Tanja Ariane Baumgartner. Foto: T+T Fotografie
Tanja Ariane Baumgartner als Venus am Opernhaus Zürich („Tannhäuser“ 31.3.2019)
Das Kennenlernen der Mezzo-Sopranistin Tanya Ariane Baumgartner fand in Salzburg letztes Jahr 2018 statt. Auf der Sonnenterrasse der Pressestelle der Salzburger Festspiele erwarteten viele Journalisten, Musikwissenschaftler und Fotokorrespondenten das Produktions-Team der Oper Hans Werner Henzes „The Bassarids“. Dies war die letzte Festivalpremiere im Jahr 2018, worüber die kulturell-wissenschaftliche Zeitschrift „Zbruc“ im Artikel „Extase vs Askese oder Dionysos Rache von Krzysztof Warkilkowski“ berichtete (https://zbruc.eu/node/82973). Unter den befragten Künstlern war auch Tanya Ariane Baumgartner – die Darstellerin der beiden Hauptrollen Agaue und Venus. Danach folgten weitere Entdeckungen ihrer einzigartigen Stimme, extremer szenischen Präsenz, Tiefe und Breite ihrer Klangfarben, präzise Technik und uneingeschränkter Repertoires in den ausdrucksvollen Partien Iocaste – die Mutter König Ödipus, die sich zum Selbstmord verurteilt und Gaea – die unglückliche Mutter der Nymphe Daphne, die ihre Tochter für immer an die alte römische Venus verliert (Urmutter der sinnlichen körperlichen Liebe). Weitere spannende Charaktere schuf Tanja Ariane Baumgartner in den verschiedenen Aufführungen der Frankfurter und der Zürcher Oper sowie bei den Münchner Philharmonikern mit dem „Lied von der Erde“ von G. Mahler.
Entscheidend für die Gesangs-Karriere Tanya Ariane Baumgartners waren die letzten fünf Jahre. Die Reihe ihrer brillanten Erfolge wurden auf den Weltopernbühnen in der Weltpresse hochgelobt. Nach den Auftritten in Chicago (Cassandre in Berliozs Les Troyens), Frankfurt (Ortruda in Wagners Lohengrin), Vlaamse Opera in Antwerpen (Kundry in Wagners Parsifal), sowie bei den Festspielen in Bayreuth (Fricka in Wagners Rheingold), Edinburgh (Judith in Bartoks Herzog Blaubarts Burg), Salzburg (Charlotte in Zimmermanns Soldaten und Agaua/Venus in Henzes The Bassarids) wurde Tanja Ariane Baumgartner als eine der führende Mezzosopranistinnen unserer Zeit und interessantesten Entdeckungen der letzten Jahre u.a. genannt.
Das Repertoire der Sängerin umfasst die bekanntesten Mezzosopranpartien: Carmen (Bizets Carmen), Amastra, Cornelia (Händels Xerxes und Giulio Cesare in Egitto), Dorabela (Mozarts Cosi fan tutte), Azucena, Ulrica, Eboli, Pretiozilla (Verdis Trovatore, Un ballo in maschera, Don Carlo und La forza del destino), Brangena, Venus, Kundry (Wagners Tristan und Isolde, Tannhäuser, Parsifal), Principessa de Bouillon (Chileas Adriana Lecouvreur), Gräfin Geschwitz (Bergs Lulu), Clairon (Strauss Capriccio).
Vor allem begeistern aber die Interpretationen ihrer Rollen in den selten gespielten Opern von Komponisten des 20./21. Jahrhunderts wie Judith (Herzog Blaubarts Burg), Pentesilea (Schoecks Penthesilea), Küsterin (Jenufa), Gora (Raimanns Medea), Charlotte (Zimmermanns Soldaten), Lisa (Weinbergs Passenger), Witch (Humperdinks Königskinder) u.a.
Nach dem großen Erfolg als Venus in der Produktion der Züricher Oper „Tannhäuser“; in der die Legende der deutsche Regie-Oper Harry Kupfer die Regieführung übernahm, fand sich endlich die Zeit für ein Interview mit Tanja Ariane Baumgartner.
Adelina Yefimenko: Bekanntlich, wollte Wagner an die Stelle überkommener politischer Ordnungsmodelle die Perspektive einer assoziativen Vernetzung von kleinen und überschaubaren Lebensbereichen setzen. Dafür sollten seine Heldentenöre zuständig sein – Tannhäuser, Lohengrin, Siegmund, Siegfried, Parsifal. Welcher unter diesen Helden und unter welchen Bedingungen könnte Deiner Meinung nach die Wagner-Utopie realisiert werden?
Tanja Ariane Baumgartner: Ich würde sagen, einmal doch Parsifal, weil er am ehesten in der Lage ist durch seine Unschuld (der reine Tor) das Sinnliche und das Religiöse zu vereinen. Die weiblichen Anteile, das Urweib müsste mit ihm eins werden. Eine Art der Einheit, wovon schon in den griechischen Göttersagen die Rede ist.
Auf der anderen Seite könnte es auch Siegfried sein, einfach auf Grund seiner großen Kraft und Männlichkeit. Ich denke Wagner hatte ja seit je her ein Problem mit dem Weiblichen, Sinnlichen. Daher wäre es für ihn einfacher, wenn das pure Männliche seine Vision verwirklichen könnte.
Adelina Yefimenko: Ich war von Deiner Gestaltung der Rollen Agae und Gaea genauso stark beeindruckt, wie von den zwei Venus in Henzes und Wagners Opern. Welche Rollen haben bei Deinen Werdegang als Sängerin in die Richtung solcher extremen Partien des Mezzo-Sopran-Fachs geführt?
Tanja Ariane Baumgartner: Lustigerweise hat mein Vater mich schon als Kind in die Welt der griechischen Sagen eingeführt, die mich seit je her fasziniert haben. Es mag ein Zufall sein, aber auch in der Oper waren es oft die Griechinnen, mit denen ich die größten Erfolge hatte und die meinem Herz auch sehr nahe waren. Die erste war Penthesilea in der Schöck Vertonung, Regie Hans Neuenfels, ein großer Meilenstein war auch Cassandre in Les Troyens von Berlioz, dann Agave/Venus in Henzes Bassariden bis hin zu Venus im Tannhäuser. Ich mag diese Frauen alle, weil so etwas archaisches allgemein Gültiges in ihnen steckt. Sie sind absolut zeitlos und sprechen innere Vorgänge in uns an, die in jedem Leben irgendwann aktuell sind.
Tanja Ariane Baumgartner als Venus in Zürich (mit Stephen Gould). Foto: T+T Fotografie Toni Suter
Adelina Yefimenko: Welche Wesens-Unterschiede tragen für Dich die zwei Venus-Gestalten – aus „Bassariden“ und aus „Tannhäuser“? Wo liegt für Dich das Problem, bei verschiedenen Komponisten, dazu noch bei verschiedenen Regie-Anpassungen und konträren Bühnenbildern die Venus nach Deinen eigenen Vorstellungen zu darzustellen?
Tanja Ariane Baumgartner: Die Venus bei Henze erscheint ja nur im Intermezzo, was eine Art Scharade, Rückblick auf etwas nicht Gezeigtes in der Oper ist. Also eine Art Theater im Theater, daher ist sie für mich eine Kunstfigur, von Henze auch etwas grotesk gezeichnet, während die Tannhäuser Venus eben sehr menschliche Züge hat und einfach eine große Liebende ist, mit allem was dazu gehört. Wenn man sich den Venusberg wegdenkt und den Text nicht ganz wörtlich nimmt, ist es eine Abschiedsszene zwischen 2 Liebenden, die einfach nicht zusammen leben können.
Adelina Yefimenko: In der Inszenierung „Tannhäuser“ von Harry Kupfer geht es um Tannhäuser im Körper des Rock-Stars Jimi Hendriks, der eine Art des radikalen Künstlers, eines Außenseiters zeigt und ist. Tannhäuser hält immer eine E-Gitarre, sogar wenn er sie nicht spielt. Wer ist in dieser Geschichte die Venus? Eine von den Groupies Jimi Hendriks? Oder ist sie doch die Königin, römische Göttin?
Tanja Ariane Baumgartner: Leider war der Regisseur nicht da, so dass wir auch nochmals mit ihm sprechen konnten, aber so wie ich es verstanden habe, ist die Welt der Venus die normale Welt oder ein Teil der ganz normalen Welt mit etwas sinnlicher Ausschweifung. Es könnte ein Nachtclub sein, wo sich eben auch die Kurie und andere Leute, denen man das nicht so zutraut, treffen. Venus ist da so eine Art Chefin, dennoch glaube ich dass bei Kupfer der Venusberg vielmehr Teil der ganz normalen Welt ist.
Adelina Yefimenko: Kompositorisch ist der 2. Akt – der Sängerkrieg in der Wartburg – von zwei Gegen-Welten eingerahmt: die Welt des Venusbergs und die Welt der Wartburg. Der Wunsch Tannhäusers, zu beiden Welten zu gehören, zerreißt seine Psyche und führt letztendlich zum Tod. Bei Harry Kupfer gibt es keine „Welt der Würde“ und keine „Welt der Sünde“. Die Welt ist Eins. Es gibt nur die Unterschiede zwischen latenten und öffentlichen Verhalten aller Protagonisten. Der Venusberg, sowie den Minnesang-Wettbewerb auf der Wartburg (genauer gesagt, im Talk-Show-Studio) besuchen alle, einschließlich der katholischen Kardinäle. Das Problem Tannhäusers stellt Harry Kupfer als Problem eines Rock-Stars, der sich nicht zwischen der künstlerischen Selbstverwirklichung und gesellschaftlichen Anpassung stellt, sondern versucht eine Synthese dieser zweier Wesen der Liebe – sinnlichen, freien, anarchistischen und konventionellen, institutionellen, keuschen zu finden. Und das gelingt ihm nicht. Deshalb leiden alle Frauen, die ihn lieben. Was ist für dich der Kern des Leidens der Venus in dieser Inszenierung von Harry Kupfer, wenn sie ruft, verloren für ewig verloren?
Tanja Ariane Baumgartner: Der Kern des Leidens der Venus ist sicher, dass Tannhäuser eben nicht schafft der sinnlichen Liebe, die er mit Venus erlebt hat einen Rahmen zu geben, der diese Liebe für beide lebbar macht. Aber auch, dass er die sinnliche Liebe als etwas Minderwertiges versteht im Gegensatz zur konventionellen, institutionellen Liebe.
Adelina Yefimenko: In der Folge der Akte geschehen riesige Änderungen dank des theatralischen Fantasie-, Choreographie-, Bühnenbild-Ausdrucks usw. Dies zeigt deutlich, was der Topos der sinnlichen Vergnügen im Venusberg und was den Topos des Wartens in der Wartburg unterscheidet. Die Gegensätze sind Dynamik, Bewegung, Rausch-Stimmung der Bacchanalien des ersten Aktes und absolute Statik, Stille, Einsamkeit der Bahnhof-Halle, wo Elisabeth vergeblich auf die Rückkehr Tannhäusers aus Rom wartet. Beide Bühnenbilder sind kongenial stimmig gegenübergestellt. Wenn wir nach der Harry Kupfers Logik „Die Welt ist Eins“ bedenken, dass Venus und Elisabeth sich treffen könnten, was würde dann zum Schluss passieren?
Tanja Ariane Baumgartner: Ich denke wie in manchen Inszenierungen ja gemacht wird, dass Venus und Elisabeth ein und dieselbe Person sind. Sollten sie sich also aufeinandertreffen, könnte es durchaus sein, dass sie sich sehr gut verstehen, weil sie eben jeweils die andere Seite der Medaille sind. Ich bin dafür, dass sie ihre beiden Königreiche zusammenlegen und nach den eigenen Regeln leben.
Adelina Yefimenko: Die beiden Welten lässt Harry Kupfer mit den Himmels-Blitzen aufrütteln. Man erinnert sich dabei an den letzten Bayreuther „Lohengrin“ von Neo Rauch und die Elektrizität als Kern-Idee seiner Inszenierung. Die Blitze, die das Bühnenbild im jedem Takt überwältigend begleiten, stellen ein visuelles Leitmotiv der Inszenierung. Was haben diese Blitze für eine Bedeutung? Zeichen Gottes, bzw. des Himmels Zorn? Oder etwas anderes?
Tanja Ariane Baumgartner: Ich denke das Zusammenführen von Energien. Entsprechend, je höher die Energien umso grösser und stärker die Energie , die dabei entsteht. Umso vernichtender kann sie natürlich auch sein.
Stephen Gould (Tannhäuser) und Tanja Ariane Baumgartner (Venus). Foto: T+T Fotografie Toni Suter
Adelina Yefimenko: Zwischen dem ersten und letzten Treffen Tannhäusers und Venus liegt fast das ganze Leben und der Tod Elisabeth. Sein letztes Gebet richtet Elisabeth an die Gottesmutter Maria und gibt ihr Leben als Pfand für Tannhäusers Erlösung. Warum lässt Wagner Elisabeth sterben und Venus leben? Warum richtet Wolfram von Eschenbach sein wunderschönes Lied nicht an Maria, sondern an den Abendstern (= zur Venus)?
Tanja Ariane Baumgartner: Das Schöne Unbefleckte muss wohl sterben, denn sonst könnte es nicht unbefleckt bleiben. Was wäre wenn Elisabeth sich plötzlich entscheiden müsste den Unbill ihres Vaters auf sich zu ziehen und mit dem „befleckten „Tannhäuser“ sich zu vermählen oder gar in wilder Ehe zu leben? Ich glaube es gibt keine andere Möglichkeit als sie sterben zu lassen…Wolfram richtet sein Lied an den Abendstern, weil er spürt, dass es da mehr geben muss als die pure Einteilung in sinnliche aka schlechte Welt und keusche aka gute Welt. Es ist liegt auch da eine große Sehnsucht in dieser Arie diese Welten zu vereinigen und „Erlösung „ zu erfahren.
Adelina Yefimenko: Harry Kupfer verhält sich im „Tannhäuser“ sehr kritisch zur katholischen Kirche, zur Heuchelei und Pseudoreligiosität der Priester, Kardinäle, des Papstes, allen, die zusammen mit Tannhäuser die Venus-Liebeskunst im Venusberg ausleben und dann Tannhäuser dafür beim Sängerkrieg in der Wartburg beschämen und verurteilen, was den Künstler zur sozial isolierten Existenz verdammt.
Tanja Ariane Baumgartner: Durchaus verständlich. Wie so vieles auch in der heuteigen Gesellschaft unter dem Deckmantel der Konvention, Heuchelei ist.
Adelina Yefimenko: Wagner beschreibt das Wesen der Menschlichen Natur über „die Notwendigkeit der Liebe und das Verlangen dieser Liebe ist in seiner wahrsten Äußerung Verlangen nach voller sinnlicher Wirklichkeit“. Diese Gedanken führen zu Überlegungen, dass Wagner sich mit Tannhäuser identifiziert hat. Wagner fand seinen Tod nicht in der Gesellschaft, nicht im Land, wo er gelebt, geliebt und gekämpft hat (in Deutschland), sondern in Venedig. Kann man den eigenen Tod planen, glaubest Du, dass Wagner in Venedig sterben wollte, oder es war ein Zufall?
Tanja Ariane Baumgartner: Ich glaube nicht, dass man seinen eigenen Tod planen kann, es sei denn den Freitod. Dennoch glaube ich an Ahnungen, die man hat und die sich oft dann auch verwirklichen. Wagner zog es ja jeher nach Italien, er war ein großer Bellini Fan. Ich könnte mir schon vorstellen, dass Italien für ihn ein Sehnsuchtsland war.
Adelina Yefimenko: Bekanntlich gibt es keine Ideale auf der Erde. Aber wenn wir glauben, dass es sie doch gibt, mit welchen Deiner Rollen als Sängerin spürst Du die ideale Verknüpfung? Mit Venus vielleicht? Und mit welchen von den Regisseuren würdest Du Deine Traumrolle verwirklichen wollen, wenn du die Wahl hättest?
Tanja Ariane Baumgartner: Mit Venus auf jeden Fall, sehr stark aber auch mit Kundry, die ich jetzt zum 2. Mal in Hamburg erarbeite. Meine erste Kundry war in einer Inszenierung von Tatjana Gürbaca, die das ganze Stück aus einer weiblichen Perspektive betrachtet, vor allem Kundry und da kam am Schluss die Erlösung durch Kundry und nicht durch Parsifal. Das war eine fantastische Erfahrung. Und es gibt wirklich viele spannende Regisseure mit denen ich gerne eine meiner Wagner Figuren realisieren würde.
Dr. Adelina Yefimenko (im April 2019)