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STUTTGART/ Schauspielhaus: „FARM DER TIERE“ von George Orwell. Aufstand der Unterdrückten. Premiere.

28.04.2024 | Theater

Premiere „Farm der Tiere“ von George Orwell am 27. 4. 2024 im Schauspielhaus/STUTTGART

Aufstand der Unterdrückten

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Foto: Katrin Ribbe

„Kein Tier in England ist frei!“ So lautet das seltsame Motto von George Orwells „Farm der Tiere“, die wie „1984“ auch irgendwie eine seltsame Zukunftsvision ist. Die Tiere wie Hunde, Hühner, Schafe und Kuh werden eingesperrt und gnadenlos ausgebeutet, ihre Körper geschunden. In der rasanten und trotz mancher szenischer Fragwürdigkeiten überzeugenden Inszenierung von Oliver Frljic (Bühne: Igor Pauska; Kostüme: Pia Maria Mackert) geraten sie mit der Obrigkeit heftig aneinander. Sie haben auf dem Gutshof von Mister Jones die Schnauze voll. Gemeinsam leisten sie erheblichen Widerstand gegen die bestehenden Verhältnisse und revoltieren gewaltig: „Alle Menschen sind Feinde, alle Tiere sind Freunde!“ Ein grotesker Napoleon, der von Julian Lehr wandlungsfähig gemimt wird, knallt mit der Peitsche auf den Boden und scheucht damit nicht nur die Hühner auf. Darin gleicht er Mister Jones. Die Rede ist von einer historischen Zeitenwende: „Was ist Unterdrückung?“ Nachdem sie ihren Peiniger schließlich erfolgreich vom Hof vertrieben haben, steht ihren Träumen nichts mehr im Wege. Der Wahlspruch lautet jetzt: „Alle Tiere sind gleich!“ Das meinen auch Schneeball und Mr. Whymper (virtuos gemimt von Valentin Richter), Quieker (wandlungsfähig: Hannah Müller), Klee (ausdrucksstark: Mina Pecik), Boxer (furios: Felix Jordan) und Benjamin (verschlagen: Gabor Biedermann). Plötzlich stellen sich die Schweine an die Spitze der neuen Ordnung, die die Welt bedeutet. 

Und von da an steigern sich auch das Tempo und die Intensität dieser Inszenierung, bei der lärmende Rockmusik nicht zu kurz kommt. Ganz entscheidend ist dann der vehemente Einsatz des fulminanten Sprechers der Hühner, dem Karl Leven Schroeder mit starker Ausstrahlung Gestalt gibt. Auch Gabriele Hintermaier kann sehr überzeugend der Sprecherin der Kühe und der Ratte Leben einhauchen: „Unsere Milch wird in den Schweinebrei gemischt!“ Und dann heißt es: „Stimmt für Napoleon und die volle Futterkrippe!“ Die Schweine lassen jetzt die anderen Tiere gnadenlos schuften. Sie ziehen selbst in das Haus von Mister Jones ein. Das System der freien Gesellschaft bleibt so eine groteske Utopie, denn die Schweine maßen sich zu monumentaler Berlioz-Musik absurde Privilegien an. Schließlich wird sogar ein weißer Mercedes hereingefahren. Die Devise lautet jetzt: „Ihr dürft mehr arbeiten!“ Eine überaus groteske Revue mit durchgeknallten Typen nimmt ihren verrückten Lauf. Sex wird kurzerhand zum politischen Mittel erklärt: „Wir wollen uns nicht ständig fortpflanzen!“ Sogar die blaue amerikanische Freiheitsstatue wird plötzlich aufgestellt. Und es erklingt ein Ausschnitt aus Donizettis „Liebestrank“. Die „Genossen Hühner“ rüsten sich im Kampf gegen die Menschheit. Da nimmt das Konzept der Inszenierung eine recht glaubwürdige Gestalt an. Die Tiere konstatieren: „Die Menschen verachten uns!“ Genosse Boxer und Genosse Napoleon sind von der Idee begeistert, die große Nacht im Kuhstall zu verbringen. „Ist der Hunger der Preis, den wir bezahlen?“ lautet jetzt die alles entscheidende rhetorische Frage. Schließlich stürzt die Freiheitsstatue in sich zusammen. Dies ist auch der entscheidende Moment, wo der Aufstand der Tiere endgültig scheitert.

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Foto: Katrin Ribbe

Man spürt hier ebenfalls den Einfluss Franz Kafkas.  Orwell hat diese Tierparabel als Politsatire und Kommentar auf die Entwicklungen in der damaligen Sowjetuniton beschrieben. Das spürt man in der Inszenierung allerdings weniger. Orwell hatte Schwierigkeiten, einen Verlag zu finden, da das britische Informationsministerium von einer Veröffentlichung abriet, um die positiven Beziehungen zur Sowjetunion aufrechtzuerhalten. In seiner Inszenierung hat Oliver Frljic bewusst versucht, die Grenzen zwischen politischen Überzeugungen und opportunistischen Absichten zu verwischen. Frljic möchte die Grenzen der Kunst im Sinne Christoph Schlingensiefs  bewusst überschreiten. Profitgier wird auch in den Gruppenszenen immer wieder scharf gegeisselt. Es kommt zu satirischen Übertreibungen: „Schweinehoden zu essen ist ein Privileg.“ Dabei wird Genosse Napoleon zur Empörung der anderen aufs Korn genommen. „Der Krieg ist grausam“ lautet das Fazit. Hier gewinnt die Aufführung eine besondere Präsenz. In weiteren Rollen gefallen Jasmin Bachmann, Patricio Cortes, Andreas Fett, Tatjana Hammerschmidt, Alex Imhof, Anette Kanzler, Marvin Maisch, Diana Nguyen, Daniela Schock, Philipp Veit, Julia Vetter, Mathias Vetter und Deborah Yates als Mr. Jones, Hunde, Hühner, Schafe, Kuh. Die Choreografie von Andrea Krolo besticht aufgrund szenischer Geschicklichkeit. Schließlich kommt es zur krassen Abschlachtung Einzelner. Das absurde Theater triumphiert.

Im Programmheft findet sich dazu der passende Aufsatz von Fahim Amir mit dem beziehungsreichen Titel „Tiere – auch so ein Problem, das Marx nicht gelöst hat.“ Es darf manchmal auch gelacht werden. Viele „Bravo“-Rufe für das gesamte Ensemble. Zuletzt sieht man sogar ein geschlachtetes Schwein.

Alexander Walther

 

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