Manon Manon Manon: Teatro Regio Torino
Daniel François Esprit Auber: Manon Lescaut • Teatro Regio Torino • Vorstellung: 24.10.2024
(4. Vorstellung • Premiere am 17.10.2024)
Jules Massenet: Manon • Teatro Regio Torino • Vorstellung: 25.10.2024
(5. Vorstellung • Premiere am 05.10.2024)
Giacomo Puccini: Manon Lescaut • Teatro Regio Torino • Dernière: 26.10.2024
(7. Vorstellung • Premiere am 01.10.2024)
«Manon Manon Manon»? «Manon Manon Manon»!
Mit dem Projekt «Manon Manon Manon» ist dem Turiner Teatro Regio ein singulärer Wurf gelungen. Ausgehend vom 100. Todestag Puccinis (29.11.2024) und einer Neuinszenierung seiner in Turin uraufgeführten «Manon Lescaut» (01.02.1893) aus diesem Anlass, entschied man sich die beiden weiteren Vertonungen des Romans von Abbé Prévost, die «Manon» Massenets und die «Manon Lescaut» Aubers ebenfalls aufzuführen. Die gleichzeitige Produktion der drei Opern bietet eine neue, erhellende Sicht auf die Vorlage und ihre musikalischen Bearbeitungen: Die Opern von Auber und Massenet zeigen die Sicht auf die Hauptfigur im Unterschied von 50 Jahren, denn das von Auber verwendete Libretto von Eugène Scribe stammt von 1830, damals von Jean-Pierre Aumer choreographiert und von Jacques Fromental Halévy in Musik gesetzt. Und der Vergleich der französischen Manons mit der italienischen bestätigt Puccinis Diktum: «Massenet fühlt sie als Franzose, mit Puder und Menuetten. Ich fühle sie als Italiener – mit verzweifelter Leidenschaft». Der Zwang der Librettisten, Vorlagen drastisch zu kürzen, führt also zu ganz unterschiedlichen Sichten der gleichen Figur. Die «Manon» Massenets ist auf den Spielplänen durchaus präsent; die «Manon Lescaut» Aubers ist in diesem Jahrtausend nur in Wexford (2002) und Liège (2016) zu sehen gewesen. Damit ist die Aufführung des Werks von Auber eine wertvolle Ergänzung des Repertoires: von den über 40 Opern Aubers werden nur «La muette de Portici» (ab April 2025 in Darmstadt), «Fra Diavolo» und «Le domino noir» gespielt.
Regisseur des Projekts, also aller drei Inszenierungen, ist Arnaud Bernard, der die drei Opern, um Besonderheiten und Unterschiede herauszuarbeiten, durch das Vergrösserungsglas des französischen Kinos betrachtet. Damit nimmt er Bezug auf Turin als Filmstadt: hier fanden die ersten Filmvorführungen (durch die Gebrüder Lumière) in Italien statt und bevor die Cinecittà am 28. April 1937 durch Benito Mussolini eröffnet wurde, waren die relevanten Filmstudios Italiens in Turin angesiedelt. Ergebnis. Die Manon von Auber ist ein Vöglein im Käfig, die von Massenet eine Frau auf der Suche nach sich selbst und für Puccini ist sie eine freie, rebellische Frau. Prévosts Manon, die für jede dieser drei Opern die Vorlage ist, ist abenteuerlustig und frei und entdeckt die wahre Liebe erst spät. Vor allem aber ist sie treu, was in den Opern dann so nicht mehr vorkommt. Für Puccini ist die Perspektive der «poetische Realismus» der dreissiger Jahre («Le Quai des brumes», «Le jour se lève» und «Les Enfants du paradis» von Marcel Carné; 1938/1939/1945), für Massenet Brigitte Bardot und das Paris der sechziger Jahre («La verité» von Henri-Georges Clouzot; 1960) und für Auber der Stummfilm («Little Lord Fauntleroy» von Jack Pickford und Alfred E. Green; 1921). Bernard beginnt die einzelnen Akte der Opern jeweils mit prägnanten Ausschnitten aus den Filmen (Video: Marcello Alongi), die Inspiration für die Handlung bieten und von den imposanten Bühnenbildern von Alessandro Camera. Die Kostüme von Carla Ricotti orientieren sich ebenfalls an den Filmen. Fiammetta Baldiserri setzt das eindrückliche Geschehen imposant ins rechte Licht.
Arnaud Bernards szenische Umsetzung der Manon-Trilogie überzeugt uneingeschränkt. Die Kombination von Film und Oper ist nachvollziehbar und schlüssig. Hier ist nichts zurechtgebogen, nichts von einem Ego gewollt, denn, so Bernard im Fernseh-Interview zur Übertragung von Aubers «Manon Lescaut» am 24.10.: Ihn interessiere nicht die Manon Bernards, ihn interessiere die Manon Aubers, Massenets, Puccinis. Hätten doch nur mehr Regisseure eine solche Einstellung!!!
Daniel François Esprit Auber: Manon Lescaut • Teatro Regio Torino • Vorstellung: 24.10.2024
Foto © Teatro Regio Torino
Das Ensemble der Solisten begeistert mit perfekter französischer Diktion und ausgeprägten schauspielerischen wie sängerischen Fähigkeiten. Armando Noguera überzeugt mit wunderbar leicht geführtem, farbenreichem Spiel-Bariton als Il marchese d’Hérigny. Rocío Pérez lässt als Manon Lescaut mit kristallklarem, höhensicherem Sopran die Koloraturen nur so perlen. Der verführerisch dunkel gefärbte, volle Sopran von Lamia Beuque als Marguerite bietet einen guten Kontrast. Francesco Salvadori gibt den Lescaut mit samtig-wohlklingendem Bass. Sébastien Guèze ist ein Des Grieux mit agil geführtem Tenor mit dem gewissen etwas in der Stimme. Manuela Custer als Madame Bancelin, Guillaume Andrieux als Renaud, Anicio Zorzi Giustiniani als Gervais, Paolo Battaglia als Monsieur Durozeau, Tyler Zimmerman als Un sergente, Juan José Medina als Un borghese und Albina Tonkikh als Zaby . Dem Ensemble gelingt der für die Gattung der Opéra Comique typische Wechsel zwischen gesprochenen Dialogen und gesungenen Nummern mit bewundernswerter Leichtigkeit und gutem Schwung: Bessere Werbung für die Opéra comique als Gattung gibt es nicht.
Ulisse Trabacchin hat den Coro Teatro Regio Torino perfekt vorbereitet. Das Kollektiv ist mit sichtbarer Spielfreude am Werk. Auf gleichem, hohem Niveau bewegt sich das Orchestra Teatro Regio Torino unter musikalischer Leitung von Guillaume Tourniaire. Mit wunderbarer Leichtigkeit bringt es die herrlich melodiöse, farbige Musik Aubers zu Gehör.
Jules Massenet: Manon • Teatro Regio Torino • Vorstellung: 25.10.2024
Foto © Teatro Regio Torino
Besonders gelungen ist die Produktion von Massenets «Manon», denn hier wird das Theater «moralische Anstalt». Die ganze Aufführung über beobachten Richter von einer erhöhten Bank aus das Geschehen in der «Arena» und richten. So besteht reichlich Gelegenheit zu assoziieren.
Das Ensemble der Solisten begeistert erneut mit perfekter französischer Diktion und ausgeprägten schauspielerischen wie sängerischen Fähigkeiten. Kurz: Mustergültiges Stilbewusstsein. Ekaterina Bakanova ist als Manon Lescaut eine Idealbesetzung: mit wunderbar vollem Sopran gelingt ihr eine ehrlich mädchenhafte Interpretation. «Puder und Menuette» kommen gut zur Geltung, dominieren aber nicht. Atalla Ayan gibt den Chevalier des Grieux mit hellem, höhensicheren, strahlenden Tenor. Björn Bürger leiht bei hervorragender Bühnenpräsenz dem Lescaut seinen strahlenden Bariton. Altmeister Roberto Scandiuzzi gibt den Comte des Grieux. Thomas Morris als Guillot de Morfontaine und Allen Boxer als Monsieur de Brétigny wie auch Olivia Doray als Poussette, Marie Kalinine als Javotte und Lilia Istratii als Rosette als auch Ugo Rabec als L’hôtelier überzeugen mit gut geführten, gepflegten und charakteristischen Stimmen. Alejandro Escobar und Leopoldo Lo Sciuto als Deux guardes, Roberto Miani als Un mercante, Franco Rizzo als M de Chansons, Giovanni Castagliuolo als M de Elixir, Andrea Goglio als Cuciniere und Junghye Lee als Una commerciante.
Ulisse Trabacchin hat den Coro Teatro Regio Torino wieder perfekt vorbereitet. Das Kollektiv ist mit sichtbarer Spielfreude am Werk. Unter musikalischer Leitung von Evelino Pidò spielt das Orchestra Teatro Regio Torino erneut einen grossen Abend. Mit wunderbarer, federhafter Leichtigkeit begeistern die sorgfältigst gestalteten Mélodrames.
Giacomo Puccini: Manon Lescaut • Teatro Regio Torino • Dernière: 26.10.2024
Foto © Teatro Regio Torino
Bei der musikalischen Umsetzung von Puccinis «Manon Lesacaut» scheint der Leidenschaft weitgehend die Luft ausgegangen («Ich fühle sie als Italiener – mit verzweifelter Leidenschaft»). Von Verzweiflung ist nichts zu entdecken. Das Dirigat von Renato Palumbo wirkt seltsam blass, das Orchestra Teatro Regio Torino nicht mehr so inspiriert wie in den Vorstellungen zuvor. Einzig der Coro Teatro Regio Torino (Chorleitung: Ulisse Trabacchin) vermag die Spannung zu halten.
Erika Grimaldi ist die grosse Ausnahme und vermag als Manon Lescaut in jedem Moment zu überzeugen: mit grosser Bühnenpräsenz und einer Stimme, die im ganzen, grossen Haus trägt. Der Renato Des Grieux geht an diesem Abend weit über die Möglichkeiten von Roberto Aronica hinaus: die Klinge klingt orgelnd, matt und stumpf, der Atem scheint begrenzt. Ausbleibender Applaus nach «Donna non vidi mai» spricht für sich. Alessandro Luongo als Lescaut und Carlo Lepore als Geronte di Ravoir bieten achtbare Leistungen. Giuseppe Infantino als Edmondo, Didier Pieri als Un lampionaio e Il maestro di ballo, Reut Ventorero als Un musico, Janusz Nosek als Sergente degli arcieri e L’oste, Lorenzo Battagion als Il comandante di marina, Pierina Trivero als Madrigalista, als Madrigalista, Giulia Medicina als Madrigalista und Daniela Valdenassi als Madrigalista ergänzen das Ensemble
Keine weiteren Aufführungen in dieser Saison
Jan Krobot/Züich