Strenge und Liebe zugleich: Helene Schneiderman (Teresa) mit Mirella Bunoaica (Amina). Copyright: Martin Sigmund
„LA SONNAMBULA“ 8.2. 2018– weiterhin ein Repertoire-Juwel
Auch wenn die Vorstellungen der jüngsten Wiederaufnahme-Serie von Vincenzo Bellinis nachtwandelnder Amina – hier geht es um die 30. Vorstellung seit der Premiere im Januar 2012 – nicht mehr so gut frequentiert sind, die emotionale Anteilnahme der Besucher schlägt sich spürbar in unverändert bewegender Stimmung und teils spontanen Ovationen nieder.
Dazu trägt sicher, was leider nicht immer der Fall ist, auch die spielerische Profilierung der Charaktere bis hin zu den einzelnen Chormitgliedern durch das Haus-Regie-Gespann Jossi Wieler und Sergio Morabito in der sozialkritisch sehr speziell darauf abgerichteten Aus- und Einkleidung von Anna Viebrock (Bühne + Kostüme) bei. Auch wenn einige Details über zu viele Ecken hinausgedacht und das Ende zu überdeutlich negativ gegen den finalen musikalischen Taumel der Protagonistin gerichtet sein mögen, garantiert die konzentrierte und in den Ensembles fesselnd zugespitzte Personenführung für eine auch in den verhaltensten Momenten durchgehende Spannung und Aufmerksamkeit.
Viel frischen Wind bringt Michele Gamba als Dirigent mit und hält den durchweg etwas gemäßigteren Tempi von Altmeister Gabriele Ferro, der alle bisherigen Aufführungsserien geleitete hatte, eine flotte, von noch jugendlichem Impetus getragene Gangart entgegen. Bei allem spürbaren Temperament und der Lust, mit der der junge Maestro Bellinis bewegte Cabalettas und Strettas angeht und vorantreibt, kommt die melancholische Verschleierung der melodie lunghe nicht zu kurz, bleibt bei aller Beschleunigung die innere Geschlossenheit gewahrt. Das im Schlagwerk um ein Becken erweiterte Staatsorchester Stuttgart ließ sich in die wechselnden Stimmungen aus Deprimiertheit und Überschwang mit hinein reißen und glänzte obendrein mit beflügelt artikulierten Bläser-Soli (Horn, Trompete, Flöte).
Der Staatsopernchor in der Einstudierung von Michael Alber nutzte den ihm hier gegebenen Gestaltungsreichtum zu einer seiner herausragendsten Glanzleistungen an vokal-dynamischer Delikatesse und darstellerischer Lebendigkeit. Fast könnte man dazu geneigt sein, ihm die zentrale Funktion in diesem ländlichen Drama zuzuschreiben.
Die Welt noch in Ordnung: Mirella Bunoaica (Amina) und Jesús León (Elvino). Copyright: Martin Sigmund
Von den Solisten gewähren wir der Neubesetzung des Elvino den Vorrang. Zudem war Jesús León erst während der Proben für (leicht zu verwechseln) Juan José De León eingesprungen und hatte sich in dieser dritten Reprise schon sichtbar frei gespielt und gesungen. Abgesehen von einem Timbre, das über das Mezzoforte hinaus einen strengen Klang annimmt und den Hörgenuss bei kraftvollen Einsätzen leider einschränkt, bietet der Lateinamerikaner eine allen technischen Belangen gerecht werdende Leistung. Diese geht auch bei den schwierigsten Hürden inklusive der sicher angegangenen und ausformulierten Extremtöne noch darüber hinaus, indem sein Tenor jederzeit flexibel für die jeweils geforderte Ausdrucks-Phrasierung bleibt. Den eifersüchtigen reichen Bauern verkörpert er glaubhaft als etwas linkischen und unbeherrschten Frauenhelden.
Mirella Bunoaica (Amina) und Jesús León (Elvino). Copyright: Martin Sigmund
Mirella Bunoaica hat mittlerweile mehr und mehr in die etwas einfältige, aber zu Herzen gehende Seele Aminas hinein gefunden, sich den Unschuldston der manchmal wie entrückt neben dem Geschehen stehenden und von ihrer Ziehmutter gelenkten jungen Frau erarbeitet. Ihr durchweg klar ansprechender Sopran, dem nur eine individuellere Färbung fehlt, schwingt sich bei völlig unangestrengter Linienführung mit weitem Atem durch die Melismen in die nie vordergründige Virtuosität von strahlend durchschlagenden Spitzentönen.
Bis in die Fingerspitzen durchgeformt sind die beiden anderen weiblichen Konstanten: Catriona Smith als köstlich frustrierte Gastwirtin Lisa, deren Sopran Reife mit unvermindert reizvoller Tongebung verbindet, und Helene Schneiderman, die als Ziehmutter Teresa eine Autorität aus Strenge und gleichzeitig großer Menschlichkeit ausstrahlt und ihren ihr Alter Lügen strafenden Mezzosopran in ihrer für Bestürzung sorgenden Aufklärungsszene zu tragender und dabei vokal ganz im Lot bleibender Ausdruckskraft verdichtet.
Liang Li vereint als Conte Rodolfo die bei aller Schürzenhaftigkeit feine joviale Geste eines Adeligen mit dem Balsam eines Belcanto-würdigen Basses voller Wärme, Tiefe und geschmeidigen Glanzes. Als bis zum Schluss erfolglos um Lisas Gunst werbender Alessio lässt Christian Tschelebiew aufgrund seines resonanzreichen Basses bedauern, dass Bellini ihm keine solistischer hervor tretende Entfaltung zugestanden hat.
Alles in allem ein Belcanto-Fest, auf dessen musikalischen und szenischen Elan das Publikum mit heutzutage außergewöhnlich lang anhaltender Begeisterung reagierte.
Udo Klebes