Tokio ist tatsächlich toll, 05. April 2013
von Ursula Wiegand
Tokio ist toll – diesen Eindruck habe ich immer wieder. Auch die mitreisenden Japan-Neulinge sind sofort von dieser Megacity begeistert. Dass ich selbst etwas voreingenommen bin, räume ich gerne ein, denn dort war ich vier Jahre zuhause. Das ist zwar lange her, rund drei Jahrzehnte. Aber jedes Wiedersehen ist trotz aller Veränderungen eine Heimkehr. Eine mit Überraschungen.
Tokio, Stadtteil Shibuya. Foto: Ursula Wiegand
Erneut sage ich: „Was für eine Stadt!“ Im Zentrum schießen die Wolkenkratzer wie Pilze aus dem Boden, der Bauboom straft die Rezession Lügen. Aus dem Hotelfenster im Stadtteil Shibuya blicke ich auf einen Wald aus Glas- und Beton. Ungewöhnlich, aber faszinierend. Platzangst habe ich nicht, Furcht auch nicht. Tokio gilt zu Recht als sicherste Großstadt der Welt. Also rein ins Gewühle.
Munter trabe ich im Passantenstrom, niemand rempelt mich an. Von kleinauf lernen die Japaner, Rücksicht zu nehmen. Die Bilder, wie Männer die Menschen in Zugabteile pressen, stammen aus dem Berufsverkehr. 36 Millionen leben im Großraum Tokio, und die pendeln.
Tokio, Station Shibuya, Übersichtsplan. Foto: Ursula Wiegand
Als Besucherin vermeide ich die Stoßzeiten und kann nach den Zügen die Uhr stellen, so pünktlich sind sie. Und sauber sowieso. Neun Metrolinien, jede in ihrer Farbe, durchqueren Tokio. Mich zurechtzufinden muss ich jedes Mal wieder üben.
Immerhin sind die Stationen nun auch in Englisch beschriftet, und Übersichtspläne hängen an den Wänden. Auf einigen Wagen steht „Women only“. Im Internetcafé erlebe ich Ähnliches. Japanerinnen wahren gerne den Abstand.
Tokio, Eingangstor zum Meiji-Garten. Foto: Ursula Wiegand
Damit ich in kurzer Zeit viel sehen kann, begleitet mich nun Reiseführerin Tamiko. Gleich eilt sie mit mir zum Meiji-Garten, angelegt nach dem Tod von Kaiser Meiji (1852-1912), der Japan in die Moderne führte. „Dieser Garten ist ein Kraftort,“ sagt sie in bestem Deutsch. Und spätestens an der heiligen Quelle scheint der Jetlag überwunden.
Tokio, Tamiko bei der Hände-Reinigung vor Meiji-Shrine-Besuch. Foto: Ursula Wiegand
Aber nicht die Finger hineintunken! Wasser zur symbolischen Reinigung von Mund und Händen schöpfen wir aus einem Becken, bevor wir zum Meiji-Schrein gehen, einem schintoistischen Heiligtum. Hier hat sich fast nichts verändert. Auch die kaiserlichen Gärten in Tokios Mitte sehen, soweit zugänglich, aus wie eh und je. Das Hightech-Land bewahrt die Tradition und seine Seele.
Ginza, Mikimoto-Bau von Toyo Ito, 2005. Foto: Ursula Wiegand
Anderes wandelt sich, selbst die Ginza, die bekannte Shopping- und Flaniermeile. Dort gibt es nun auch preiswerte Läden für die modebewusste Jugend. Eine teure Perlenkette von Mikimoto werden sich die Teenager nicht leisten können. Das Unternehmen, Pionier der Perlenzüchtung, feiert gerade den 120. Geburtstag. Sein Domizil kann sich sehen lassen, und im dortigen Café ist alles etwas teurer.
Doch ansonsten ist Tokio wieder erschwinglich geworden. Die japanische Notenbank drückt den Yen-Kurs, und so sind Essen und Trinken kaum teurer als daheim. In den 242 Sterne-Restaurants muss man allerdings tiefer in die Tasche greifen.
Tokio, Gerichte in Plastik. Foto: Ursula Wiegand
Schriftzeichen lesen – das muss man nicht können. Zahlreiche Restaurants haben Speisekarten in Englisch, und in Plastik-Version stehen die Gerichte im Schaufenster. Ich zeige auf „Ramen“, die beliebte Nudelsuppe, angereichert mit Gemüse und Fleisch. Den Löffel ignorierend hebe ich die Schüssel zum Kinn, greife die schlüpfrigen Nudeln mit den Stäbchen und schlabbere sie wie die Japaner in den Mund. Die Bluse bleibt fleckenfrei.
Kann man – zwei Jahre nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima –angstfrei essen, Leitungswasser trinken und herumspazieren? Deutsche Experten geben Entwarnung. Die Strahlenbelastung in Tokio ist nicht höher als in Deutschland und niedriger als in den Alpen.
Tokio, Inshotei, gute Adresse für traditionelle Speisen
Die feinere, traditionelle Art zu speisen heißt Obento oder Kaiseki. In hoher Qualität bietet das z.B. das „Inshotei“ am Ueno-Park. Der typisch japanische Bau wirkt sogleich einladend. Die kleinen Köstlichkeiten, serviert in lackierter Holzschachtel, sind schon optisch ein Genuss. Dazu schmeckt Tee oder ein gutes japanisches Bier.
Tokio, Omotesando, Prada-Bau von Herzog & de Meuron. Foto: Ursula Wiegand
Gutes zu sehen gibt es dann auf der Omotesando, Tokios „Architektenstraße“. Dort wetteifern internationale Stars aus Japan und aller Welt. Das Büro Sanaa hat für Dior gebaut, Jun Aoki für Louis Vuitton und Herzog & de Meuron für Prada
Alles Hingucker, doch der Hit ist das neue Shopping-Center Tokyu Plaza von Hiroshi Nakamura. Nicht nur wegen der Modeläden oder der Spiegelungen im Eingang. Der Clou ist die bepflanzte Dachterrasse, eine Sonnenoase zum Relaxen. – Die Straße endet am Nezu-Museum von Kengo Kuma, einem Holzbau von raffinierter Schlichtheit.
Tokio, Mori Tower in Roppongi bei Abendsonne. Foto: Ursula Wiegand
Andere Bauten setzen sich schimmernd in Szene und erstrahlen beim Sonnenuntergang. So das wellenförmige Kunstzentrum (The National Art Center) von Kisho Kurokawa oder der 238 Meter hohe Mori Tower, der den Stadtteil Roppongi deutlich aufwertet.
Tokio, Design Museum von Tadao Ando. Foto: Ursula Wiegand
Dagegen übt Altmeister Tadao Ando – ein weltberühmter Architekt – Zurückhaltung und verweist mit seinem Design-Museum auf Traditionelles. Das zweiteilige Dach des niedrigen Baus erinnert an ein aufgeschlagenes Furoshiki, ein Tuch, in dem früher Dinge getragen wurden.
Lebendig wie immer zeigt sich Asakusa (sprich: Asaksa). Japaner und Fremde streifen durch die Nakamise-dori, eine schnurgerade Straße gesäumt von überdachten Marktständen. Unaufdringlich offerieren die Händler traditionelle Tücher, Fächer, Dosen und Lebensmittel. Aparte Mitbringsel und (zumeist) kein chinesischer Billigkram.
Tokio, Asakusa, Pagode, abends. Foto: Ursula Wiegand
Die Ladenstraße führt – vorbei an der fünfstöckigen Pagode – zum roten Kamiari-Tor und weiter zum Senso-ji, dem ältesten buddhistischen Tempel der Stadt. Hier beten die Japaner genauso wie vor schintoistischen Schreinen. Man kann ja nie wissen…. Doch eines ist gewiss: noch mehr als hier tobt das Leben nächtens in Shinjuku.
Toppen kann all’ diese Eindrücke nur der 634 Meter hohe TOKYO-SKYTREE. Als weltweit höchster freistehender Fernsehturm steht der filigrane Riese bereits im Guinness Buch der Rekorde.
Tokio, Blick auf den SKYTREE. Foto: Ursula Wiegand
Schon 5 Millionen Höhentaugliche haben ihn seit der Eröffnung im Mai 2012 gestürmt. Seine zweiteilige Stahlkonstruktion aus Turmkern und Ummantelung mache ihn erdbebensicher, betonen die Verantwortlichen.
In nur 50 Sekunden saust der Lift – nichts für schwache Nerven – zum 350 Meter hoch gelegenen Tembo Deck, wo es vor Menschen wimmelt. Ein weiterer Fahrstuhl führt zur Tembo Galleria auf 450 m Höhe. Spätabends präsentiert sich Tokio als buntes Lichtermeer. Tagsüber ist bei klarer Sicht der Fuji zu sehen.
Tokio, Hauptbahnhof, historische Fassade+Wolkenkratzer. Foto: Ursula Wiegand
Auf den rekonstruierten Hauptbahnhof ist Tokio ebenso stolz. Nach Bombenschäden im Zweiten Weltkrieg und vorläufiger Instandsetzung zeigt er sich wieder wie zur Einweihung im Jahr 1914.
Von einer Hochhausterrasse schauen wir auf die 335 m lange Ziegelfassade. Die Hochgeschwindigkeitszüge dahinter bleiben verborgen. Weit unten klitzekleine Straßen und Autos. Als wär’s von Märklin.
Tokio, Hama-rikyu-Gärten, Teich, Blüten, Hochhäuser. Foto: Ursula Wiegand
Die Versöhnung zwischen Tradition und Moderne bieten schließlich die Hama-rikyu-Gärten. Wie eine Friedengarde bewachen die umliegenden Hochhäuser – eines von Jean Nouvel – die Teiche, das Teehaus, frisierte Büsche und blühende Kirschbäume. Ein Idyll, wie gemacht für perfekte
Hochzeitsfotos.
Tokio, Hama-rikyu-Gärten, Brautpaar und Hochhäuser. Foto: Ursula Wiegand
Eine Freundin zupft den Kimono zurecht und kontrolliert den Faltenwurf. Das Paar unterm weißen Sonnenschirm setzt ein würdiges Gesicht auf. „Nicht so ernst,“ ruft die Fotografin, und nun lächeln beide glücklich.
Infos unter www.gotokyo.org, offizielle Führungen der Stadt Tokyo Montag – Freitag um 13 Uhr. Details: http://www.gotokyo.org/de/tourists/guideservice/guideservice/index.html. – Außerdem stellen sich Studenten und Rentner als
„Volunteer Guides“ für Gratis-Führungen zu Verfügung: http://www.jnto.go.jp/eng/arrange/travel/guide/list_volunteerGuides_a-n.html