THEA MUSGRAVE: MARY QUEEN OF SCOTS – live Gesamtaufnahme der Virginia Opera vom 2. April 1978 – LYRITA 2 CDs
Die schottisch-amerikanische Komponistin Thea Musgrave hat bereits zehn große Opern und mehrere Kammeropern geschrieben. Darunter finden sich Titel wie „The Voice of Ariadne“, „A Christmas Carol“ oder auch das Musikdrama „Símon Bolívar“. Die 1977 fertiggestellte Oper über die schottische Königin Mary wurde von der Scottish Opera kommissioniert und im September 1977 im Rahmen des Edinburgh International Music Festival uraufgeführt. Die vorliegende Aufnahme, vom Label Lyrita aktuell aus Anlass des 90. Geburtstags von Thea Musgrave wiederaufgelegt, ist ein Mitschnitt der amerikanischen Erstaufführung in der Virginia Opera unter der engagierten musikalischen Leitung von Peter Mark.
Thea Musgrave, die auch das Libretto nach Ideen von Amalia Elguera’s Theaterstück „Moray“ selbst verfasste, versuchte aus der großen Menge an historischen Fakten diejenigen zu filtern, die einen frischen Blick auf das Leben, Machtstreben und den plötzlichen Fall Königin Marys ermöglichen. Sie wurde bei Marys Halbbruder James Stewart als Hauptprotagonist und machtvollem Gegenspieler zu Mary fündig. Also diesmal keine Elisabeth als Rivalin, kein John Knox, sondern verschiedene Szenen, die Marys Leben anschaulich werden lassen sollen, wie die Hochzeit mit Darnley, die stürmische Leidenschaft für Bothwell und die vielen wahrlich operntauglichen Konfrontationen mit James Stewart. Musgrave wollte Mary als tragische Figur mit all ihren Ängsten, ihrer Einsamkeit und Verletzlichkeit zeichnen. Sie wollte aber auch den impulsiven Charme Marys besonders in jungen Jahren mit einfangen, sowie die sture Realitätsverweigerung zeigen (sie weigert sich, beschuldigt an der Ermordung des eigenen Gatten schuld zu sein, zugunsten ihres Sohnes auf den Thron zu verzichten), die sie zu ihrer einsamen Flucht geführt haben.
Die musikalische Sprache dieser Oper in drei Akten und zwölf großen Szenen orientiert sich an der englischen Tradition des 20. Jahrhunderts etwa eines Benjamin Britten. Sie ist also durchwegs tonal angelegt mit transparentem, die Charakteristika der Einzelinstrumente gut zur Geltung bringenden Klang, Filmmusiken nicht unähnlichen Suspense-Effekten bzw. abwechselnd rezitativisch und arios vorgetragenen Soloparts. Dass Frau Musgrave mehr Sorgfalt für die orchestralen Details als für memorable Vokallinien aufgewandt hat, wird Melomanen nicht immer begeistern. Der Gesangsduktus zeichnet sich vorwiegend durch dramatische Deklamation aus. Die Wirkung bleibt dennoch nicht aus, weil die Oper auf ein gutes, effektvolles Libretto und die handwerklich beachtlichen Fähigkeiten einer bühnendramatisch vielfach erprobten und erfolgreichen Komponistin bauen darf.
Von der Besetzung her stechen Ashley Putnam als expressive, höhensichere Mary, Jake Gardner als stimmmächtiger James Stewart, Earl of Moray und Jon Garrison als Henry, Lord Darnley heraus. In weiteren Rollen sind u.a. Barry Busse als James Hepburn, Earl of Bothwell, Kenneth Bell als David Riccio, Francesco Sorianello als Lord Gordon und Carlos Serrano als Cardinal Beaton zu hören. Chor und Orchester der Virginia Opera unter der Leitung vom Ehemann der Komponistin Peter Mark sorgen für atmosphärische Dichte und erzählerische Spannung.
Das Klangbild ist dem Alter des Mitschnitts und den Aufnahmebedingungen live entsprechend gut, aber auch nicht mehr, leider getrübt durch allzu viele Huster aus dem Publikum. Auf ein ausgefeiltes Remastering der alten Bänder hat man bedauerlicherweise offensichtlich verzichtet. Das bzw. eine Neueinspielung wären aber der Jubilarin und ihrer Bedeutung angemessener gewesen.
Da durchwegs auf hohem Niveau musiziert wird und die Oper das zeitgenössische angelsächsische Opernschaffen exzellent repräsentiert, gibt es dennoch eine Empfehlung für Neugierige, denen Inhalt über Tonqualität geht. Es sei noch bemerkt, dass Mary, Queen of Scots auch schon in Deutschland an der Oper Stuttgart und den Städtischen Bühnen m Bielefeld zu hören war.
Dr. Ingobert Waltenberger