„Internationaler Orgelsommer“ – Stunde der Kirchenmusik mit Kay Johannsen am 25.8.2023 in der Stiftskirche/STUTTGART
Eine breite Klangfläche
Max Reger meinte, dass jede Orgelmusik, die nicht im Innersten mit Bach verwandt sei, unmöglich sei. In diesem Sinne bearbeitete er auch Johann Sebastian Bachs Toccata und Fuge in d-Moll BWV 913 – ein Werk, das der Organist Kay Johannsen beim „Internationalen Orgelsommer“ in der Stiftskirche sehr ausdrucksstark interpretierte. Die pedalartigen und präludierenden Passagen prägten sich dabei tief ein, das Spiel mit kunstvollen Akkorden und Motivpartikeln schien durch Regers facettenreiche Bearbeitung noch verfeinert worden zu sein. Auch der sich an der Vierstimmigkeit orientierende Andante-Teil gewann bei Johannsens Spiel eine immer größere Intensität und Präzision. Die erste Fuge entwickelte sich zu einem dynamisch ausgewogenen Thema. Ausgesprochen pathetisch, aber keineswegs übertrieben erschienen hier die Adagio-Passagen. Und auch die ausufernde Chromatik wurde von Kay Johannsen genau herausgearbeitet. Das Schluss-Allegro besaß eine starke innere Spannungskraft. „Flying Rhythms“ (2023, Uraufführung) von Kay Johannsen beeindruckte das Publikum aufgrund der eindringlich gestalteten Tempo-Vorschrift Allegro brillante, wobei die unentwegt drängende Motorik dieses Stücks deutlich hervorstach. Der 4/4-Takt gewann mit seiner konzentrierten Achtelgliederung Klarheit und Leuchtkraft, wobei die tonale Harmonik konzentriert um ein Zentrum kreiste. Und die „fliegenden“ Akkorde zeigten immer stärkere Verdichtungen bis hin zu Clustern. Eine rauschhafte und ekstatische Steigerung beschloss diese Komposition. Klangfarblich hervorragend war auch Kay Johannsens subtile Interpretation der Fantasia contrappuntistica in der Orgelbearbeitung von Wilhelm Middelschulte von Ferrucio Busoni. Dieses Werk lehnt sich deutlich an Johann Sebastian Bachs „Kunst der Fuge“ an, Busoni wollte hier das Fragment der letzten Quadrupelfuge ausführen. Die Choralvariationen über „Ehre sei Gott in der Höhe“ nahmen dabei gewaltige Ausmaße an. Es folgten nach den ersten drei Fugen weitere Variationen, dann eine Kadenz, eine vierte Fuge und schließlich nach dem machtvollen Choral die imponierend gestaltete Stretta. Das polyphone und harmonische Denken entwickelte sich bei dieser Interpretation sehr konsequent. Arpeggien und Cantus-firmus-Strukturen waren deutlich herauszuhören. Eigentlich existiert dieses Werk ja nur in der Klavierfassung. Doch durch die suggestive Orgel-Bearbeitung von Wilhelm Middelschulte gewann die Komposition ungewöhnliche Klangfarbenreize. Als hochbegabter Improvisator erwies sich Kay Johannsen zuletzt bei seiner eigenen „Freien Improvisation“, wobei das breit gefächerte Klangbild besonders positiv auffiel. Auch die dynamischen Veränderungen und Schwingungen waren hier ausserordentlich beeindruckend. So zeigte die Orgel fast orchestrale Qualitäten, wobei einzelne Modulationen sich klanglich effektvoll zuspitzten.
Alexander Walther