- Liedkonzert „Schwachheits-Spuren“ in der Staatsoper Stuttgart am 4. Oktober 2015
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Sebastian Kohlhepp. Foto: Julia Wesely
MIT EMOTIONALER KRAFT UND BEWEGUNG
- Liedkonzert mit Sebastian Kohlhepp am 4. Oktober 2015 in der Staatsoper/STUTTGART Ab 2015-16 gehört der Tenor Sebastian Kohlhepp zum Solistenensemble des Opernhauses und eröffnete die Liedkonzertreihe der neuen Saison. In der vergangenen Spielzeit gastierte er bereits als Lucio Vero in der Neuproduktion von Jommellis Oper „Berenike, Königin von Armenien“ sowie als Alfred in Johann Strauss‘ Operette „Die Fledermaus“. Beim Konzert mit dem beziehungsreichen Titel „Schwachheits-Spuren“ wurde er von Andreas Frese am Klavier in dezenter Weise begleitet. Dies zeigte sich vor allem bei den Liedern von Felix Mendelssohn Bartholdy. „Auf Flügeln des Gesanges“ op. 34 Nr. 2, „Morgengruß“ op. 47 Nr. 2 und „Gruß“ op. 19 Nr. 5 lebten ganz von der Tiefe romantischer Leidenschaft und der differenzierten gesanglichen Darstellung seelischer Vorgänge. Sebastian Kohlhepp hielt auch bei den weiteren Mendelssohn-Liedern „Reiselied“ op. 34 Nr. 6, „Allnächtlich im Traume seh ich dich“ op. 86 Nr. 4 und „Neue Liebe“ op. 19 Nr. 4 stets die Balance zwischen weich timbrierten Kantilenen und ausdrucksvollen Legato-Bögen. Die Schlichtheit des Strophenliedes wurde beim „Gruß“ ergreifend ausgekostet – und die deklamatorischen Steigerungen von „Neue Liebe“ erhielten eine beflügelnde Aura. „Verlust“ op. 9 Nr. 10 von Felix Mendelssohn Bartholdys Schwester Fanny berührte die Zuhörer aufgrund der erstaunlichen Tiefe des Ausdrucks sowie der voluminösen Kraft, mit der Sebastian Kohlhepp hier die Klangfarben des Stimmungszaubers beschwor. Bemerkenswert wirkten ferner die Purcell-Realizations aus „Orpheus Britannicus“ („Seven Songs“, 1947) von Benjamin Britten. Sie entstanden im Jahre 1939 und begleiteten seitdem das Schaffen der beiden Künstler. Der lyrischen Hymne „Fairest Isle“ verlieh Sebastian Kohlhepp einen geschärften Sinn für subtile klangliche Feinheiten, wobei die gemäßigte Tonsprache Brittens von dem einfühlsam begleitenden Pianisten Andreas Frese in transparenter Weise betont wurde. Besonders eindrucksvoll hob sich dann in der Interpretation Sebastian Kohlhepps die Totenbeschwörung „Music For A While“ hervor, wobei der Tenor den spirituellen Charakter dieser Komposition glänzend erfasste. Die weiteren Gesangsstücke „Turn then thine eyes“, „Pious Celinda“, „I’ll sail upon the Dog-star“ sowie „On the braw of Richmond Hill“ bestachen aufgrund elektrisierender Intervallspannungen und schwungvoll-fließender chromatischer Linienführung. Bei der Totenbeschwörung „Music For A While“ arbeitete Sebastian Kohlhepp die sich chromatisch kunstvoll nach oben schraubende Linie mit seiner schlanken und ebenmäßigen Tenorstimme eindringlich heraus, die Schwerkraft des Toten wurde so mit irisierendem Zauber beschworen. Daraus ergab sich eine geradezu hypnotische Wirkung, die die Lösung des Toten aus seiner Erstarrung und seine Befreiung aus der Unterwelt nach sich zog. Die Klangbilder zwischen Nachimpressionismus und Verismus erfuhren hier eine beachtliche Gestaltungsweise. Brittens moderne Tonsprache , die sich radikaler Mittel bis hin zu zwölftönigen Akkorden bedient, fesselte bei dieser Interpretation Sebastian Kohlhepps die Zuhörer. Zum Abschluss begeisterten die beiden Kantaten „Durchsuche Dich, o stolzer Geist“ für Tenor, Blockflöte, Fagott und Cembalo (TWV 1, 399) sowie „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“ für Tenor, Violine, Fagott und Cembalo (TWV 1, 877) von Georg Philipp Telemann aufgrund der facettenreich betonten Akkord- und Intervallsymbolik, die sich ständig steigerten. Die Koloraturen der Tenorstimme charakterisierten in der Wiedergabe durch Sebastian Kohlhepp die „Schwachheitsspuren“ mit tragfähigem Timbre und weichen Kantilenen. In den drei Arien von Telemanns Osterkantate „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“ unterzog sich Sebastian Kohlhepp einem erstaunlichen stimmlichen Wandlungsprozess. Dies zeigte sich insbesondere in den drei Arien, wo er von der konzertierenden Geige (die Alexandra Taktikos souverän spielte) begleitet wurde. Man merkte bei dieser Wiedergabe, dass die Musik des Barock bisher im Zentrum von Sebastian Kohlhepps Karriere stand. Weltgewandte Leichtigkeit der Tonsprache und klangliche Aufgeschlossenheit für das „Moderne“ kennzeichneten außerdem die Musizierweise von Diethelm Busch (Blockflöte), Jürgen Fenner (Fagott) und Joachim Hess (Cello). Melodik und Kontrapunktik vereinigten sich hier zu einem energiegeladenen Klangkosmos ohne stereotype Gleichförmigkeit.
Alexander Walther