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STUTTGART/Liederhalle: KONZERT MIT DEM SWR-SYMPHONIEORCHESTER /Philippe Herreweghe

02.06.2017 | Konzert/Liederabende

Konzert mit dem SWR Symphonieorchester unter Philippe Herreweghe im Beethovensaal der Liederhalle

EIN TÖNENDES SELBSTPORTRÄT

SWR Symphonieorchester unter Philippe Herreweghe am 2. Juni 2017 im Beethovensaal der Liederhalle/STUTTGART

Die Ouvertüre zu Byrons „Manfred“ von Robert Schumann klingt wie ein tönendes Selbstporträt. Manfreds düstere Empfindungselt wurde auch vom glänzend disponierten SWR Symphonieorchester unter der kompetenten Leitung von Philippe Herreweghe konsequent herausgearbeitet. Hier wurden aber keine Einzelheiten der Handlung aufgegriffen, sondern das erschütternde Seelengemälde des Titelhelden plastisch herausgestellt. Das war dann so eine Art Hamlet. Vor allem die zwiespältige Zerrissenheit des Protagonisten zwischen vernünftiger Entschlossenheit und gefühlvollem Zaudern kam harmonisch sehr gut zum Vorschein. Dynamische Kontraste wechselten sich in reizvoller Weise ab. Kraftvolle Synkopen und facettenreiche chromatische Klangfarben schufen ein bewegendes Klangbild, das der sensible belgische Dirigent Philippe Herreweghe in all seinen Schattierungen eindringlich erfasste. Eine Meisterleistung vollbrachte dann der Geiger Thomas Zehetmair bei Ludwig van Beethovens Konzert für Violine und Orchester in D-Dur op. 61, der die betörende Harmonik und Tiefe dieses Werkes in unvergleichlicher Weise erfasste. Er schwebte gleichsam über dem SWR Symphonieorchester, das von Philippe Herreweghe sehr dezent und mit viel Sinn für die Paukeneinsätze geleitet wurde. Weihevoll-ernste Themen ließen etwas von der großen Humanität Beethovens erahnen. Dies betraf vor allem auch die lyrischen Sequenzen, deren Intensität sich immer mehr verdichtete. Die vier leisen Paukenschläge zu Beginn eröffneten nuancenreich den ersten Satz und ließen das gesangliche Hauptthema dann glanzvoll aufblühen. Der breit strömende Fluss wurde von Thomas Zehetmair mit warmem Geigenton voll erfasst. Und der modulierende Gedanke erschien in dramatisch und rhythmisch kraftvoller Weise. Schlichte Lyrik begleitete das Seitenthema. Die Solovioline begann jetzt immer mehr zu leuchten, ließ das Sonatenschema in hoher Lage sphärenhaft erkennen, alles erklang in erhabener Schlichtheit. Die ergreifende Schönheit des Larghetto-Satzes wurde ebenfalls hervorragend ausgekostet. Vor allem der Unterton einer sanften Ekstase entfaltete sich wie von selbst. Dabei fielen die Umspielungen der variierten Melodie dank Zehetmairs souveränem Spiel besonders ins Gewicht. Aus feierlicher Entrücktheit leitete die Kadenz ins Rondo über. Es kam zu einer reizvollen Auseinandersetzung mit dem Orchester mitsamt dramatischen Entwicklungen. In zwei kräftigen Akkordschlägen verschwand das Rondothema im Solopart für immer. Als Zugabe interpretierte Thomas Zehetmair noch brillant den ersten Satz aus der Sonate für Violine solo von Bernd Alois Zimmermann. Die vielschichtige Zeitgestaltung stand auch bei dieser hochkonzentrierten Wiedergabe im Mittelpunkt, die den Klangflächen gleichsam nachlauschte. Zum Abschluss erklang dann Robert Schumanns Sinfonie Nr. 2 in C-Dur op. 61. Sie entstand nach Phasen schwerer Depression, von denen sich Schumann nicht mehr erholen sollte. Sie ist also auch eine Art Selbstporträt. Philippe Herreweghe arbeitete mit dem ausgezeichneten SWR Symphonieorchester die schwerelose Leichtigkeit des Musizierens gleichwohl überzeugend heraus. Das Kopfmotiv der Einleitung Sostenuto assai beschwor Bedeutungsvolles. Die geheimnisvolle Umkreisung von Ober- und Unterquinte wurde präzis getroffen. Kurzatmig erschien das Hauptthema des Allegro ma non troppo. Seelische Qualen konnte dieser Satz nicht verleugnen. Das eigensinnige Scherzo huschte atemlos dahin, eine wilde Jagd, die Philippe Herreweghe immer weiter anheizte. Die Holzbläser meldeten sich in erfrischender Weise im Trio. Eine träumerische Melodie beherrschte das Adagio espressivo. Hohe Ideale und gewaltige Absturzgefahren beherrschten auch das Finale mit seinen vielen Themen, die Herreweghe mit dem Orchester zu einem bunten akustischen Blumenstrauß formte. Der Gesang der Bratschen und Celli triumphierte in beglückender Weise über das marschähnliche Hauptthema. Eine erschütternde Stimmung des Verzichts breitete sich aus, machte dann aber dem siegreichen Kopfthema Platz, das vom machtvollen Staccato-Einsatz der Pauken gekrönt wurde. Herreweghe hat mit dieser optimistischen Interpretation Schumann trotz allem die Schwermut genommen. Jubel, großer Schlussapplaus.

Alexander Walther

 

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