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STUTTGART/ Staatsoper: GÖTTERDÄMMEUNG. Wiederaufnahme

06.05.2024 | Oper international

Wiederaufnahme von Wagners „Götterdämmerung“ am 5.5. 2024 in der Staatsoper/STUTTGART

Zauber der Weltesche

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Christiane Libor (Brünnhilde), Daniel Kirch (Siegfried). Foto: Matthias Baus

 Die verdorrte Weltesche spielt bei Marco Stormans Inszenierung der „Götterdämmerung“ von Richard Wagner eine große Rolle. Gleich zu Beginn zerfällt die Wahrheit in seltsame Visionen, der Blick der Nornen hat keine Macht über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (Bühne: Demian Wohler; Kostüme: Sara Schwartz). Sie können das komplizierte Mosaik nicht zusammenbringen. Man spürt, dass für Siegfried und Brünnhilde das gemeinsame Glück nur von kurzer Dauer ist. Ihre Zusammenkunft ist von kindlicher Unschuld geprägt, nihilistische Komponenten fehlen nicht. Die Inszenierung mit ihren Schluchten und monumentalen Gebäuden wirkt oftmals futuristisch und klassizistisch. Die Gibichungenhalle mutiert zu einem grotesken Komplex, der halb Kirchenkathedrale, halb Gerichtssaal und Parlament zugleich ist. Im Vordergrund steht sogar ein Podium mit Mikrofonen, in die die Protagonisten hineinsprechen. Das Nebeneinander verschiedener Schichten ist hier auffallend, es fällt immer wieder der schwarze Vorhang. Das Zersplittern von Erzählungen hat für Marco Storman eine große Bedeutung. Bei ihm liegt die Apokalypse schon hinter dem eigentlichen Geschehen, denn die gesellschaftlichen Verabredungen funktionieren hier nicht mehr. Im dritten Akt hat die monströse Weltesche wieder eine große Bedeutung. Siegfrieds Ermordung durch Hagen scheint nicht wirklich stattzufinden, denn Siegfried bricht nicht tot zusammen, sondern lebt zwischen den Mannen weiter. Der berühmte Trauermarsch ist vor dem schwarzen Vorhang zu hören. Mystik und Realität vermischen sich zwischen Nebelbänken und Gerüsten, deren Rückwand im ersten Akt ebenfalls sichtbar wird. Zuletzt erscheint bei Brünnhildes Schlussgesang Siegfried auf einem Ross, das Brünnhilde schließlich ebenfalls besteigt, um mit ihrem Geliebten in den Himmel zu fliegen. Der Weg zu den Göttern in Walhall scheint nicht verschlossen zu sein. Man sieht auch kein Feuer. Es sind Bilder der sich auflösenden Wahrheit, die stark im Gedächtnis bleiben. Schon beim Vorspiel spürt man in dieser Inszenierung, dass nicht alles in Ordnung ist. Brünnhilde schickt Siegfried gleichsam in ein Spiel um die Neudeutung der Welt. Damit ist er überfordert, was die Regie auch plausibel  verdeutlicht. Auch Alberich schickt im zweiten Akt Hagen ins Rennen, wobei Patrick Zielke in einer Art Tour de Force beide Rollen zugleich singt, was eine große Herausforderung ist. Alberich manipuliert hier seinen Sohn Hagen sehr stark – und natürlich birgt diese Konstellation auch Gefahren. Die Frage, ob es sich hier um einen Traum oder gar Hypnose handelt, steht plötzlich zentral im Raum. Siegfried möchte die Welt in Frieden sehen – und scheitert daran in seiner Naivität. In der Inszenierung sollen laut Storman auch Motivationen freigelegt und das Menschliche herausgestellt werden, was einmal mehr, ein anderes Mal weniger gelingt.

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Shigeo Ishino (Gunther). Foto: Matthias Baus

Musikalisch gibt es bei dieser packenden Aufführung viele starke und ergreifende Momente. Dafür sorgt immer wieder das famose Staatsorchester Stuttgart unter der einfühlsamen  Leitung von Cornelius Meister. Die harmonische Vielfalt dieser Partitur wird minuziös herausgearbeitet. Vor allem die kunstvolle Technik leitmotivischer Verknüpfung kommt hier nicht zu kurz. Das Gefühlsverständnis der Sprache und Töne prägt die Sängerinnen und Sänger sehr stark, das musikalisch-poetische Gewebe erscheint als „ewige Melodie“. Im zweiten Akt mit dem berühmten Heerruf Hagens besticht vor allem auch die chorische Polyphonie, wobei der Staatsopernchor Stuttgart (Einstudierung: Manuel Pujol) souverän agiert. Die Motive formen sich zu einem facettenreichen sinfonischen Gewebe, dessen Intensität nicht nachlässt.  Und die Präsenz des Mythos sticht bereits beim Vorspiel deutlich hervor, wo die Nornenszene geheimnisvoll in es-Moll beginnt und sogar Assoziationen zu Bachs „Wohltemperiertem Klavier“ besitzt. Nicole Piccolomini (1. Norn), Linsey Coppens (2. Norn) und Christiane Kohl (3. Norn) ergänzen sich stimmlich sehr passend. Geheimnisvoll klingt dabei auch die archaische Akkordfolge von Brünnhildes Erwachen. Das Schicksals-Motiv gewinnt hier jedenfalls eherne Macht. Christiane Libor als Brünnhilde und Daniel Kirch als Siegfried steigern sich bei der zweiten Szene „Zu neuen Taten“ mit enormer Dynamik bis zur Heldentonart Es-Dur. Patrick Zielke gelingt es als Hagen, mit seinem nicht allzu tiefen Bass den intriganten Charakter zu betonen. Das Hagen-Motiv in den Celli mit Pizzicato-Einlagen besitzt allerdings dämonische Größe. Hagens Gesang mit Tritonus und Nibelungen-Hass-Motiv gewinnt dabei immer mehr Charisma. Shigeo Ishino als Gunther zeigt in der Auseinandersetzung mit Hagen ebenfalls Format, während Mandy Fredrich als Gutrune ihrem schmeichelnden Motiv viele Klangfarben abgewinnt. Herausragend ist ferner Stine Marie Fischer als Waltraute, die das Glücksgefühl Brünnhildes mit Wotans Verzweiflungs-Motiv empfindlich stört. Mit großen Intervallspannungen ist ihr tiefer Sopran auch zu eindrucksvollen Spitzentönen fähig. Ein markanter Triller der Violinen leitet diese dichte Szene mit Brünnhilde ein. Im zweiten Aufzug erklingt  der Tritonus h-f bei Hagens Mannenruf mit beängstigender Präsenz, Cornelius Meister wählt zuweilen sogar lange und ausdrucksstarke Tempi. Die vierte Szene mit der gebrochenen Brünnhilde steigert sich dann nochmals zu einem Furioso, wo Hagen, Gunther und Brünnhilde beim Mordplan gegen Siegfried zuletzt mit einem fahlen C-Dur der falschen Freude triumphieren. Zuvor hat Brünnhilde von der Empore geradezu aufrührerisch Flugblätter in die Menge geworfen. Szenisch und musikalisch besitzt dieser Moment erhitzte Wucht. Bei der Szene mit den drei Rheintöchtern zu Beginn des dritten Aktes klingt die Rheingold-Fanfare sehr trügerisch. Eliza Boom als Woglinde, Linsey Coppens als Wellgunde und Martina Mikelic als Flosshilde zeigen beim Götterdämmerungs-Motiv durchaus betörenden Klangzauber. Ein weiterer Höhepunkt ist Siegfrieds Ermordung durch Hagen, der ihm den Speer zur chromatischen Skala der Streicher abwärts in den Rücken stößt, während das Motiv in Holzbläsern und Trompeten abrupt abbricht. Cornelius Meister begreift den anschließenden großen „Trauermarsch“ in c-Moll durchaus als erschütternden griechischen Chorgesang, der durch Mark und Bein geht. Beim Finale mit Brünnhildes Schlussgesang und den über zwanzig rekapitulierten Motiven überzeugt Christiane Libor nochmals mit leidenschaftlicher Emphase und strahlenden Spitzentönen, beschwört eindringlich das Wunder-Motiv, das zuletzt noch einmal sphärenhaft in Des-Dur verklingt. Zuletzt großer Jubel des Publikums – auch für das Staatsorchester und Cornelius Meister.  

 

Alexander Walther

 

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