Susanna Mälkki: Ein Musikstück besteht aus Fleisch und Blut, nicht nur aus dem Knochengerüst!
März 2018/ Renate Publig
Susanna Mälkki © Simon Fowler
Susanna Mälkki feiert ihr Debüt an der Wiener Staatsoper mit der Premiere von Gottfried von Einems Oper „Dantons Tod“. Überhaupt entwickelt sich ihre Karriere gut:In der Saison 2017/18 startete sie als Erste Gastdirigentin beim Los Angeles Philharmonic, geht in die zweite Saison als Chefdirigentin des Helsinki Philharmonic Orchestra.
Besucher der Live in HD-Übertragungen der MET konnten sich von der Qualität der finnischen Dirigentin überzeugen, als sie Ende 2016 mit „L’Amour de Loin“ der Komponistin und Landsfrau Kaija Saariaho debütierte. Im Interview spricht Susanna Mälkki unter anderem über die Bedeutung von Teamarbeit und über die Faszination von Oper.
Frau Mälkki, herzlich Willkommen an der Wiener Staatsoper! Sie leiten die Premiere von Gottfried von Einems Oper „Dantons Tod“,wie laufen die Proben?
Hervorragend!An der Wiener Staatsoper mit einer Premiere zu debütieren ist Luxus, weil ausreichend Zeit zur Verfügung steht, um gemeinsam an der Entwicklung eines Stückes zu arbeiten. Das erlaubt eine intensivere Auseinandersetzung mit einem Werk! Mir ist es wichtig, so früh wie möglich bei den Proben anwesend zu sein, die Arbeit des Regisseurs kennenzulernen – und mit Josef Ernst Köpplinger haben wir bei dieser Produktion einen fantastischen Regisseur.
Sie studierten zunächst Violoncello und hatten unter anderem die Solostelle im Göteborg Symphonie Orchester inne. Was ließ Sie die Seiten wechseln,aufs Dirigentenpult?
Ich betrachte es gar nicht als Seitenwechsel, weil Dirigenten und Orchestermusiker Teile eines Teams sind! Bereits in jungen Jahren konnte ich als Orchestermusikerin Dirigenten bei ihrer Arbeit zu beobachten.Und ich liebe das Orchesterrepertoire,das gemeinsameMusizieren mit anderen MusikerInnen bereitete mir stets Freude.
Als ich mit dem Dirigieren zuwandte, fühlte ich mich sofort zuhause in dieser Position, es war wie ein Ruf! Mich fasziniert am Dirigieren vor allem der Prozess, das Entstehen einer Interpretation, wenn man Teile zusammenzufügt und diese langsam ein Ganzes ergeben.
Sie zeichnen sich durch eine präzise Schlagtechnik aus, Ihre Interpretationen sind klar und strukturiert, ohne Pathos, dennoch voller Leidenschaft. Klarheit und Passion als sich ergänzende Komponenten?
Eine klare Gestik erleichtert den Orchestermusikern, dem Dirigenten zu folgen. Das spart Zeit, schließlich ist eseffizienter, eine Klangvorstellungdurch präzise Gestik zu vermitteln als mit vielen Worten zu beschreiben. Musik in Worte zu fassen ist ohnehin nicht möglich! An der Sibelius Akademie in Helsinki wurde großer Wert auf eine präzise Schlagtechnik gelegt. Ich werde oft gefragt, warum aus einem kleinem Land wie Finnland so viele erfolgreiche Dirigenten stammen. Möglicherweise ist diese Präzision einer der Gründe! Wobei hoffentlich auch künstlerische Gründe eine Rolle spielen. (lacht)
Klarheit und Leidenschaft sollten einander nicht widersprechen, denn Klarheit schafft Transparenz. Jeder Interpret muss jeneElemente und Phrasen eines Werkesherausarbeiten, die die Stimmungen und die gewünschte Interpretation besonders unterstreichen. Bei polyphonen Werken ist dieser Prozess umso wichtiger! Transparenz hat allerdings nichts mit Sterilität zu tun. Ich bin leidenschaftliche Musikliebhaberin, und ein Musikstück besteht nicht nur aus dem Knochengerüst, sondern aus Fleisch und Blut!
Jedes der großen Orchester hat seinen eigenen Klang. Gibt es Unterschiede, ob Sie ein Werk mit, sagen wir, einem amerikanischen, einem portugiesischen, einem finnischen Orchester oder einem aus Wien aufführen?
Ein Orchester ist ein Team aus Einzelpersönlichkeiten, jeder einzelne trägt zum spezifischen Klang bei. Interessant ist jedoch das unterschiedliche Energielevel, manche Orchester „köcheln“ langsam, andere sind sofort entflammt. Das macht es so faszinierend!
Eine Interpretation trägt meine Fingerabdrücke, doch ich arbeite mit dem Klangspektrum, das mir das Orchester anbietet. Das Klangergebnis eines Werkes wird also immer teils von mir, teils vom Orchester stammen! Den Grundklang eines Orchesters kann man nicht innerhalb von ein paar Tagen verändern, das funktioniert nur über einen längeren Zeitraum mit regelmäßiger Zusammenarbeit. Doch letzten Endes hat auch ein Orchester seine Persönlichkeit!
Susanna Mälkki © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
In Ihrem Repertoire der letzten Zeit finden sich höchst unterschiedliche Musiksprachen: Berlioz, Mendelssohn, Strauss, Mahler, Bartók, Mozart und vieles mehr. Lässt sich beschreiben, welche Musik oder Tonsprachen Ihr Interesse wecken?
Letztes Jahr übernahm ich die Leitung des Helsinki Symphonic Orchestra, und als Chefdirigentin bin ich für die Erweiterung des Repertoires zuständig. Eine Aufgabe, die mir große Freude bereitet, schließlich wuchs ich mit dem gesamten Orchesterrepertoire auf!Und in dieser gewaltigen Palette liegt sowohl Faszination als auch Herausforderung. Mit der Musik des beginnenden 20. Jahrhunderts beschäftigte ich mich früher besonders intensiv, und diese Werke liegen mir nach wie vor am Herzen: Richard Strauss und Gustav Mahler, die dirigierenden Komponisten – das ist großartige Musik. Auch im Opernrepertoire liegt mein Schwerpunkt in dieser Periode. Vor einigen Jahren dirgierte ich jedoch auch Mozarts „Le Nozze di Figaro“. Ich bin überhaupt sehr glücklich darüber, vermehrt Opern zu dirigieren.
Was fasziniert Sie am Genre Oper?
Die Welt der Oper übt auf mich eine Faszination aus – der Theateraspekt, das Licht, die Kostüme, man kann für ein paar Stunden in eine andere Welt versinken. Wenn uns zur Musik Bilder angeboten werden, verändert dies die Art, wie wir Höreindrücke wahrnehmen. Auch die Verflechtung von Wort und Ton … Ein Komponist wählt einen Text, der ihn inspiriert. Die Musik ist die Erweiterung zum Text. Als Interpreten arbeiten wir mit dieser Palette: Text und Musik, die verschmelzen, die manchmal einander auch widersprechen können, diese interessante Spannung gilt es für uns aufzuzeigen.
Ich liebe es, mit Sängern zusammenzuarbeiten und dafür zu sorgen, dass sie ihre Kunst so angenehm wie möglich ausüben können. Balance ist wichtig, und eine Natürlichkeit. Das größte Kompliment für mich ist, wenn sich Sänger für meine Unterstützung bedanken!
All diese Aspekte, und die menschlische Stimme in Kombination mit dem Klangspektrum des Orchesters – die Idee vom Gesamtkunstwerk ist nicht von der Hand zu weisen; wenn all unsere Sinne angesprochen werden und unser Intellekt gefordert ist! Musik ist abstrakt, doch sobald man eine Geschichte erzählt, zieht man das Publikum viel tiefer hinein und man lebt mit den Figuren mit. Viele Zuhörer suchen genau das: Für ein paar Stunden dem Alltag zu entfliehen und in eine andere Geschichte, in eine andere Dimension gezogen zu werden. Wir brauchen dieses Land der Fantasie, der Schönheit!
Dirigentinnen sind nach wie vor in der Minderzahl, auch wenn erfreulicherweise immer mehr Frauen ihre Karriere machen. Sind die Orchester in der Zwischenzeit an Frauen am Pult gewöhnt?
Meiner Meinung nach hat tatsächlich eine Gewöhnung stattgefunden. Letzten Endes steigt auch die Anzahl der Orchestermusikerinnen! Auch wenn Frauen am Pult noch in der Minderzahl sind: Die meisten Orchester hatten bereits mit Dirigentinnen gearbeitet, es ist also keine Neuheit mehr, keine „Sensation“. Außerdem sind Dirigenten Individuen, egal, ob männlich oder weiblich!
Die Tatsache, dass die Zahl der Dirigentinnen steigt, ist positiv! Ich begann mit meiner Dirigierstudium vor fast 25 Jahren, man könnte viel Zeit mit einer Analyse der gesellschaftlichen Situation damals verbringen, und warum die Bedingungen für Dirigentinnen früher anders war. Das Thema DirigentIN wird oft zum Fokus, daher rate ich jungen Frauen, dieses Thema beiseite zu lassen und einfach ihren Weg zu gehen. Denn glücklicherweise gab es Veränderungen in der Gesellschaft, in der Politik, in der Popkultur, im Sport … Die Entwicklungpassiert auf sehr gesunde Weise, was erfreulich ist, weil wir alle uns wieder auf die Musik konzentrieren können!
Am „International Women’s Conducting Workshop“, der Anfang dieses Jahres in New York stattfand, leiteten Sie eine Fragerunde. Welche Themen interessieren junge Menschen am Anfang ihrer Karriere am meisten?
Die Arbeit mit jungen DirigentInnen ist mir generell ein Anliegen, Masterclasses leitete ich unter anderemauch in Paris oder in Helsinki.Daher schicke ich vorweg: Unser Beruf beinhaltet viele unterschiedliche Aspekte. Die Themen, die junge Menschen am Anfang ihrer Karriere bewegen, sind daher nicht geschlechtspezifisch!Der Schwerpunkt liegt natürlich in Fragen über Musik selbst. Weiters sprechen wir darüber, wie man sich auf ein Werk vorbereitet, wie man eine Probe leitet, wie man mit Menschen umgeht. Auch rein Organisatorisches wie Zeiteinteilung spielt eine bedeutende Rolle.
Gedankenaustausch ist mir sehr wichtig, mit jungen Menschen, mit erfahrenen Kolleginnen und Kollegen, aber auch mit Menschen in Führungspositionen in Bereichen, die nichts mit Musik zu tun haben. Die Parallelen der Themen sind oft erstaunlich!
Sie widmen sich auch der zeitgenössischen Musik – Klänge, an die sich viele ZuhörerInnen erst gewöhnen müssen.
In einem Museum findet man neben den großen Klassikern oder den französischen Impressionisten auch zeitgenössische Kunst. Das gleiche gilt für die Literatur. Die Vielfalt macht die Würze. Je öfter das Publikum mit zeitgenössischer Musik in Berührung kommt, umso weniger fremd klingt sie. Auch das ist ein Prozess! Das breite Publikum erreicht man am leichtesten mit gemischten Programmen.
Gottfried von Einem schloss seine Kompositionsarbeit an„Dantons Tod“ 1946 ab, da war er also gerade mal 28 Jahre alt. Seine Tonsprache ist alles andere als „schräg“?
In der Entstehungszeit wurde diese Oper vielleicht sogar als zu traditionell gesehen. Heute, in all meiner Erfahrung mit zeitgenössischer Musik – die ich sehr schätze! – sollte dieses Werk einfach ohne Kategorisierung wahrgenommen werden. Diese Musik ist brilliant komponiert, die Modernität besteht in der Kompaktheit. Die Handlung entwickelt sich sehr schnell,die Musik ist auf den Punkt gebracht! Das Werk basiert auf einem Theaterstück, von Einem übernahmdasErzähltempo und verschränkte Theatralisches und Musikalisches. Denn die Oper enthält fantastische Gesangslinien, die stimmungsvolle Momente heraufbeschwören. Manche sehr intim, manche sehr heroisch. Und das Finale ist atemberaubend!
„Dantons Tod” basiert auf einer historischen Begebenheit, die Französische Revolution fand vor mehr als 200 Jahren statt. Dennoch, wenn man Themen wie die Unzufriedenheit des Volkes oder die Macht von politischen Führern betrachtet, ist dieses Werk auch heute noch von enormer Relevanz?
Die Menschheit wiederholt die gleichen Fehler. Die Relevanz von „Dantons Tod“ ist daher einerseits faszinierend, andererseits auch erschütternd. Bewundernswert ist vor allem der Mut Gottfried von Einems, ein Werk diesen Inhalts so knapp nach dem 2. Weltkrieg zu schaffen!
Die beiden Protagonisten Danton und Robespierre wuchsen gemeinsam auf, waren zunächst Freunde und wurden zu erbitterten Feinden. Die Französische Revolution dient als Sinnbild für Machtspiele, für Manipulation. Jemand möchte Veränderung bewirken und realisiert, dass die Entwicklung ins andere Extrem kippt.
Der Chor repräsentiert die Bevölkerung, und wir erleben, wie rasch Menschen ihre Meinung wechseln, wie manipulierbar ein Volk ist. Auch dies spiegelt die Realität wider!
Wir finden jedoch in dieser Oper auch Liebe, Gefühle … und was dem Werk diese enorme Kraft verleiht: Die Geschichte beginnt in leichter, fast heiterer Stimmung, doch die Geschichte spitzt sich immer dramatischer zu, bis zum tragischen Ende. Es ist so ein Meisterwerk! Von Einem hat dramatisches Geschick, schreibt wunderbar für Sänger – und die Proportionen und Strukturen sind perfekt, eigentlich unglaublich, dass dies seine erste Oper war! Im besten Sinne virtuos!
Werden Sie über den gesamten Zeitraum in Wien bleiben?
Zwischen zweiter und dritter Vorstellung fahre ich heim, doch ich genieße den Luxus, über einen derart langen Zeitraum an einem Ort zu sein und nicht reisen zu müssen; in dieser Zeit mit den gleichen Menschen zu arbeiten, nicht nur während der Proben, sondern auch im Laufe der Aufführungen, in denen die Interpretation natürlich weiterentwickelt wird. Es macht einen riesigen Unterschied, ob man lediglich „für sich“ probt, oder ob das Werk vor Publikum gespielt wird. Und wir lernen einander erst im Laufe der ersten Aufführungrichtig kennen. Dann wissen wir, wie wir uns auf einander verlassen können, welche Rolle einem die Nerven spielen, und das ist die eigentliche Magie. Diese Besetzung ist fantastisch, das Orchester und der Chor sowieso!
Dann wünsche ich Ihnen toi, toi, toi und bedanke mich fürs Gespräch!
Susanna Mälkki © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn