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Thomas Blubacher: RUTH HELLBERG

15.03.2018 | buch

Thomas Blubacher:
RUTH HELLBERG
Ein Jahrhundert Theater
„Ich jammere nicht, ich schimpfe“
394 Seiten, Wallstein Verlag, 2018

Ruth Hellberg. Ruth Hellberg? Wahrscheinlich hat man den Namen schon gehört, kann ihn aber nicht wirklich einordnen. Auf dem Titelbild des Buches, das „Ein Jahrhundert Theater“ verspricht (und hält) und den flotten Untertitel „Ich jammere nicht, ich schimpfe“ trägt, sieht man ein bildhübsches Gesicht im Stil deutscher Nazi-Filme. Fotos begleiten auch das Buch – Ruth Hellberg war lange Zeit eine sehr schöne, immer eine ausdrucksvoll aussehende Frau. Warum kennt man sie nicht mehr?

Wohl weil sie nie zur Spitze vorgestoßen ist. Sie kannte alle in ihrer Welt, hat sie in acht Jahrzehnten (!) ihrer Arbeit und ihrem Leben gestreift. Aber damit man weiß, wer Ruth Hellberg war, muss man diese Biographie lesen. Das Buch ist auf den Autor Thomas Blubacher, den Gründgens-Biographen, wohl als Auftrag eines Sohnes zugekommen, der als Initiator, Förderer und Unterstützer des Projekts genannt wird. Unterlagen gab es zweifellos genug, nicht zuletzt die Tonkassetten, die Ruth Hellberg noch als alte Frau mit Erinnerungen an ihr Leben gefüllt hat. Viele Zeitgenossen gab es auch noch, die man befragen konnte. Und Material. Es reicht für eine pralle, detailreiche Geschichte.

„Mein Leben bestand ja nur aus Theater und gar nichts anderem“, sagte Ruth Hellberg selbst, aber da steckt man schon in einem unübersichtlichen Dickicht von Rollen und Aufführungen. Leichter ist es, sich das wilde Privatleben zu merken, zumal darin so viele berühmte und berühmt gebliebene Gestalten des 20. Jahrhunderts vorkommen. Nicht von der Herkunft her – ihre Mutter Margit Hellberg war als Schauspielerin noch weniger als die Tochter je werden sollte, der Vater Fritz Holl auch keiner der Theaterdirektoren, die Geschichte schrieben. Als Ruth am 2. November 2006 in Berlin zur Welt kam, war sie ein uneheliches Kind, und diese Tradition hat sie fortgeführt – auch ihre Tochter Grete, von Schauspieler Oskar Homolka (das Mädchen starb im Kindesalter), und Sohn Andreas, von Verleger Fritz H. Landsdorff, waren unehelich. Verheiratet war Ruth Hellberg doch und durchaus prominent: Der Schauspieler und Regisseur Wolfgang Liebeneiner war in der Nazi-Zeit ein wichtiger Mann. Zeit für ihre Kinder hatten übrigens weder Mutter Margit noch Ruth, als sie dann Mutter war. Die kleine Ruth, die stets bei anderen Leuten aufwuchs, verselbständigte sich früh – und begann am Theater.

Daraus wird nun ein bemerkenswerter „Name Dropping“-Galopp, wobei sich Privates immer wieder ins Künstlerische verstrickt (wie auch anders). Als Frau musste sie zahllose Niederlagen hinnehmen: Münchens legendärer Otto Falckenberg war lange ihr Geliebter, ohne sich dazu zu entschließen, seine Frau zu verlassen; Oskar Homolka fuhr nach Wien, angeblich um die Hochzeit vorzubereiten, und ließ sie von dort brieflich wissen, dass er sie weder heiraten noch für das Kind sorgen wollte, das sie erwartete; Liebeneiner heiratete sie unter dem Vorbehalt, sich seine Frauenaffären nicht schmälern lassen zu wollen (und das tat er auch).

Mit Gründgens war sie „nur“ befreundet, mit Pamela Wedekind (lesbische Ausflügen waren nicht selten bei ihr) weit mehr, wurde aber von der gleichfalls interessierten Erika Mann aus dem Feld geschlagen… Aber trotz aller persönlicher Niederlagen: Einen Selbstmordversuch war es ihr einzig wert, als Falckenberg nicht sie, sondern eine andere Schauspielerin als Lulu besetzte.

Sie hetzte zwischen Berlin, München, Hamburg, einmal auch Wien (dort war Attila Hörbiger ihr stolz im Auto herumkurvender Verehrer, von Paula Wessely war bei ihm noch nicht die Rede) und kleineren Theaterstädten umher, brach Verträge immer wieder früher ab, spielte ein paar wichtige Rollen und viele Gebrauchsstücke, kurz, sie blieb doch eher in der zweiten Reihe.

Im Dritten Reich trauerte sie um ihre jüdischen Kollegen, konnte aber nicht helfen, sie war belastet genug mit ihrem Sohn Andreas, der zwar als „Sohn von Liebeneiner“ galt, aber die Nazis wussten, dass der „Jude Landsdorff“ sein Vater war, und Hitler musste persönlich anordnen, diesen „Halbjuden“ in Ruhe zu lassen. Interessanterweise wirkte auch Ruth Hellberg in „Heimat“ mit, dem schlimmsten aller Propagandafilme, der Paula Wessely nach dem Krieg moralisch das Genick gebrochen hat. Ruth ging aus ihrer Nazi-Filmzeit weitgehend unbelastet hervor, sie war ja auch nicht der Star, sondern die Nebendarstellerin – Hilde Krahl, nicht sie, spielte die Hauptrolle im „Postmeister“ (und angelte sich Ruths Gatten).

Nach dem Krieg war die Mathilde von Zahnd in Dürrenmatts „Physikern“ auf einer lang angelegten Tournee einer ihrer größten Erfolge, Heinz Reincke einer ihrer Liebhaber, Klaus Maria Brandauer einer ihrer Schüler – als er in dem „Mephisto“-Film spielte, „verstieß“ sie ihn, weil er „ihren“ Gründgens damit diffamierte. Dabei war der „Mephisto“-Autor Klaus Mann bald nach dem Krieg in amerikanischer Uniform vor ihrer Tür gestanden, um eine Frau aufzusuchen, die nie auf den faulen Nazi-Zauber hereingefallen war…

Ruth Hellberg wurde eine erfolgreiche Synchronsprecherin beim Film (was, weil „nur Stimme“, selten wahrgenommen wird), erschien in der einen oder anderen Fernsehrolle und behielt auch im Alter, wie die Fotos zeigen, ihr faszinierendes Gesicht und ihre „gesunde Portion an Arroganz“ bei, die vielleicht Selbstüberschätzung war – wenn sie sich durchaus ein einer Reihe mit Bergner, Giehse, Weigel, Mosheim, Gold oder Wessely sah. Nun, sie hat alle gekannt, war mit einigen befreundet, mit einigen verfeindet und jedenfalls immer dabei. Als sie am 26. April 2001 starb, hatte sie jedenfalls die meisten von ihnen überlebt.

Das Buch hat einen ungemein üppigen Anhang (von Seite 249 bis 392), zahllose von Ruth Hellbergs Kollegen werden in Kurzbiographien aufgeführt, zusätzliche Details angeboten, es gibt jede Menge Verweise – es mögen auch Hunderte Zeitgenossen sein, mit denen der Autor gesprochen hat. Dennoch wäre dem Leser mit einem exakten Register von Ruth Hellbergs Theaterauftritten (wann, wo, was, mit wem) und Filmen mehr gedient gewesen, um durch die gewisse Unübersichtlichkeit ihres Berufslebens durchzusteigen.

Fazit: Jedenfalls hat Ruth Hellberg den Leser durch ihre Zeitgenossenschaft im deutschen Theater und Film des 20. Jahrhunderts in ein faszinierendes Panorama von Persönlichkeiten und Ereignissen mitgenommen.

Renate Wagner

 

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