Foto: Julia Wesely
TRISTAN SCHULZE
Ich bin ganz verliebt in diese Kinder!
Tristan Schulze, gebürtig aus Sachsen, seit einem Vierteljahrhundert in Wien ansässig, hat die neueste Kinderoper der Wiener Staatsoper komponiert: „Patchwork“. Er sprach mit uns über die Arbeit in der Walfischgasse, über künftige Projekte und erzählt auch, dass seine Eltern trotz seines prägnanten Vornamens keine Wagnerianer waren…
Das Gespräch führte Renate Wagner
Herr Schulze, wie kommt man zu einer Auftragsarbeit der Wiener Staatsoper? Läutet da eines Tages das Telefon, und eine Stimme sagt: „Hier spricht Dominique Meyer“?
Nein, das ist schon über andere Kanäle gelaufen. Johanna von der Deken, die ich lange kenne, mit der ich befreundet bin, die 2015 in meiner Kirchenoper „Christophorus“ in Tanzenberg in Kärnten gesungen hat, kam mit dem Vorschlag, ob wir der Staatsoper nicht das gemeinsame Projekt einer Kinderoper vorschlagen wollten. Sie war hier ja schon bekannt als Librettistin von „Das Städtchen Drumherum“ von Elisabeth Naske, die wiederum einmal eine Schülerin von mir war, eine besonders begabte noch dazu, um auch das zu erwähnen.
Und gab es da schon die Idee zu „Patchwork“?
Wir haben zuerst grundsätzlich überlegt, und ich dachte, machen wir entweder etwas ganz Altes wie ein Grimm-Märchen, wie ich es schon mit „Dornröschen“ oder „Der gestiefelte Kater“ getan habe, oder etwas ganz Neues, von uns zu Erfindendes. Und da kam sie mit der Idee der Patchwork-Familie, die sie offenbar schon lange mit sich herumgetragen hat. Und mir leuchtete das Thema aus persönlichen Gründen auch ein. Und als ich für die Kinderoper-Bearbeitung von Lortzings „Undine“ – das war die letzte Produktion im Kinderzelt und dann die erste hier in der Walfischgasse – quasi vor Ort war, legte ich das Projekt vor, und Direktor Meyer hat zugestimmt.
Es ist eigentlich eher selten, wenn es auch vorkommt – wie eben auch im „Städtchen Drumherum“ – , dass aktuelle Probleme in einer Kinderoper angesprochen werden. Können Kleinkinder, die ja auch in die Vorstellungen geschickt werden, etwas davon haben?
Ich denke, es gibt in „Patchwork“ viele Situationen, die sich an Zuschauer aller Altersklassen wenden, und jeder wird für ihn das Richtige mitnehmen, wie man ja auch Dinge in jedem Alter anders liest. Dass in Familien Kinder aus früheren Ehen der Eltern zusammen leben, ist heute vielfach üblich, auch dass Vater oder Mutter eine andere Familie haben. Aber wir erzählen auch von der Überforderung von Eltern, zumal allein stehenden, und Schicksale wie die von Vera, die mit drei Kindern allein ist, und Niko, der mit seinem Sohn neu in die Nachbarwohnung zieht, sind ja nicht ungewöhnlich. Es gibt dann noch Tom, Veras früheren Mann, und dessen neue Freundin, das sind die vier erwachsenen Hauptrollen, den Rest der Besetzung stellen Kinder. Und mir ist weniger wichtig, jetzt eine „Aussage“ zu liefern, als eine Oper, die die Zuschauer – jeden auf seiner Ebene – interessiert und packt.
Es fällt auf, dass die vier Rollen auch vier Stimmlagen bedeuten, Vera und Niko als Mezzo und Bariton, Tom und Melanie Tenor und Sopran, und dass es viele Beetzungen gibt… die Staatsoper setzt da sehr viele Künstler ein.
Ja, und das ist natürlich sehr interessant, weil es oft ganz verschiedene Typen sind, etwa Stephanie Houtzeel, die Premieren-Vera, und Ildikó Raimondi, mit der ich ganz wunderbar in meiner Oper „Premiere“, seinerzeit in der Hölle des Theaters an der Wien zusammen gearbeitet habe. Das einzige Problem besteht darin, dass nicht alle Künstler genügend Proben bekommen können – und Herbert Lippert, der den Tom in der Premiere singen sollte, musste dann in der „Toten Stadt“ einspringen und dort so viel proben, dass jetzt Wolfram Igor Derntl die Premiere singen wird, und ich finde, er ist ganz großartig in dieser Rolle.
Wie ist die Arbeit mit den Kindern? Es gibt ja auch vier Kinderrollen, die jeweils dreifach mit den Kindern der Opernschule besetzt sind?
Also, zuerst ist da die Regisseurin Silvia Armbruster zu bewundern, die absolut ideal mit den Kindern umgeht, ihnen nichts vorgibt, sondern sie gleichsam sie selbst sein lässt. Ich habe für einen der Buben auch in einer Szene vorgesehen, dass er die E-Gitarre spielt, nicht perfekt, sondern eben wie jemand, der es gerade lernt. Ich habe die Buben bei den Proben da ein bisschen gecoacht, und ich bin ganz verliebt in diese Kinder, in ihr Talent und ihre Begeisterung. Ich möchte auch dem Direktor vorschlagen, nur mit den Kindern der Opern- und der Ballettschule ein kleineres Medien-Projekt zu machen, etwas Popsong-Artiges, wo sie selbst mitbestimmen dürfen, worüber sie singen wollen.
Sie sind bekannt dafür, „tonale“ Musik zu schreiben, was ja heutzutage verpönt ist. Hat man Ihnen noch nie gesagt: „Deine Musik ist ja nichts wert, die ist ja zu schön.“
Wenn meine Musik gespielt wird, schau ich mir gern die Leute an. Sehe ich zufriedene Gesichter, freu ich mich. Die Wertfrage hat sich mir noch nie gestellt. Ich finde, Musik darf Spaß machen und sie darf berühren. Und der Stilmittel sind viele. In „Patchwork“ gibt es z.B. Halbtoncluster wie beim frühen Penderecki, das dauert aber, als Ausdruck höchster Verzweiflung, ein paar Sekunden. Und diese Wirkung möchte ich nicht missen. Es gibt aber genauso ausgeschriebenen Jazz, Barockmusik, Tango etc. Ich versuche immer, ein adäquates Umfeld dafür zu schaffen, was die Geschichte und der Text jetzt brauchen.
Um auf die Kinderoper und Ihre Arbeit zurück zu kommen: Ist es eigentlich ein Zufall, dass Sie relativ viel auf diesem Gebiet gemacht haben?
Ich bin ein Mensch, der nicht an Zufälle, sondern an große Zusammenhänge glaubt. Ich habe, als ich aus Dresden wegging, drei kleine Töchter zurückgelassen. Das macht mir keine Ehre, aber mein Leben, wie es heute ist, wäre anders nicht möglich gewesen. Heute sind die Töchter erwachsen und ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu ihnen. Aber das schlechte Gewissen war immer da, und ich bin sicher, dass ich nicht zuletzt deshalb so überproportional viel musikalische Arbeit für Kinder gemacht habe. Das hat schon mit der Zusammenarbeit mit Christine Nöstlinger beim ORF begonnen. Dann folgte vieles, vom „Brudermord auf Rappottenstein“, der von einem Ensemble der Wiener Philharmoniker genau dort, auf dieser Burg im nördlichen Waldviertel aufgeführt wurde, bis zum „Gestiefelten Kater“ mit Chris Pichler im Musikverein – abgesehen davon, dass mir auch dieses Konzept einer einstündigen Komposition gefällt.
Auch Ihre „erwachsene“ Oper, „Premiere“, bei der ich mich 2012 in der „Hölle“ des Theaters an der Wien so prächtig unterhalten habe, ist ja „nur“ ein Ein-Stunden-Stück gewesen. Gibt es keine abendfüllende Oper von Ihnen?
Doch, und sie wird schon diesen Sommer uraufgeführt. Es ist ein ganz besonderes Projekt, das im oberösterreichischen Putzleinsdorf stattfinden wird, „Die Leinenhändler-Saga“ heißt und wobei auch Johanna Rachinger, die Generaldirektorin der Österreichischen Nationalbibliothek mitwirkt. Man könnte es eine Laienproduktion nennen, aber wenn man sieht, wie der ganze Ort für diese Aufführung regelrecht „vibriert“, erwarte ich mir etwas Besonderes. Ich habe auch noch andere fertige Opern, aber es ist nicht so einfach, aufgeführt zu werden – zumal mit einem großen Werk.
Eine private Frage: Wenn jemand den ungewöhnlichen Vornamen „Tristan“ trägt, kann man eigentlich annehmen, dass seine Eltern Wagnerianer waren?
Überhaupt nicht. Meine Mutter lebte, als sie mich erwartete, in einer kleinen Gemeinde in Sachsen, in Schlettau im Erzgebirge. Sie wollte mich Michael nennen, aber gleichzeitig waren zwei andere Frauen schwanger, und es stellte sich heraus, dass auch deren Kinder, wenn es Söhne werden würden, Michael heißen sollten. Da wollte meine Mutter einen Namen, bei dem sie nicht Gefahr liefe, dass wer anderer ihn auch aussuchte, und sie kam auf Tristan – später habe ich entdeckt, dass das einzige in Leder gebundene Buch, das sie besaß, „Tristan“ hieß. Ich muss übrigens gestehen, dass ich für den „Tristan“ im Vorjahr zum ersten Mal in meinem Leben in Bayreuth war – und da habe ich erst begriffen, was es mit dem Festspielhaus auf sich hat. Keine Schilderung kann das erklären, was der versenkte Orchesterraum für eine Aufführung bedeutet: Wahrscheinlich kann man nur dort eine Wagner-Partitur wirklich hören und begreifen.
Und noch eine private Frage: Sie leben in Wien, warum?
Weil ich es hier schön finde? Nach dem Fall der Mauer bin ich aus Sachsen weg, zuerst ein halbes Jahr nach Indien, was für meine musikalische Weiterbildung sehr ergiebig war, und dann kam ich nach Wien und bin geblieben. Es ist eine wunderbare Stadt, vor allem in ihrem kulturellen Angebot. Davon profitiert man auch als Komponist. Allerdings – meine abendfüllende Oper „Herr Mozart wacht auf“ nach dem Roman von Eva Baronsky, eine wirklich witzige Geschichte, habe ich der Staatsoper, der Volksoper, dem Theater an der Wien, ebenso in Linz angeboten, und keiner will das finanzielle Risiko einer „großen“ Uraufführung auf sich nehmen. Es ist also nicht so einfach.
Herr Schulze, dann halten wir doch einmal die Daumen für „Patchwork“ und die „Leinenhändler-Saga“!