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THOMAS TALLIS: MANY ARE THE WONDERS; Chorische Perlen der Renaissance – musikalische Reflexionen – ORA, SUZIE DIGBY – harmonia mundi CD

17.07.2017 | cd

THOMAS TALLIS: MANY ARE THE WONDERS; Chorische Perlen der Renaissance – musikalische Reflexionen – ORA, SUZIE DIGBY – harmonia mundi CD

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Die aktuelle Klassik-Tonträgerbranche glänzt vor allem in drei Bereichen: Alte Musik und ihre Bezüge zu Zeitgenössischem, Kammermusik in allen Spielarten und Chormusik. Die großen Referenzeinspielungen großer Instrumentalwerke und Opern des klassischen Repertoires aus den fünfziger bis neunziger Jahren stehen aber meist weiterhin solitär und konkurrenzlos an der Spitze aller Charts. 

Die neue CD der britischen Kammerchorformation ORA befasst sich mit den mystisch-polyphonen Schöpfungen von Thomas Tallis, der durch seine 40-stimmige Motette „Spem in alium“ auch über die Grenzen des Spezialistentums hinaus ruhmreich Geltung erlangen konnte. Den 16 Tracks von Werken Tallis‘, deren Mehrzahl aus den neun Vertonungen der ins englische Versmaß übertragenen Psalmen des Erzbischof von Canterbury, Matthew Parker, besteht, stehen acht überwiegend vom Ensemble ORA selbst in Auftrag gegebene Chorkompositionen (allesamt Weltersteinspielungen) gegenüber. Deren künstlerische Leiterin Suzie Digby interessiert sich für das Spannungsfeld zwischen den meisterlichen Werken britischer Renaissance-Komponisten wie Thomas Tallis mit Schöpfungen britischer zeitgenössischer Tonsetzer. Das erste Album der Serie war den Werken des Tallis Schülers William Byrd und seinen heutigen Spiegelungen gewidmet. 

Frank Ferko, Richard Allain, Ken Birton, Harry Escott, Alec Roth, Kerry Andrew und Bob Chilcott trugen im aktuellen Album mir ihren überaus originellen und abwechslungsreichen Schöpfungen zum auch pädagogisch klug gedachten Projekt bei. Diese Übung ist nicht nur gelungen, sondern sie verblüfft gleichermaßen über weite Strecken. Die höchstpersönlichen neuen a Capella Reflexionen über die geistliche Chormusik von Thomas Tallis sind teils sogar noch spannender anzuhören als die Motetten des großen Vorbilds selbst. Dank des stupenden Niveaus des aus acht Sopranstimmen, vier Altos, ebenso vielen Tenören und Bässen bestehenden, ganz der englischen Chortradition verpflichteten Ensembles ORA  scheinen die kontrapunktischen Geflechte von innen her zu leuchten. Mit vibratoarmen Stimmen gelingen strukturell klar durchhörbare vokale Artefakte, den farbigen Glasfenstern großer Kathedralen gleich. Je nach der jeweiligen historischen gerade angesagten Richtung in einer Zeit der katholisch-protestantischen Auseinandersetzungen hat Tallis die Glaubenskraft beider christlicher Konfessionen in lateinischer bzw. englischer Sprache akustisch adäquat „bedienen“ können.

Die klangtechnisch erstklassig in großer räumlicher Tiefenstaffelung realisierte Einspielung  wird auch jene erfreuen, die dachten, schon alles über britische Renaissancemusik zu wissen.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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