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Stuttgarter Ballett „ROMEO UND JULIA“ 13.+24.7. – unerschöpflich zeitloses Potenzial

26.07.2024 | Ballett/Performance

Stuttgarter Ballett

„ROMEO UND JULIA“ 13.+24.7. – unerschöpflich zeitloses Potenzial

Jede Reprise von John Crankos großen Handlungsballetten macht deutlich, wie Maßstab setzend und essentiell diese in der Ballettgeschichte und für die technisch/menschliche Entwicklung von klassischen Tänzern sind. Zum nun schon bald traditionell an Stücken und Vorstellungen geballten Saisonende wurden fast alle derzeitigen Besetzungen des berühmten Shakespeare-Dramas noch einmal gefordert. Von Zweien ist hier im Folgenden die Rede.

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 Alessandro Giaquinto (Benvolio), Marti Paixa (Romeo) und Adhonay Soares Da Silva (Mercutio) im 1. Akt. Copyright: Roman Novitzky / Stuttgarter Ballett

Zunächst Elisa Badenes und Marti Paixa als unsterbliches Liebespaar: sie, die sich vom anfangs fast übermütigen Mädchen zur natürlichen Dramatikerin im Ringen um das Wagnis des todesähnlichen Schlaftrunkes wandelt, wie gewohnt spritzig leicht und beseelt tanzt und als Partnerin ein Traum an Hingabe und Mithilfe ist; er, der Latin Lover aus dem Bilderbuch, der mit Charisma und Tiefe in Romeos Gedankenwelt taucht und dem sich Julia dank vorbildlicher Hebetechnik vertrauensvoll in die Arme bzw. schwierige Flug- und Hänge-Positionen werfen kann.

Adhonay Soares Da Silvas seit seinem Romeo-Debut im letzten Herbst gewachsene und weit geöffnete Darstellungsgabe macht sich nun auch als Mercutio bemerkbar. An der Todesszene muss er an einigen Details noch feilen, aber die Ausgelassenheit und Kampfbereitschaft von Romeos Freund weist nun die geforderte Charakterstärke auf. Den heiklen Pas de trois führt er technisch zweifellos an. Alessandro Giaquinto zeigt in beiden Aufführungen als Benvolio die passende Kombination aus Spielfreude sowie einer Spur Tiefsinn und beendet damit leider seine tänzerische Karriere. Möge er als künftig freischaffender Choreograph wieder die Wege des Stuttgarter Balletts kreuzen.

Jason Reillys Bühnenreife ist so stark, dass die pure Präsenz das Ansinnen und die Haltung des reizbaren Tybalt glaubhaft macht. Dazu sind auch Fecht-Einsatz und sein Todeskampf absolut sehenswert. Clemens Fröhlich ist ein Graf Paris mit sehr nobler Haltung, leichten Hebungen auf dem Ball mit Julia sowie unmissverständlich klaren Gesten, dass er Julia wirklich liebt und ihr nicht nur zwangsweise bestimmt wird.

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Rocio Aleman (Julia) und David Moore (Romeo) im 3.Akt. Copyright: Roman Novitzky / Stuttgarter Ballett

Am Abschluss-Abend waren die Gewichte etwas anders gelagert und ergaben letztlich trotz nicht ganz linearer Leistungen eine ordentliche Gesamtschau. Rocio Aleman kehrte nach einigen Monaten Pause als Julia zurück und intensivierte den bereits positiven Eindruck von ihrem Rollendebut im letzten Oktober. Viel Herzenswärme und Seele sprechen aus ihrer ganz natürlich entwickelten Interpretation, neben der David Moores zugunsten eines mehr grüblerischen Sinnens meist nur kurz aufflackernde Verliebtheit Romeos umso mehr auffällt. Trotz dieser Diskrepanz, vor allem im ersten Akt, funktionieren die beiden auch dank seiner technischen Zuverlässigkeit, zumal im Partnern, ohne Schnittstellen. In der letzten Nacht stellte sich dann auch eine Harmonie in der Tiefe ihrer Beziehung als Paar ein.

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Ciro Ernesto Mansilla (Mercutio) im 2.Akt. Copyright: Roman Novitzky / Stuttgarter Ballett

Auf Romeos Seite stand diesmal neben dem bereits erwähnten Benvolio von Alessandro Giaquinto Solist Ciro Ernesto Mansilla als viel Laune und Witz mitbringender Mercutio. Allerdings wirkte er im ersten Akt, zumal auch im so wichtigen Pas de trois etwas nachlässig, drehte dann aber richtig auf und hielt in der Todesszene die Spannung zwischen Konzentration und Loslassen.

Julias Ehre wurde jetzt von Martino Semenzato verteidigt, der als Tybalt über ein starkes Profil und eine wirksame Mimik verfügt, nur im Angesicht des Todes noch etwas an choreographischer Stärke gewinnen dürfte. Leider hat sich Satchel Tanner als Graf Paris seit Oktober nicht entwickelt. Zur passenden Haltung gesellte sich keine adäquate persönliche Ausstrahlung und keine gestische Deutlichkeit, außerdem müssten die Hebungen Julias an Leichtigkeit gewinnen.

In den weiteren, größtenteils Charakterrollen sowie in den Gruppen überwogen erfreuliche Eindrücke. Neben Giaquinto wurden am Schluss auch noch einige andere Mitglieder der Companie von Direktor Tamas Detrich auf der Bühne mit Blumen verabschiedet, darunter die Halbsolisten Elisa Ghisalberti, die das Trio der Zigeunerinnen überzeugend anführte, und Flemming Puthenpurayil, der aus dem Gefolge der Capulets herausragte. Eine würdige letzte Gelegenheit sich zu präsentieren anstatt sang- und klanglos aus der Companie-Liste zu verschwinden.

Ohne Proben ist Prokofieffs teils rhythmisch vertrackte Partitur offensichtlich nicht mehr als routiniert zu realisieren, denn diesmal waren etliche Unsauberkeiten in den Streichern und Bläsern sowie Taktverschiebungen im zweiten Finale nicht zu überhören. Unter der Leitung von Wolfgang Heinz kam die perfekt auf die Choreographie abgestimmte Musik so leider nur phasenweise zum Tragen. MD Mikhail Agrest hatte da bei der letzten Vorstellung offensichtlich ein geschickteres Händchen im Koordinieren der Einsätze und im Zusammenhalt der Musiker. Über mangelnde Publikums-Würdigung können sich die Musiker indes nicht beklagen, sie wurden wie meist in den allgemeinen Jubel miteinbezogen.

Udo Klebes

 

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