TORRE DEL LAGO / 67. Festival Puccini: TOSCA
6.8. 2021 (Werner Häußner)
Dieser Scarpia ist ein Schlächter. Auf seinem Schreibtisch liegt frisches rotes Fleisch, das Blut rinnt vom weißen Tuch. Der noble Baron in historisierendem Rock taucht seine Hände in die blutige Masse und wäscht sie dann in einer gewaltigen gläsernen Bowl. Hinter ihm hängt ein riesiger Stadtplan von Rom, schwarz und weiß, durch den sich der Tiber in grellem Fuchsienrot schlängelt.
Die Farben der Fuchsienblüte sind für Regisseurin Stefania Sandrelli Symbol der Gewalt gegen Frauen. Feminizide, Me Too, Frauen als Opfer – das will die bekannte Schauspielerin im Gran Teatro Puccini in Torre del Lago ansprechen. Sandrelli, großer italienischer Filmstar der siebziger bis neunziger Jahre, stammt aus Viareggio, zu dem Torre del Lago gehört. Sie hat mit Bernardo Bertolucci und Ettore Scola – dem Regisseur der „Bohème“ am gleichen Ort – gedreht und kehrt nun für ihre erste Regiearbeit überhaupt in ihre Heimat zurück.
In der Neuinszenierung dieses Jahres ist das Streben spürbar, den unreflektierten Opern-Naturalismus im Spiel auf der Bühne hinter sich zu lassen. Einen Beitrag leistet die Bühne von Andrea Tocchio, der auch als assistierender Regisseur angegeben ist. Perspektivisch verzerrt umstellen monumentale barocke Pfeilerfassaden den Bühnenraum; im Zentrum fällt der Blick auf eine Kuppel. Alles ist in strengem Schwarz-Weiß gehalten. Tocchio, auch der Kostümbildner der Neuproduktion, kleidet Floria Tosca in die grelle, zwischen Rot, Pink und Violett changierende Fuchsien-Farbe und hebt sie damit aus den dezent historisch bis unfreiwillig komisch (der Sakrestan) gewandeten Darstellern heraus. Um sie geht es – eine Frau, die sich der Kunst gewidmet und so eine gewisse gesellschaftliche Position geschaffen hat und die sich nicht damit abfindet, zum Opfer degradiert zu werden.
Das Konzept mag ehrsam erdacht sein; es schlittert aber dann doch zurück in den Opernalltag von gestern: Der Cavaradossi des neapolitanischen Tenors Vincenzo Costanzo bleibt der mal schmachtende, mal aufmüpfige, zum Schluss larmoyante junge Hitzkopf. Den Mesner rückt Gianni Luca Giuga – ungeachtet seiner wohlklingenden, aber nicht sehr durchsetzungsfähigen Stimme – in die Nähe der üblichen Witzfigur. Nicola Pamio ist es als Spoletta nicht vergönnt, ein Profil zu entwickeln. Franco Vassallo, international tätiger Bariton von erklecklicher Güte, findet zu keiner psychologischen Charakteristik des gefährlichen Kavaliers Scarpia, der seine Autorität durch smarte Intelligenz, nicht durch Anbrüllen seiner Leute gewinnt und der vor seinem Opfer Tosca von geheucheltem Mitgefühl bis zu brutalem Zugriff alle Facetten eines Gewalttäters offenlegen sollte. Vassallo dagegen verhält sich vordergründig, wenn er sich nicht auf würdiges Herumstolzieren beschränkt.
Hiromi Omura – zuletzt 2019 mit ihrer Paraderolle Cio-Cio-San in Torre del Lago zu Gast – bringt als Tosca ihre tiefgründige Bühnenerfahrung mit ein und gestaltet wichtige Szenen wie das Duett mit Cavaradossi im ersten und den Konflikt mit Scarpia im zweiten Akt mit ihren eigenen schauspielerischen Mitteln. Opfer der Regie wird sie, wenn sie kurz vor dem obligatorischen Todessprung, für den ein ansonsten überflüssiges Podest platziert wurde, noch schnell einen der Sbirren erdolcht und damit der einzigartigen Verzweiflungstat der herzensfrommen Frau das existenzielle Gewicht nimmt. Wo Ideen danach drängen, weitergeführt zu werden, bleiben sie stecken, etwa in der Gestaltung der Schergen Scarpias, die Tocchio mit Kapuzen und langen schwarzen Umhängen wie geheimnisvolle Gespenster oder Fantasy-Figuren á la „Herr der Ringe“ auftreten lässt. Die Lichtregie (Valerio Alfieri) ist mit einem auf Teile des Publikums gerichteten Scheinwerfer aus dem Hintergrund keiner handwerklichen Diskussion würdig.
Hätte diese immer wieder faszinierende Studie über Gewalt, Politik, menschliche Schwächen und seelische Erschütterung wenigstens musikalisch ein überdurchschnittliches Niveau erreicht! Aber Alberto Veronesi münzt seine jahrzehntelanger Erfahrung als Puccini-Dirigent an diesem Abend nicht in klingende Ergebnisse um: Die anfangs erfreulich strikt akzentuierte Rhythmusdisziplin weicht im Lauf des Abends auf, dem Cantabile der Streicher fehlt immer wieder nicht nur der ausgekostete Bogen, sondern auch der dynamisch drängende Zug der Musik. Wenn Cavaradossi erklärt, er werden den gewesenen Konsul Angelotti (Christian Federici) retten, auch wenn es ihm das Leben kosten sollte („la vita mi costasse“), erlaubt Veronesi dem Sänger, die Stimme überflüssig lang auszustellen. Das Te Deum schleppt sich dahin ohne die untergründige Unruhe und die dämonische Majestät des Klangs. Der letzte Akt zieht sich nach einer merkwürdig atmosphärelosen Einleitung in zähem Tempo. Seltsam, dass dem Dirigenten, der seit 1998 in Torre del Lago an leitender Stelle tätig war und erst 2020 von Giorgio Battistelli nach zwei letzten Jahren als interimistischer Künstlerischer Leiter abgelöst wurde, ein solch trockener, energiearmer Abend unterläuft.
Im Trio der Hauptrollen ragt Franco Vassallo heraus: ein erfahrener Sänger mit einer untrüglich sicheren Stimme, der die Worte gewichten und ihrer Aussage musikalische Farbe unterlegen kann. Hiromi Omura zeigt trotz mancher Mühe im tiefen Register, dass sie die flammend-durchschlagenden Attacken der Tosca ebenso beherrscht wie den sensibel-resignierten Ton einer souverän gesungenen Arie wie „Vissi d’arte“.
Vincenzo Costanzo kann mit einer krähend-metallischen, dabei dünn gestützten Höhe nicht überzeugen; auch das immer wieder nachlässig abgesicherte und daher zum flackernden Vibrato neigende Zentrum der Stimme blüht – etwa in „E lucevan le stelle“ – nicht richtig auf. Auch in Torre del Lago kommt man nicht umhin, zu konstatieren, dass vor allem die passenden Tenöre für Puccini zur Zeit schlicht unverfügbar sind.