man durch die Nächte durch, in denen man nicht schlafen kann. Wahrscheinlich lernt man das genauso, wie man lernt, wie es ist, wenn man seinen Mann verliert. Wahrscheinlich lernt man das. Wahrscheinlich lernt man alles, in diesem Gott verfluchten Leben. Wahrscheinlich lernt man alles, aber sicher. Wahrscheinlich lerne ich es gerade jetzt schon. Man wird einfach tot innen. Dann ist alles leicht. Man wird einfach innen so tot wie die meisten Leute fast immer sind. Wahrscheinlich ist es so. Wahrscheinlich ist es das, was einem passiert. Wahrscheinlich muss man das tun. Wahrscheinlich ist es das. Wahrscheinlich läuft es darauf hinaus. Schön. Also dann bin ich auf dem besten Wege. Ich bin allen andern weit voraus.“

Schon bis vor über 60 Jahren finden sich bei Hemingway Menschen, Männer jenseits aller Chauvinismus/ Macho – Allüren, jenseits jedem toxischen von mancher Feministin beschworenen niedrigschwelligem Despoten – Geprotze. Er beschreibt Blaupausen für sensibles Sein mit weitem Gefühlsspektrum von Menschen.

Zitat. „Ein Idealist ist ein Mann, (TTT: Anlehnung ans Gendern: „Idealisten sind Menschen…“, warum sollte man hier Frauen und Diverse ausnehmen?) der aus der Tatsache, dass die Rose besser riecht als der Kohl, schließt, eine Suppe aus Rosen müsse auch besser schmecken.“

So assoziiert man manche „Letzte Generation“, überhaupt  manchen Suffix – ismus, der i. d. R. eine Abstraktion, oft ein Gedanken- und Glaubenssystem kennzeichnet, in abstrakten, ideologischen, kulturellen, geisteswissenschaftlichen oder ähnlichen Richtungen (Wikip.).

Welcher Ideale/ Wertigkeiten befleißigen sich Theater neben aufgetragenem „Rübenrauschtheater“? Haltungen zu Rassismus, Feminismus, Klimaaktivismus, Sexismus, Opportunismus usw.? Bewertet man reichliche autokratische Intendanten–Karrieren, so ist  Opportunismus allgegenwärtiges gelebtes „Ideal“ – nicht Kunst! „Belange anderer,  geltende Regeln, eigene Prinzipien sind untergeordnet“. https://www.lernen.net/artikel/opportunismus-27281/  

Auch angesichts Hemingway muss man das wollen/ können – Opportunismus zu seinem gelebten Ideal erheben, damit sein „Süppchen (s. Zitat) kochen“. Solch negative Anpassung zur „Gratifikationsoptimierung“ durchzieht auch sämtliche künstlerischen Abteilungen (seltener Kollektive wie Chor, Orchester und „Unkündbare“ nach 15 Jahren) zur Beschäftigungssicherung. „Zittertermin“ ist jährlich Oktober, zu sogenannten „Nichtverlängerungen“ durch den Intendanten zum Spielzeitende gem. Bühnennormalvertrag Solo! Kündigungsschutz normaler Arbeitnehmer existiert nicht!

Ernest Hemingway: Alter Mann an der Brücke, 1938, Kurzgeschichte

Ein alter Mann mit einer Stahlbrille und sehr staubigen Kleidern saß am Straßenrand. Über den Fluss führte eine Pontonbrücke und Karren und Lastautos und Männer, Frauen und Kinder überquerten sie. Die Maultier-Karren schwankten die steile Uferböschung hinter der Brücke hinauf und Soldaten halfen und stemmten sich gegen die Speichen der Räder.

Die Lastautos arbeiteten schwer, um aus alledem herauszukommen, und die Bauern stapften in dem knöcheltiefen Staub einher. Aber der alte Mann saß da, ohne sich zu bewegen. Er war zu müde, um noch weiterzugehen.

Ich hatte den Auftrag, über die Brücke zu gehen, den Brückenkopf auf der anderen Seite auszukundschaften und ausfindig zu machen, bis zu welchem Punkt der Feind vorgedrungen war. Ich tat das und kehrte über die Brücke zurück. Jetzt waren dort nicht mehr so viele Karren und nur noch wenige Leute zu Fuß, aber der alte Mann war immer noch da.

Wo kommen Sie her?“, fragte ich ihn.

Aus San Carlos“, sagte er und lächelte.

Es war sein Heimatort, und darum machte es ihm Freude, ihn zu erwähnen und er lächelte.

Ich habe die Tiere gehütet“, erklärte er.

So“, sagte ich und verstand nicht ganz.

Ja“, sagte er, „wissen Sie, ich blieb, um die Tiere zu hüten. Ich war der letzte, der die Stadt San Carlos verlassen hat.“

Er sah weder wie ein Schäfer noch wie ein Rinderhirt aus und ich musterte seine staubigen, schwarzen Sachen und sein graues, staubiges Gesicht und seine Stahlbrille und sagte: „Was für Tiere waren es denn?“

Allerhand Tiere“, erklärte er und schüttelte den Kopf. „Ich musste sie dalassen.“ Ich beobachtete die Brücke und das afrikanisch aussehende Land des Ebro-Deltas und war neugierig, wie lange es jetzt wohl noch dauern würde, bevor wir den Feind sehen würden, und ich horchte die ganze Zeit über auf die ersten Geräusche, die immer wieder das geheimnisvolle Ereignis ankündigen, das man ‘Fühlung nehmen’ nennt, und der alte Mann saß immer noch da.

Was für Tiere waren es?“, fragte ich.

Es waren im ganzen drei Tiere“, erklärte er. „Es waren zwei Ziegen und eine Katze und dann noch vier Paar Tauben.“

Und Sie mussten sie dalassen?“, fragte ich.

Ja, wegen der Artillerie. Der Hauptmann befahl mir, fortzugehen wegen der Artillerie.“

Und Sie haben keine Familie?“, fragte ich und beobachtete das jenseitige Ende der Brücke, wo ein paar letzte Karren die Uferböschung herunterjagten.

Nein“, sagte er, „nur die Tiere, die ich angegeben habe. Der Katze wird natürlich nichts passieren. Eine Katze kann für sich selbst sorgen, aber ich kann mir nicht vorstellen, was aus den anderen werden soll.“

Wo stehen sie politisch?“, fragte ich.

Ich bin nicht politisch“, sagte er. „Ich bin sechsundsiebzig Jahre alt. Ich bin jetzt zwölf Kilometer gegangen, und ich glaube, dass ich jetzt nicht weitergehen kann.“

Dies ist kein guter Platz zum Bleiben“, sagte ich. „Falls Sie es schaffen können, dort oben, wo die Straße abzweigt, sind Lastwagen.“

Ich will ein bisschen warten“, sagte er, „aber danke sehr. Nochmals sehr schönen Dank.“

Er blickte mich ganz ausdruckslos und müde an, dann sagte er, da er seine Sorgen mit jemandem teilen musste: „Der Katze wird nichts passieren, das weiß ich; man braucht sich wegen der Katze keine Sorgen zu machen. Aber die andern; was glauben Sie wohl von den andern?“

Ach, wahrscheinlich werden sie heil durch alles durchkommen.“

Glauben Sie das?“

Warum nicht?“, sagte ich und beobachtete das jenseitige Ufer, wo jetzt keine Karren mehr waren.

Aber was werden sie unter der Artillerie tun, wo man mich wegen der Artillerie fortgeschickt hat?“

Haben Sie den Taubenkäfig unverschlossen gelassen?“, fragte ich.

Ja.“

Dann werden sie wegfliegen.“

Ja, gewiß werden sie wegfliegen. Aber die andern; es ist besser, man denkt nicht an die andern“, sagte er.

Wenn Sie sich ausgeruht haben, sollten Sie gehen“, drängte ich.

Stehen Sie auf, und versuchen Sie jetzt einmal zu gehen.“

Danke“, sagte er und stand auf, schwankte hin und her und setzte sich dann rücklings in den Staub.

Ich habe die Tiere gehütet“, sagte er eintönig, aber nicht mehr zu mir.

Ich habe doch nur Tiere gehütet.“

Man konnte nichts mit ihm machen. Es war Ostersonntag, und die Faschisten rückten gegen den Ebro vor. Es war ein grauer, bedeckter Tag mit tiefhängenden Wolken, darum waren ihre Flugzeuge nicht am Himmel.

Das und die Tatsache, dass Katzen für sich selbst sorgen können, war alles an Glück, was der alte Mann je haben würde.

Tim Theo Tinn, 14. Juni 2023

 

 

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