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TEL AVIV: THE PASSENGER von Mieczyslaw Weinberg

Israelische Erstaufführung

03.05.2019 | Oper

TEL AVIV: THE PASSENGER von Mieczyslaw Weinberg am 2. Mai 2019

Am 30. April erlebte in der Israeli Opera Tel-Aviv-Yafo die Oper „The Passenger“ von Mieczyslaw Weinberg ihre israelische Erstaufführung mit einer teilweise internationalen Besetzung in den Hauptrollen. In dieser zweiten Aufführung erlebte ich eine komplett israelische Besetzung ausgezeichneter Qualität, alle mit ihren Rollendebuts. Der Generaldirektor der Israeli Opera Tel-Aviv-Yafo, Zach Granit, hatte die ebenso mutige wie großartige Idee, das Stück, welches mit dem Holocaust bekanntlich das finsterste Kapitel der deutschen Geschichte thematisiert, in Israel aufzuführen.
Dazu holte man die komplette Produktion der Bregenzer Festspiele aus dem Jahre 2010 von David Pountney mit den imposanten Bühnenbildern von Johan Engels, den Kostümen von Marie-Jeanne Lecca, dem Lichtdesgin von Fabrice Kevour und erlebte nach den ersten beiden Abenden enormen Zuspruch des israelischen Publikums im sehr gut besetzten Saal, den auch in der Pause fast niemand verließ. Revival Director ist Bob Kearly und Revival Light designer für die riesige Bühne in Tel Aviv Christoph Forey.

Man hatte eine landesweite Vorbereitungskampagne für Gymnasialschüler von 16 bis 18 Jahren durchgeführt und in jede Aufführung zwischen 200 und 250 eingeladen. Granit wollte mit diesem Werk in einer Zeit des zunehmenden Populismus‘, in der es immer schneller und leichter möglich wird, einzelne oder ganze Gruppen zu stigmatisieren und zu verfolgen, am Beispiel des gerade für Israel so bedeutsamen Holocaust zeigen, wie gefährlich eine solche Entwicklung ist, wie schnell sie aus dem Ruder laufen kann und wie sehr man also aufpassen muss, dass so etwas nie wieder passieren kann. Die Demokratie sei deshalb die beste Regierungsform, solche Entwicklungen zu verhindern, da sie dazu über die besten Mittel verfügt. (In einem Interview mit Zach Granit, das in Kürze folgen wird, werde ich näher darauf eingehen).


Schlussapplaus v.l.n.r: Nebenrolle, Oded Reich als Tadeusz, Ira Bertman als Marta, Nir Cohen Shalit, Dirigent, Edit Zamir als Lisa, Peter Marsh als Walter; Chor. Foto: Klaus Billand

Das Bühnenbild ist in zwei Teile gebrochen. Oben die vermeintlich heile und schneeweiße Welt des Ozeandampfers – auch in schneeweißen Kostümen manifest – der nach Brasilien fährt. An Deck, aber auch auf dem Dach des Frauenlagers (!) versichert sich Walter bei Lisa seiner jungen Liebe, bis das Auftauchen von Martha hier erste stark inszenierte Konflikte schafft und die Bedeutung des Folgenden erahnen lässt. Unten taucht dann auf den berühmten Gleisen mit Prellbock – der immer ein Ende bedeutet – die an Ausschwitz erinnern und immer erinnern werden, aus dem Dunkel das Frauenlager des KZs auf. Mit starker Personenführung inszeniert Pountney hier die Ängste der Frauen, ihre traurigen Erinnerungen an die Vergangenheit und Hoffnungen auf eine bessere, aber illusorische Zukunft. Auf der anderen Seite erlebt man den grausamen Zynismus und die Gräueltaten der Nazis auf unglaublich authentische Art und Weise, die niemanden unberührt lassen kann. Und man sieht auch, wie arrogant und ganz im Sinne der „Befehlsausführung“ Lisa als SS-Aufseherin vorgegangen ist. Nach nazistischer Gutsherrenart gewährt sie der Liebe zwischen Martha und Tadeusz eine gewisse Freiheit, aber natürlich im Wissen, das beide ohnehin im Todesblock enden werden. Sehr emotional ist die Szene, in der Tadeusz dem Lagerkommandanten und seiner Entourage statt dessen kitschigen Lieblingswalzers Bachs Chaconne aus der Partita d-Moll spielt. Seine Geige wird ihm entrissen, und er wird gewaltsam gleich in den Todesblock gezerrt.


Copyright: Karl Forster

Edit Zamir sang die Lisa mit einem bestens intonierenden, schön timbrierten Mezzo und konnte insbesondere durch ihr beeindruckendes Wechselspiel zwischen der mit schlechtem Gewissen versehenen Ehefrau Walters und ehemaliger SS-Aufseherin darstellerisch überzeugen. Peter Marsh spielte einen nervösen und sich selbst unsicher zu sein scheinenden Walter mit einem hell timbrierten, kräftigen Tenor als naiv auf eine großartige Zukunft mit seiner jung vermählten Frau hoffender deutscher Diplomat. Ira Bertman, eine Meitar Opera Studio Alumni, gestaltete eine facettenreiche und ausdrucksstarke Martha mit äußerst klangvollem Sopran und hoher sängerischer Intensität in ihren Monologen. Oded Reich (Meitar Opera Studio Alumni) war ein bedauernswerter Tadeusz, der authentisch den vermeintlich großzügigen Angeboten der SS-Aufseherin Lisa trotzte, weitere Treffen mit seiner geliebten Martha zuzulassen. Unter den vielen kleineren, aber ebenfalls sehr wichtigen Rollen sei stellvertretend, aber auch aufgrund einer bestechenden schauspielerischen wie sängerischen Leistung Moran Abouloff als Yvette hervorgehoben. Aber auch alle anderen waren gut und sollen hier genannt sein: Larissa Tetuev als Alte Frau; Daniela Skorka (Meitar Opera Studio Alumni) als Vlasta; Anat Czarny (dto.) als Krystina; Zlata Khershberg (dto.) als Bronka; Shay Bloch (dto.) als Hanna; Alla Vasilevitsky (dto.) als Katya; Yair Polishook (dto.) als Lagerkommandant, Älterer Passagier und Steward; Gabriela Borschmann als SS-Oberaufseherin; Noah Briger, Vladimir Braun und Daniel Bates als 1., 2., und 3. SS-Offizier. Dotan Tal spielte die Geige für Tadeusz. Mit dräuender Finsterkeit sang der Israeli Opera Chorus die immer wiederkehrenden Verse zur „Black Wall“, eben dem Todesblock, in dem alle früher oder später enden würden. Man sang auf Deutsch, Polnisch, Tschechisch, Russisch, Französisch, Englisch, Jiddisch und Hebräisch!


Copyright: Karl Forster

Nir Cohen Shalit dirigierte das Israeli Symphony Orchestra Rishon LeZion, was nach nur vierwöchiger Probenzeit bestens mit der komplexen Partitur Weinbergs zurechtkam, die für jeden Klangkörper eine große Herausforderung darstellt. Weinbergs Musik changiert zwischen großer Dramatik, auch unter starkem Einsatz des Schlagwerks, expressiver Ausdruckskraft und einem lyrischen Duktus, vor allem in den Szenen des Frauenlagers und Marthas Monologen, sowie Tanzrhythmen, die an Weils „Wozzeck“ oder Kreneks „Jonny spielt auf“ erinnern, aber auch Elementen der Volksmusik. All das war an diesem Abend in Tel Aviv in eindrucksvoller Weise zu hören.

Das vielfach junge und teilweise auch sehr alte Publikum applaudierte begeistert. Die Vorhänge der Solisten wurden mit rhythmischem Klatschen begleitet. Zach Granit traf mit seiner Entscheidung, diese Oper nach Israel zu holen, ins Schwarze!

Klaus Billand 

 

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