Festspiele Südtirol 2022: G.Mahler, Symphonie Nr.9 Kulturzentrum Toblach Mahlersaal, 8.9.2022
Bei den Südtiroler Festspielen (Alto Adige Festival Dobbiaco) konnte heuer zum ersten Mal eine Mahler-Symphonie in voller Länge und mit einem Orchester in voller Größe in einem historisch informierten, annähernd authentischen Mahlerklang gegeben werden, nämlich auf Originalinstrumenten der Stiftung Euregio Kulturzentrum Toblach und der Stiftung Busoni- Mahler Bozen. Es spielte das Mahler Academy Orchestra, ein auf Einladung aus Instrumentalisten verschiedenster zeitgenössischer und auch bekannter Barockensembles und Jugendorchestern zusammengestellter Klangkörper unter der Leitung seines Dirigenten Philipp von Steinäcker, der auch für das Originalklang-Project Bozen-Toblach verantwortlich zeichnet.
Es fällt auf, daß im informativen Programmheft nur von der 9. Symphonie die Rede ist, und nicht vor ihrer Tonart D-dur. Wahrscheinlich hielten das die Veranstalter für nicht so wichtig, da die Neunte, die Mahler als seine letzte vollendete in Toblach 1909 komponierte, ja allgemein einerseits als sein großes Welt-Abschiedswerk, aber andererseits auch wegen ihrer vielen Brüche und intrikater Harmonien als das Einfallstor in die musikalische Moderne und als Antizipierung des Weltkriegs gesehen wird.
Nach so vielen Vorworten stellt sich der Höreindruck dieses opus summum beim Mahlerfestival folgendermaßen dar. Vom 1.Satz/andante comodo über den 2.Im Tempo eines gemächlichen Ländlers und 3.Rondo – Burleske bis zum Schluß-Adagio stellt sich der Verlauf als fortlaufendes Crescendo dar im Sinne, dass im 1.Satz mit den meisten Brüchen sowie Motiv- und Klangexperimenten, über die Mittelsätze, die mit ihren österreichischen Tanzweisen immer klarer und konsistenter wirken, im Adagio ein einziger Klangstrom erreicht wird, der sich lange in den unisono Streichern hinzieht und dann in gewisser Weise eine Beruhigung erreicht, die sich auch in einer zunehmend tonalen Festlegung (also doch D) manifestiert. Der in einem sicher 10minütigen Decrescendo bis zum quasi Unhörbaren versiegende Klangstrom ist natürlich höchst artifiziell und dürfte am schwersten zu bewältigen sein, und hier präsentiert sich das Orchester mit seinem Dirigenten in höchster Konzentration, um in die von Mahler gewünschte ätherische Nuancierung einzudringen und am Ende auch nahezu unhörbar sphärisch zu streichen. Davor ließ der Dirigent die Zügel lockerer. Alle Spieler, besonders die Erfahrenen an den vorderen Pulten, konnten sich ‚einbringen‘ und sogar ihre Körperlichkeit auf fast tänzerische Weise ausleben. Der Konzertmeister flippte bei ihm so erscheinenden ‚Wahnsinns-Stellen‘ geradezu aus, indem er sich aufrichtete und fast im Stehen spielte und auch mit Kopfbewegungen, Haarschütteln, Gesichtsmimik seiner Ergriffenheit beredtesten Ausdruck verlieh.
Foto: Max Verdoes/ Festspiele Toblach
Dirigent Philipp von Steinaecker stand dem in Nichts nach, wenn er zB. die linkspostierten 2. Violinen, ihnen ganz zugewandt, mit dem rechten Arm im Zaum hielt, gleichzeitig den sich im Klang ‚daraufsetzenden‘ 1. Geigen mit stark abgewinkeltem linken Arm gleichzeitig ‚Sonderzeichen‘ gab. Und zum sozusagen ‚originalen Klang‘: er wirkte schon sehr verschieden als in den sonst bekannten (Schallplatten-)Einspielungen, wobei man aber berücksichtigen sollte, dass die Neunte weniger als die anderen Instrumentalsinfonien 1,5,6 und 7 gespielt wird. Der Sound ist rauer und mutet auch etwas tiefer an. Das könnte auch an spezifischem Holz liegen, bzw weil es hier nur mit Darmsaiten bespannt ist, die ja leiser als Stahlsaiten klingen. Der rauere Klang kommt natürlich auch durch kräftigeres Bogenspiel (mehr Arco-bogen/ mit ‚Abstrich’/Spielen des Bogens nahe am Griff/und näheres Spielen am Steg der Geige) zustande. Das Vibratospiel ist weitgehend verbannt. Ob Mahler tatsächlich aber einen solchen auch schmutzigen Klang goutiert hätte? Über den körperlichen Einsatz seiner Musiker hätte er sich sicher gefreut bei seinem Einsatz gegen den Schlendrian. Was dramaturgische Spannung angeht bewirkt er etwas Signifikantes: Die 1 1/2 Stunden Länge vergehen im Flug bei diesem einmaligen Konzertabend, der teilweise schon die Züge eines symphonischen Rockkonzertes annimmt, und auch die tiefen Holz- und Blechbläser tragen zum manchmal richtigen Krachen des Klanges bei. Sogar die Harfe kann in ihren tieferen Regionen öfter den Klang von unten aufmischen!
Friedeon Rosén