Thomas Blubacher:
GUSTAF GRÜNDGENS
Biographie.
432 Seiten. Henschel Verlag, 2013
Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt… Dass Gustaf Gründgens ein außerordentlicher Schauspieler, Regisseur und Theaterleiter war, wird niemand bestreiten – man erlag dem Faszinosum dieser Persönlichkeit selbst dann, wenn man ihr nur auf Umwegen über den Film begegnen konnte. Dennoch – wäre er noch immer in aller Munde, handelte es sich bei ihm „nur“ um einen zweifellos genialen Schauspieler? Nein, es ist die Gretchenfrage der Deutschen von heute: Wie hast Du es mit den Nazis gehalten? Sie ist es, die in ihrer unterschiedlichen Beantwortung in Sachen Gründgens bis heute die Wellen hochgehen lässt.
Die Suche nach dem offiziellen und privaten Gründgens, die Autor Thomas Blubacher unternahm, war gründlich und ergiebig. Die Fakten eines Lebens zu erzählen und dabei immer die Hintergründe zu beleuchten, erfordert einen langen Atem. Das Vorwort über den besonderen Mann, seine Glorifizierung oder Demontage (für einen Mittelweg kann man sich im allgemeinen nicht entschließen) ist nötig, und das Psychogramm eines vom Arbeitsleben sehr, sehr Müden liefert der Autor dann, wenn er zu Beginn das Ende in Manila schildert.
Dabei hat Blubacher keine Scheu, das Thema der Homosexualität mit jener Selbstverständlichkeit zu behandeln, zu der sich erst unsere Zeit entschließen konnte – Gründgens starb vor 50 Jahren (am 6./7. Oktober 1963) – es war in jeder Hinsicht eine andere Welt. Man „outete“ sich noch nicht, man verschliss Kräfte im Aufrechterhalten der Fassade. Gründgens „versteckte“ sich wohl auch hinter der Arbeit. Der ausgebrannte 63jährige hatte das Gefühl, das „Leben“ als gelebtes Leben, versäumt zu haben – Blubacher stellt den entscheidenden Satz dann noch einmal ganz an das Ende seines Buches: „Wenn man es [das Leben, Anm.] doch lernen könnte wie eine Rolle.“ Mit Rollen hatte Gründgens nie Schwierigkeiten.
Der „theaterwissenschaftliche“ Teil des Buchs ist geradezu hervorragend, weil Blubacher sein Wissen so einsichtig vernetzen kann – dem Leser werden nie nur Namen an den Kopf geworfen, sondern auch Bezüge und Zusammenhänge dargelegt. So weiß man immer, wo dieser Gustaf Gründgens im Laufe seines langen Künstlerlebens stand. Dabei werden auch die Zeitgenossen befragt, und es gibt Vokabel, die sich durch sein Leben ziehen – Ehrgeiz, Eitelkeit („Er litt an seiner Eitelkeit wie an einer Wunde“, formulierte Klaus Mann, der ihm in Hass-Liebe verbunden war), Brillanz, künstlerische Gewissenhaftigkeit. Zielbewusst ging der am 22. Dezember 1899 in Düsseldorf Geborene durch die Provinz, landete schon als 23jähriger in Hamburg, wurde zum Senkrechtstarter, faszinierte da (und immer wieder) durch seine „nervös-hemmungslose Spieltechnik“. Es ist ein langer Weg, den der Schauspieler von hier aus geht – er, der nie die jugendlichen Schiller-Helden spielte (sondern nur den Franz Moor oder den Kalb), aber immer wieder den Mephistopheles, der auch bei Bahr brillierte und bei Sternheim und Wedekind, der Hamlet war und Tasso und im Alter Wallenstein und Philipp II. Der Theater aller Art so überzeugend inszenierte wie Oper. Ein so arbeitsreiches wie erfolgreiches Künstlerleben.
Privates und Künstlerisches verweben sich in diesem Buch so, wie es im Leben geschieht, das ja nun auch nicht sauber „trennt“ (das können dann nur Autoren von Biographien, wenn sie Schwerpunkte setzen wollen): So wird für den jungen Gründgens die Begegnung mit den „Dichterkindern“ entscheidend, Klaus und Erika Mann und Pamela Wedekind (er heiratete Erika, aber es hätte auch Pamela sein können..). Das war eine Welt der Dekadenz, die er anfangs genoss, in der er sich aber auf die Dauer nicht wohl fühlen konnte, weil er die Theaterarbeit zu ernst, die Mann-Kinder das Leben zu unernst nahmen (und für ehrliche Arbeit, wie er sie verstand, nicht zu gewinnen waren).
Erika Mann hat er Mitte 1926 geheiratet, zweieinhalb Jahre später wurden sie wieder geschieden – Gründgens ging nach Berlin, und Blubacher interpretiert hervorragend, wie der Schauspieler, der sich stets um sich selbst drehte (mit brillantem Effekt), dort mit dem Regisseur, der sich nur um sich selbst drehte, Max Reinhardt, natürlich nicht harmonieren konnte: Für Gründgens waren es am Deutschen Theater im Grunde fast verlorene Jahre, der letztlich zerebrale Schauspieler konnte von Reinhardt, der eine andere, sinnlichere Theaterauffassung verkörperte, nichts profitieren.
Aber er war Ende der zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre in jener Stadt, auf die es ankam, wo man auch schon nebenbei Film machen konnte – und Gründgens, „der junge Virtuose, der Technik und Intensität, Geist und Witz verbindet“, tauchte jenseits von Reinhardt in das Theater- und Künstlerleben Berlins ein, sich selbst als Kunstwerk ausstellend, seiner lebenslangen Leidenschaft für spektakuläre Autos frönend, tief im (schwulen) Nachtleben der Stadt verankert, auf jeden Fall in seinem Lebensstil ein glitzernder Medienstar, an dessen überragender künstlerischer Bedeutung allerdings nie gerüttelt wurde.
Wenn Blubacher auf die fatalen Jahre zu sprechen kommt, gewinnt man den Eindruck einer gänzlich überzeugenden Darstellung: Gründgens, der Star, der den Nazis übrig geblieben war, nachdem sie so viele verjagt hatten, wurde als Aushängeschild dringend benötigt. Gründgens, den Göring sich einbildete, auch in einem zähe unsympathischen Machtkampf mit Goebbels, stand (von Hitler ungeliebt) zwischen allen Fronten. Er konnte aus dieser Situation nicht heraus (wer weiß, ob ihm Emigration, hätte er sie erwogen, gelungen wäre – und wenn, dann wäre er vor dem Nichts gestanden): Seine definitive Ablehnung der Stellung als Staatstheater-Intendant hätte nicht nur das Ende einer glanzvollen Theaterkarriere bedeutet, für die Gründgens lebte, die Folgen hätten auch letal sein können – ohne schützende Hand wäre das Konzentrationslager für den Homosexuellen durchaus im Bereich der Aktionsmöglichkeiten wütender Nazi-Größen gestanden (ganz abgesehen davon, dass auch die Bundesrepublik später diese sexuelle Präferenz noch bis 1994 gerichtlich verfolgte…).
Gründgens hatte also tatsächlich keine Möglichkeit, sich Görings Wünschen zu verweigern, Hitlers Genossen war die totale Macht in ihren Bereichen gegeben. Dass er zu intelligent war, um nicht zu durchschauen, was hier vorging, zeigt der Eiertanz, den Gründgens in jeder Hinsicht (auch im Spielplan, der natürlich Zwängen von oben her unterlag) unternahm. Es ist nicht anzunehmen, dass Kollegen, die später für ihn in die Bresche sprangen (wie Theo Lingen, der mit Bert Brechts jüdischer Exgattin verheiratet war), hier für ihn gelogen hätten. Interessanterweise brauchte man auch nach dem Krieg nicht übertrieben viel Zeit dazu, Gründgens von der Unanständigkeit des gewissenlosen Karrieristen freizusprechen, da er nachweislich schon vor den Nazis „ein Star“ (und nur als solcher für diese so begehrenswert) gewesen war. Erst später, als die Bundesrepublik nach ihrer Konsolidierung wirklich an die Aufarbeitung ihrer Vergangenheit gegangen ist, hat man Persönlichkeiten, die – programmatisch – dermaßen im Rampenlicht standen wie Gründgens auch entsprechend vorgeführt.
Blubacher schildert Gründgens Karriere nach dem Krieg – in Düsseldorf und in Hamburg, wo er mit unvermindertem Fleiß tätig war, allerdings mit nachlassenden Kräften. Und besonders brillant fällt die Analyse darüber aus, wie Gründgens, einst der „modernste“, langsam, aber sicher „unmodern“ wurde – einer, der sich irgendwann verweigerte, keinen Beckett spielen wollte, den Anschluss verpasste. Im Grunde ist er 1963 genau zum richtigen Zeitpunkt „ausgestiegen“. Dass er das ersehnte „Leben“ nicht mehr würde führen können… das ahnte keiner.
Oder war es doch Selbstmord? Eine lange, genaue Schilderung von Gründgens’ Tod in Manila steht, wie erwähnt, am Beginn des Buches, mit allen Fakten, allen Gerüchten. Man erfährt auch sonst viel Privates über ihn, seine Zweckehe mit der geschätzten Marianne Hoppe, zwei Bisexuelle, die einander schützen konnten und sich als Künstler ebenbürtig waren (was beim schauspielerischen Dilettieren der ersten Gründgens-Gattin Erika Mann absolut nicht der Fall gewesen war), seine vielen Affären mit Männern, wobei es 1949 am opportunsten war, seinen „Lebensmenschen“ Peter Gorski zu adoptieren, auch wenn sie sich dann auseinander lebten und ein anderer Geliebter den toten Gründgens im Hotelzimmer fand…
Der Autor hat eine erschütternde Liste von nervösen Krankheiten, Genesungsaufenthalten in Kliniken, auch Schönheitsoperationen aufzubieten, er erzählt von einer Reisesucht, die Fluchtcharakter hatte, und von der Vereinsamung dessen, der einst ein „Menschensammler“ gewesen war und nicht genug Scheinwerferlicht bekommen konnte. Es ist faszinierend, gelegentlich ergreifend, was hier zusammen getragen wurde.
Noch einmal: Thomas Blubacher ist ein fabelhafter, anschaulicher, detailreicher Erzähler, der seinen Gegenstand – Gründgens – seit langem kennt und umkreist. Wissenschaftlich zu arbeiten einerseits, dies aber auch so zu vermitteln, dass es andererseits für den ganz gewöhnlichen interessierten Leser einsichtig wird, ist nicht jedermanns Sache – muss also, wenn es geglückt ist, zumal dermaßen geglückt, besonders vermerkt werden.
Renate Wagner