Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

STUTTGART/Staatstheater im Autokino Kornwestheim: STADION DER WELTJUGEND von Rene Pollesch. Uraufführung

02.07.2016 | Theater

„Stadion der Weltjugend“ von Rene Pollesch im Autokino Kornwestheim (Staatstheater Stuttgart)

DER BESTE HORRORDARSTELLER

„Stadion der Weltjugend“ als Uraufführung des Schauspiels Stuttgart am 1. Juli 2016 im Autokino/KORNWESTHEIM Hollywood in Kornwestheim bei Ludwigsburg

41794_stadionderweltjugend_0527
Copyright: Conny Mirbach

Rene Pollesch lässt das legendäre Autokino Kornwestheim im Stil der Amerikaner wieder aufleben – unter freiem Himmel vor den Toren der Stadt. Theater spielt man hier live, alles wird live gefilmt und für alle sichtbar live übertragen. Die fulminanten Schauspieler Julischka Eichel, Manuel Harder, Abak Safaei-Rad, Christian Schneeweiß und Martin Wuttke sitzen im Auto, diskutieren heftig, steigen wieder aus, liefern sich eine Verfolgungsjagd mit Blaulicht, steigen wieder ein, gestikulieren wild. Der „American way of life“ der berühmten Starschauspieler Hollywoods wird hier auf die Schippe genommen. Man spottet über Boris Karloff („Du warst der beste Horrordarsteller!“), philosophiert über Robert Mitchum oder ein heterosexuelles Paar, das nebeneinander im Autokino sitzt: „Die Zigarette kommt immer wieder, wie Jesus“. Die Frau sagt zum Mann: „Du weißt, ich kann Frauen nicht so gut darstellen. Du bist von uns beiden der viel bessere Frauendarsteller“.

Selbstverständlichkeiten werden bei diesem ungewöhnlichen Stück einfach auf den Kopf gestellt. Man verdreht die Realität, geht sich auf die Nerven, treibt sich gegenseitig bis zum  Wahnsinn. „Aber ich war auch in Erwartung der Welt und sie kam einfach nicht„, philosophiert die Frau weiter. „Es mangelt mir zu meiner eigenen Enttäuschung aller anderen, an der Fähigkeit, überzeugend eine Frau zu spielen“. Und der Mann stellt fest, dass er so ein guter Frauendarsteller war.

Das Tempo der Inszenierung von Rene Pollesch (Bühne: Barbara Steiner; Kostüme: Nina von Mechow) gerät nicht aus dem Gleichgewicht und steigert sich in knapp 90 Minuten unaufhörlich. Der Mann wirkt immer genervter: „Naja, wahrscheinlich steht mir die Scheiße schon ins Gesicht geschrieben? (Ich kann mich doch nicht immer selber spielen)“. Frank philosophiert über Gott und die Welt: „Es geht doch um die Frage, wie jede individuelle Psyche, jedes Individuum inmitten dieser Kräfte und innerhalb der großen Strömungen, die diese großen Narrative verhandeln, sich selbst versteht…“

41790_stadionderweltjugend_stadionderweltjugend_0343
Copyright: Conny Mirbach

Manchmal wird der schwierige Text für die Schauspieler auch zu einem Fallstrick, dem man nur schwer entkommen kann. Frank resümiert über sein Schauspielerleben ganz unbescheiden: „Ja, und ich war eines von diesen Monstern auf der Leinwand, die dafür sorgten, dass einem die Welt hier draußen nicht wie das Grauen vorkommt“. Und weiter bekennt er: „Meine Art von Horror hat mit der realen Welt nichts mehr zu tun. Ich bin quasi nur noch ein horrormäßiger Anschlussfehler„. Die Schauspieler erschrecken aber hier auch vor der riesigen Leinwand, auf der sie sich selbst sehen:“Ich kann mit dem Horror da oben einfach nicht mehr mithalten„. Der Kollege meint, dass sein Leben aus ganz elementaren Gründen instabil sei: „Ich war nie homogen, ich war immer schon gespalten„. Die andere Frau bekennt lakonisch: „Dass eine Zigarette im Mund von jemandem wächst und wieder zusammenschrumpft und wieder wächst, das ist mir zu sexuell“. Vor allem über Liebe und Ehe fällt ein ernüchterndes Urteil: „Eine Scheidung bedeutet ja nicht nur, dass eine Ehe jetzt annuliert ist. Sondern etwas viel Radikaleres: Es war niemals eine„. Die Frau stellt schließlich fest, dass es in ihrem Leben einen Moment ab, als sie froh war, dass der Alptraum vor bei war: „Die Formel lautet doch: Nimm das Trugbild weg, und du verlierst die Wahrheit“. Die Inszenierung von Rene Pollesch verleugnet ihren betont experimentellen Charakter keineswegs. Den Dingen wird auf den Grund gegangen, obwohl man nicht weiß, dass man sie weiß. „Warum muss Hollywood immer Paare wieder zusammenbringen?“ lautet die rhetorische Frage. Schließlich stellt man fest, dass die Schönheit die Konstante sei. In einem Autokino sei es völlig egal, was laufe – genau wie im Leben. Man müsse nur von diesem „arthouse-Trip“ herunterkommen. Der Schauspieler erinnert ans 17. Jahrhundert, als er seine Paraderolle als Desdemona seinem Publikum präsentierte. Für die Rolle der Julia wird er ebenfalls von den Kollegen gelobt – aber vor allem für seine Hosenrollen. da erreicht die Inszenierung das Komödiantische. Man koppelt dabei Emotionalität plötzlich an Natürlichkeit. Davon wird auch das Spieltempo der Schauspieler bestimmt. Satire und Hohn stechen hervor: „Diese diversen Mätressen- und Prostitutionsgeschichten waren doch eigentlich recht vorteilhaft“. Man möchte sich gegenseitig als Berater engagieren.

Im Hintergrund sieht man dann auf einmal eine riesige aufblasbare Plastikpuppe, die vom aufgeregten Ensemble ganz langsam hochgezogen wird. Die Schauspieler können sich nicht mehr gegen die Abwehrmechanismen wehren. Christian sagt: „Ich habs satt herumzusitzen. Ich bin eine dramatische Figur, ich brauche Bewegung“. Und in diesem Moment dreht sich das Personen-Karrussel der Inszenierung wieder neu, alles wird durcheinandergewirbelt: „Der Tod und die Liebe, die färben alles grundlegend ein„. Zuletzt stellt sich die hilflose Frage, an welchen Orten man sich eigentlich befindet. Eine Antwort wird nicht gegeben. Das Stück lässt die Zuschauer hier ratlos zurück. Aber die Uraufführung überzeugt, denn man begreift, dass das Autokino eine neue Dimension der Welt-Wahrnehmung eröffnet, die man bisher nicht für möglich gehalten hat (Live-Videoschnitt: Jochen Gehrung; Licht: Felix Dreyer). Das Autokino „Drive-In“ in Kornwestheim wird hier wahrgenommen als abenteuerlicher Ort für Teenager, Monster, Cliquen und Spinner mit ihren Liebesabenteuern. Und der verbotene Glanz des Autokinos färbt immer wieder ab. Entsprechend äusserte sich auch der Schlussapplaus der Zuschauer: Sie zollten den Darstellern vor allem mit lautem Auto-Hupen lang anhaltenden Schlussbeifall (Live-Kamera: Ute Schall, Tobias Dusche, Daniel Keller; Tonangler: Philipp Reineboth, Philip Roscher; Dramaturgie: Anna Haas; Produktionsleitung: Aliki Schäfer). Das Stück läuft noch bis zum 23. Juli.     

Alexander Walther

 

Diese Seite drucken