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SÜDENGLAND – SCHÖN UND STAUNENSWERT

19.08.2013 | KRITIKEN, REISE und KULTUR

Südengland – schön und staunenswert, 18.08.2013

von Ursula Wiegand

Bright heißt leuchtend, und genau so präsentiert sich bei unserer Ankunft der Badeort Brighton am Ärmelkanal. Ein Ferienziel voller Lebensfreude. Viele junge Leute ziehen durch die Straßen, darunter Sprachstudenten aus diversen Ländern.


Brighton Pier, eine Vergnügungsmeile. Foto: Ursula Wiegand

Andere sitzen auf dem Kieselstrand nahe dem Wasser oder schwimmen in den frischen Fluten. Passend dazu strahlen die Promenaden-Bauten, das Riesenrad und der Brighton Pier.

Der aber ist eine Vergnügungsmeile mit Karussells, Achterbahnen und Spielautomaten. Hier amüsieren sich die Familien, the british way of Holiday.

Auf uns wirkt das genau so seltsam wie der Royal Pavillon, ein Prachtpalast, außen indisch mit Zwiebeltürmen und Minaretten, drinnen protzig-chinesisch. Den ließ sich Georg IV (1762-1830), König von England und Hannover, errichten. Seine ebenso protzigen Gelage kosteten Unsummen.


Brighton, Royal Pavillon, Turmensemble. Foto: Ursula Wiegand

Als er 1820 König wurde, heiratete er aus politischen Gründen Karoline von Braunschweig und erreichte damit, dass der Hof einen Großteil seiner Schulden beglich. Doch Georgs Krönung musste die Gattin fernbleiben, auch hat er sie angeblich nur einmal besucht. Die feine englische Art war das nicht.

Queen Victoria, die spätere Besitzerin des exotischen Großbaus, verkaufte ihn an die Stadt, die ihn schließlich für 10 Millionen Pfund restaurieren ließ. Seither bewundern jährlich 400.000 Besucher die verschwenderisch ausgestatteten Räume.

Dennoch ist Georg IV eher vergessen, während ein anderer im Gedächtnis blieb: Heinrich VIII (1491-1547), und das wegen seiner sechs Ehefrauen. Ihm begegnen wir auf dieser Kultur- und Wanderreise zunächst in Hever Castle, einem Wasserschloss aus dem 13. Jahrhundert, rd. 50 km nördlich von Brighton.


Hever Castle, Geburtsort von Königin Anne Boleyn. Foto: Ursula Wiegand

Dort wurde Anne Boleyn geboren, seine zweite Frau. Die Schöne hatte am französischen Hof gesellschaftlichen Feinschliff erhalten, und Heinrich verliebte sich Hals über Kopf in sie. Er schickte Geschenke, schrieb Liebesbriefe und besuchte sie auf Schloss Hever.

Doch Heinrich war schon verheiratet, und Anne wollte Königin werden, nicht Maitresse auf Zeit. Jahrelang widerstand sie seinem Drängen. Wirklich? Das Zimmer, in dem er auf Hever Castle mitunter übernachtete, liegt neben dem ihren.

Schließlich trennte er sich ihretwegen von seiner Gemahlin Katharina von Aragon und auch von Rom, da Papst Clemens VII Heinrichs Ehe nicht annullieren wollte. Also schuf der König die Anglikanische Staatskirche mit ihm selbst als Oberhaupt.

Für Anne ging die Rechnung nicht auf. Da sie nur eine Tochter und keinen Sohn gebar, war Heinrich „not amused“. Er umgarnte Jane Seymour, doch um sie zu heiraten, musste er Anne loswerden. Drei Jahre nach der Hochzeit wurde sie wegen vermeintlicher Untreue im Tower zu London hingerichtet. Immerhin mit dem Schwert – das war Heinrichs feine englische Art.


Hever Castle, Geburtsort von Anne Boleyn und Picknick-Ziel. Foto: Ursula Wiegand

Später schenkte er Hever Castle seiner 4. Frau, Anna von Kleve, als Scheidungsgabe. Ihre Vorgängerin Jane war nach der Geburt eines Sohnes gestorben, Annas Nachfolgerin wurde hingerichtet. Nur die sechste, Catherine Parr, überlebte den König. Mit dem Vers „divorced, beheaded, died, divorced, beheaded, survived“ (geschieden, geköpft, gestorben, geschieden, geköpft, überlebt) merken sich Schulkinder das Schicksal von Heinrichs Frauen.

Und Schloss Hever? 1903 kaufte es der Amerikaner William Waldorf Astor und ließ es aufwändig restaurieren. Nun ist es ein Besuchermagnet, umgeben von fein frisierten Büschen und gepflegten Rosengärten. Familien picknicken auf den Wiesen.

Einige Besucher umrunden auch den dazugehörigen See. Bis ins Wasser hängen dort die Zweige der Trauerweiden, als wollten sie Annes tragischen Tod noch immer beweinen. Indirekt hat sie jedoch überlebt. Ihre Tochter, Königin Elisabeth I, steuerte England während ihrer 45jährigen Regierungszeit durch alle Krisen. Geheiratet hat sie jedoch nie.

Andere Schlösser, wie das rd. 60 km nordwestlich von Brighton gelegene Petworth mit seiner Gemäldesammlung, hütet der National Trust, gegründet 1895 zum Erhalt historisch bedeutsamer Stätten und Naturschönheiten. Getragen wird er durch Schenkungen, Mitgliedsbeiträge und ehrenamtliche Arbeit.


Schloss Petworth, Turner-Gemälde, Die Themse bei Windsor. Foto: Ursula Wiegand

Dicht an dicht hängen im Schloss Petworth die Bilder. Freundliche Damen und Herren im Rentneralter zeigen gerne die an den Wänden verstreuten Meeres- und Landschaftsmotive von William Turner (1775-1851), der dort auf Einladung des Besitzers sieben Jahre ein eigenes Atelier hatte.

Nach diesem Kultur- und Geschichtsparcours nun aber rein in die Wanderstiefel und hin zu den „Seven Sisters“, sieben Kreidefelsen an der Küste östlich von Brighton. Doch bald regnet es, und die Damen hüllen sich in Nebel.

Den Piraten und Schmugglern früherer Zeiten kam solch ein Wetter gerade recht. Sie lockten fremde Schiffe gar in Untiefen, um sie auszuplündern. Jahrhundertelang war das ein lukratives Geschäft. An Land wurde die Beute gut versteckt, z.B. in Geheimkammern der Kneipe „Ye Olde Smugglers Inne“ (von 1358) in Alfriston.


Alfriston, Gasthaus George Inn. Foto: Ursula Wiegand

Dieses Dorf in den Hügeln der South Downs mit seiner hübschen Kirche (von 1370), dem Mini-Bankhaus und der 500 Jahre alten Gaststätte „George Inn“ ist ein beliebtes Ziel. Noch mehr lockt die gleichaltrige Bäckerei. „Cream Tea“ in Silberkannen, Scones, (Küchlein) mit Sahne- und Marmeladenhäubchen, serviert auf geblümten Porzellantellern – Das ist lecker, das hat Stil. Rauf auf die Rippen.

Und dann noch ein Prosit auf den lange verblichenen Admiral Nelson? Das aber erst in den historischen Docks (Historic Dockyard) von Portsmouth. Viele Schiffe wurden dort gebaut, und drei besonders geschichtsträchtige können besichtigt werden.


Portsmouth, historische Docks, die HMS Warrior von 1860. Foto: Ursula Wiegand

Das jüngste ist die HMS „Warrior“ (Krieger), doch kämpfen musste die nie. Das rd. 70 m lange schwarze Stahlschiff von 1860, zunächst ein Wunder maritimer Technik, war nur 22 Jahre im Dienst und blieb ein sanfter Riese. Nie haben die Kanonen auf Feinde gefeuert.


Portsmouth, historische Docks, Nelsons HMS Victoria von 1765. Foto: Ursula Wiegand

Ganz anders die „HMS Victoria“ von 1765. Mit ihr gelang Admiral Nelson 1805 der Sieg in der Schlacht von Trafalgar gegen die weit größere Flotte der Franzosen und Spanier. Ein Sieg, der Englands Gegner anhaltend schwächte Seither galt: „Britain rules the Sea“.

Nelson selbst kam dabei ums Leben. Die Mannschaft steckte den Leichnam in ein Branntweinfass und brachte ihn solcherart konserviert zurück nach England. Anschließend hätten alle ein Glas auf Nelsons Wohl getrunken. Von genau diesem Branntwein, und der hätte richtig Körper gehabt, behauptet grinsend ein Guide der Royal Navy.


Portsmouth, die gehobenen Reste der Mary Rose, gesunken 1545. Foto: Ursula Wiegand

Die neueste Attraktion ist die „Mary Rose“, das Lieblingsschiff von Heinrich VIII. Die hatte man mit besonders vielen Kanonen bestückt, doch das wurde ihr zum Verhängnis. 1545, bei der Schlacht im Meeresarm Solent, bekam sie Schlagseite und versank – von keinem Schuss getroffen – mit Mann und Maus vor Heinrichs Augen.

1982 wurde die Mary Rose gehoben und steht nun in einem eigenen, den Schiffsdecks nachempfundenen Museum. Durch kleine Fenster ist der kräftige, durch Heizungsrohre erwärmte Rumpf zu sehen.

In Vitrinen liegen die Dinge, die in Holzkisten überdauerten. So das Operationsbesteck des Chefchirurgen und ein Schemel plus Kelle für den Koch. Außerdem Kämme, Kleidung, Schuhe und Skelette. Ein lebendiger Friedhof in abgedunkelten Gängen.


Portsmouth, Spinnaker Tower, 170 m hoch. Foto: Ursula Wiegand

Aufatmen dann draußen in Licht und Sonne und auf dem 170 m hohen Spinnaker Tower, dem neuen Wahrzeichen der Stadt. Höhenrausch mit Aussicht von den Panoramadecks.

Spielzeugklein ziehen weit unten Fährschiffe und Yachten vorbei, auch die „Warrior“ ist zu sehen. Die Läden zu Füßen des eleganten Super-Segelmastes müssen warten.


Portsmouth, Spinnaker Tower, Aussicht genießen. Foto: Ursula Wiegand

Lässt sich das noch toppen? Das hängt von persönlichen Vorlieben ab, denn Südengland ist vielfältig. Gartenfreunde werden in Stourhead glücklich, dem wohl besten Beispiel englischer Gartenkunst im 18. Jahrhundert.


Stourhead-Park mit Brücke und Pantheon. Foto: Ursula Wiegand

Ein Gesamtkunstwerk, drapiert um einen mit Grotten, einer palladianischen Brücke und klassizistischen Tempelchen garnierten See.


Klippen von Old Harry Rocks. Foto: Ursula Wiegand

Doch die Wanderung auf der Isle of Purbeck (westlich von Bournemouth) hinauf zu den Old Harry Rocks, den Kreideklippen (Weltnaturerbe), begeistert alle.

Blendend weiß erheben sie sich über dem tiefblauen Meer, klitzeklein die Menschlein auf ihnen, und alle paar Schritte andere, faszinierende Formen.


Klippen von Old Harry mit fröhlichen Wanderern. Foto: Ursula Wiegand

Old Harry nannte man früher den Teufel, also Bye Bye ihr teuflisch-schönen Felsen, denn in der Ferne ist schon Swanage in Sicht, ein lebhafter Badeort mit richtigem Sandstrand!


Salisbury, Kathedrale, 1258 geweiht, Westfront. Foto: Ursula Wiegand

In Salisbury hat der Teufel ganz ausgespielt, besitzt die Stadt doch eine der großartigsten gotischen Kathedralen Großbritanniens.

Allerdings steht ihr 123 m hoher Turm schief. Seine 6.500 Tonnen drücken auf die Vierung, die verstärkt werden musste.


Salisbury, Turm der Kathedrale. Foto: Ursula Wiegand

Anderes ist rekordverdächtig, so die weltweit älteste, noch funktionierende Uhr (von 1386) sowie die ältesten kompletten Chorgestühlreihen und der größte Kreuzgang Englands. Als Kontrast dazu ein modernes Taufbecken, designed von William Pye, in dem sich die Umstehende und die bunten Fenster spiegeln. Last not least ist im Kapitelhaus eine der vier Urschriften der 1215 verfassten Magna Carta zu sehen, das Vorbild für viele Verfassungen.


Salisbury, Kathedrale, Taufbecken von William Pye, 2008. Foto: Ursula Wiegand

Was hier und in anderen Kathedralen auffällt, sind die exquisiten Deckengewölbe, wahre Meisterwerke der Steinmetzkunst. Ein feines Netzgewölbe bietet auch St. Mary Redcliffe in Bristol, die Elisabeth I als schönste Pfarrkirche Englands bezeichnet hatte.


Bristol, St. Mary Redcliffe, Kirchenschiff. Foto: Ursula Wiegand

Ein Fenster von 1380-1400 hat die Queen noch im Original gesehen. Nach dem Wüten von Cromwells Truppen wurde es aus Scherben wieder zusammengepuzzelt. Georg Friedrich Händel, der dort mitunter auf der Orgel spielt, hat man zum 100. Todestag (1859) ein Händel-Fenster mit Szenen aus dem „Messias“ gewidmet.


Bristol, St. Mary Redcliffe, Magnificat-Fenster, Lady mit Handtasche. Foto: Ursula Wiegand

Der Clou ist jedoch das Magnifikat-Fenster aus dem 20. Jahrhundert in der Marienkapelle, das frühere Heilige mit heutigen Menschen kombiniert. „Schauen sie, eine der Ladys trägt ein Handtäschchen. Das ist weltweit einmalig,“ flüstert der Küster.

Vielleicht fährt er dann abends über die Clifton-Hängebrücke und blickt auf den schwimmenden Hafen, Bristols Wunderwerke der Technik, verwirklich vom Ausnahme-Ingenieur Isambard Kingdom Brunel (1806-1859).


Bath, Römische Bäder und Kathedrale. Foto: Ursula Wiegand

Echt einmalig und obendrein Weltkulturerbe ist jedoch Bath mit seinen im 18. Jahrhunderts wieder entdeckten Römischen Bädern. Der kantige Turm der Abteikirche blickt auf diese antike Wellnessanlage, wo sich die Römer die klammen Glieder wärmten.

Diese einzige Thermalquelle des Landes wurde später von der feinen Gesellschaft gerne genutzt, doch 1978 war Schluss mit Baden. Inzwischen gibt es wieder ein öffentliches Thermalbad. Doch ein Gang durch die von georgianischer Architektur geprägte Stadt erscheint lohnender.


Bath, Royal Crescent, 18. Jahrhundert, Ausschnitt. Foto: Ursula Wiegand

Paradebeispiel ist der halbmondförmige „Royal Crescent“ von 1774, weit ausgreifend, formschön und noch immer bewohnt.


Bath, Abbey, Kirchenschiff. Foto: Ursula Wiegand

Auch die Abbey (16. Jahrhundert) ist mir ein Muss. Wieder ein imponierendes Kirchenschiff, wieder solch ein feines und fantasievolles Deckengewölbe.


Stonehenge. Foto: Ursula Wiegand

Nach all’ diesen Eindrücken würde ich am liebsten im Mondschein in Stonehenge sein, ganz allein diese mysteriöse Anlage betrachten und nachsinnen. Das ginge nur von weitem, denn das Ensemble, erbaut 3000-1.600 v.Chr. – wurde vor Jahren eingezäunt. Rockmusik mitten im Steinkreis, Sitzen auf den Quadern – das ist vorbei. Auch künftige Generationen sollen Stonehenge noch sehen.


Stonehenge. Foto: Ursula Wiegand

Thomas Wiebusch, unser Wikinger-Reiseleiter, mahnt morgens zur Eile. Früher als die zahllosen, voll besetzten Reisebusse sind wir vor Ort. Einen Film haben wir bereits gesehen, mit dem Audioguide (auch in Deutsch) umrunden wir dieses Gebilde aus fernen Zeiten, das trotz des Besucherandrangs seine Würde bewahrt.

Nach Experimenten vermuten Forscher, dass die aus Wales stammenden, tonnenschweren Blausteine – von vielen Männern gezogen – über Eichenholzschienen gerollt wurden. Doch wozu diente die Anlage, die Sommer- und Wintersonnenwende integriert?


Stonehenge, Ausschnitt. Foto: Ursula Wiegand

Astronomischen Zwecken oder dem Ahnenkult? War sie ein Heiligtum? Womöglich alles zusammen, also eine Mehrzweckanlage. Das würde dem enormen Aufwand am besten gerecht werden. Gut, dass manche Rätsel bleiben und mit ihnen Räume zum Träumen

Infos: Eindrücke von der 11-tägigen Reise „Natur und Kultur in Südengland“. Preis (2013) inkl. Flug ab 1.695.- Euro/Person im Doppelzimmer. Weitere Termine in 2014 am 29.Juni, am 06., 13, und 27. Juli sowie am 10. August. Siehe unter www.wikinger.de .

In Portsmouth ist der Kauf eines Kombi-Tickets ratsam, dass den Spinnaker-Tower, die 3 historischen Schiffe, eine Hafenrundfahrt und das Marine-Museum einschließt. (U.W.)

 

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