TORRE DEL LAGO/ PUCCINI FESTIVAL (Gran Teatro Puccini) : LA RONDINE von Giacomo Puccini am 27.8.2022
Magda träumt sich weg. Foto: Puccini-Festival Torre del Lago
Zu den vielen Rätseln von Puccinis seltsamer Oper „La Rondine (die Schwalbe) zählt die Frage, warum sich die schöne Magda im dritten Akt, obwohl die Mutter Ruggeros briefmässig die Beziehung gesegnet hat, sich trotzdem plötzlich Knall auf Fall von ihrem Lover trennt. Seit Denis Kriefs Inszenierung in Torre del Lago wissen wir es: es ist sein blassblauer Pyjama, der sie (völlig verständlicherweise) so plötzlich in die Flucht schlägt…
Spaß (oder auch: Ernst) beiseite: es ist dem Puccini Festival hoch anzurechnen, das es diese selten aufgeführte Schwalbe in Torre del Lago auf den Spielplan gesetzt hat (relativ unbedankterweise übrigens: denn das Große Theater am Seeufer war maximal zu zwei Dritteln gefüllt).
Das ändert aber nichts daran, dass „Die Schwalbe“ (schon einmal ein ziemlich pathetisch-poetisch-prätentiöser Titel) ein höchst problematisches Werk ist.
Das fängt schon mit der Entstehungsgeschichte an: vom Wiener Carl-Theater damit beauftragt, eine „Operette“ (nach dem Libretto von Alfred Maria Willner und Heinz Reichert ) zu schreiben, wollte es Puccini (mithilfe des italienischen Librettisten Giuseppe Adami) in eine „ sentimental-mondäne komische Oper“ (Worte des Komponisten) verwandeln, aber „La Rondine“ ist letztlich weder Oper noch Operette, sondern ein irgendwie unbefriedigender Genre-Zwitter.
Schicksalshafte Begegnung im „Sündenpfuhl“. Foto: Puccini-Festival Torre del Lago
Genaugenommen versteht man eigentlich keinen Augenblick lang, was Puccini an dieser Geschichte interessiert hat, denn sie ist ein unvergorenes Gemisch aus „Manon Lescaut“, „La Bohème“ und „La Traviata“ (der letzte Akt spielt doch tatsächlich in der Provence!), aber in jedem einzelnen Punkt sehr viel schwächer als die Vorlagen.
Und die Inszenierung Denis Kriefs (der an und für sich ein sehr sympathischer Mann ist und schon viele tolle Produktionen gemacht hat) tut nichts, um dieses Unverständnis zu erhellen, ganz im Gegenteil. Der erste Akt spielt in einer Art Ikea-WG, und Magdas „Aushälter“ ist ein junger, fescher und gut gekleideter junger Mann. Warum sich die schöne Frau dennoch aus dieser Beziehung in eine „grosse Liebe“ hineinträumt…Mysterium. Diese große Liebe begegnet ihr dann in der Gestalt des erstaunlich kleinwüchsigen peruanischen Tenors Ivan Ayon Rivas – was natürlich in Kombination mit dem erstaunlich hochgewachsenen amerikanischen Sopran Jaquelyn Wagner eine weitere Hürde für die Glaubwürdigkeit dieser leidenschaftlich sein sollenden Liebesgeschichte darstellt.
Der Funke zwischen den beiden grössenmässig gechallengeten Personen springt in dieser Inszenierung jedenfalls in einer Art rotausgeleuchteten Offenbachschen Hölle über, wobei dieser angebliche Sündenpfuhl, das berüchtigte, normalerweise von „Grisetten“ bevölkerte Aufrisslokal „Bullier“ hier in erster Linie adrett in schwarzen Anzügen gekleideten Lesben ( „Noiretten“ ?) zur Verfügung steht, die miteinander tanzen – während die Mannsbilder nur zuschauen dürfen. Hmm…verstehe das, wer will…
Der blassblaue Pyjama ist an allem schuld. Foto: Puccini-Festival Torre del Lago
Der dritte und letzte „provenzalische“ Akt spielt dann in einem „Blaue Lagune“ mäßigen Fertigteilhaus, nur Gott und Krief wissen vielleicht warum…Jedenfalls kommt hier endlich der absolut beziehungsmörderische blassblaue Schlafanzug ins Spiel…und die schöne Magda verlässt ihren fast minderjährigen Galan wieder zugunsten ihres fescheren, reicheren und auch grössenmäßig adäquateren „Aushälters“. Schwalbe, bleib bei deinem Leisten !
Irgendwie alles (ganz im Gegensatz zu „La Traviata“ !) unbewegend und uninteressant.
Dass der Abend dennoch zu einem angenehmen und vergnüglichen Erlebnis wurde, lag in erster Linie an dem Ensemble, das um viiieles besser und homogener war als das der Tosca.
Jaquelyne Wagner hat ja die Wunderbarkeit ihres Soprans schon an vielen großen Häusern, darunter auch in Wien, unter Beweis gestellt, Ivan Ayon Rivas tat dies hier mit seinem Tenor.
Aber auch das „buffo“-Paar – Mirjam Mesak als Lisette und Didier Pieri als Prunier – war einfach phänomenal.
Wozu „La Rondine“ gut sein soll (abgesehen von zwei sehr schönen Arien im ersten Akt) wurde auch an den Ufern des Lago Massaciuccoli nicht klar. Aber what shall’s: es war einer der letzten lauen Sommerabende, wir waren milde gestimmt, und wenn man Sinn und Logik der Handlung nicht weiter hinterfrug, konnte man ein paar angenehme und unbeschwerte Stunden mit schönen Stimmen erleben…
Robert Quitta, Torre del Lago