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Stuttgarter Ballett. „DER WIDERSPENSTIGEN ZÄHMUNG“ 16.+18.7. 2023– mit Petrucchio im Doppelpack

19.07.2023 | Ballett/Performance

Stuttgarter Ballett. „DER WIDERSPENSTIGEN ZÄHMUNG“ 16.+18.7. 2023– mit Petrucchio im Doppelpack

Im Rahmen der Ballett-Tage vor der Sommerpause waren zum 50. Todestag von John Cranko außer der bereits gewürdigten Neueinstudierung von „Initialen R.B.M.E.“ und „Requiem“ noch zwei seiner meisterhaften Handlungsballette zu sehen. Als Stimmungsmacher erwies sich wieder die geistreiche Shakespeare-Komödie, in der die verbiestert aufmüpfige Edelmanns-Tochter Katharina von ihrem Zukünftigen mit den eigenen Waffen bekämpft und zur ergebenen Frau bekehrt wird, während die weiteren drei Paare (zwei davon allerdings durch ein beabsichtigtes Verwirrspiel mit Masken unfreiwillig verehelicht) durch die zickigen weiblichen Hälften schwächeln.

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Ein in allem idealer Petrucchio: Ciro Ernesto Mansilla. Foto: Roman Noviczky/Stuttgarter Ballett

Der als Solist ansonsten auffallend und unverständlich wenig eingesetzte Ciro Ernesto Mansilla bekam hier immerhin die Gelegenheit in gleich drei Aufführungen erneut und noch verstärkt unter Beweis zu stellen, dass er der derzeit führende Petrucchio ist. Ausgestattet mit allen Attributen, die diese dankbare, aber auch enorm fordernde Rolle verlangt: technische Sattelfestigkeit in Form von außergewöhnlichem Sprung- und Drehvermögen bzw. verzwickter partnerschaftlicher Hebe-Kunst kombiniert mit lockerer Improvisationsfähigkeit, augenzwinkernden Humor, eine selbstbewusste Darstellungsgabe und nicht zuletzt ein in der Erscheinung und im Spiel starkes Charisma. Dazu steuert der Argentinier noch eine passionierte Lust und eine Kondition bei, als ob er die Partie gleich zweimal am Tage durchstehen würde. Unabhängig von der Partnerin, denn die quirlig spritzige, mit allen Wassern gewaschene, köstlich ihre Waffen einsetzende und dennoch einen feinen, gar verletzlichen Kern spürbar machende Agnes Su fordert mehr ein blitzschnelles und agiles Reaktionsvermögen, während die etwas handfestere, in allem erwachsenere und mehr zur Perfektion neigende Anna Osadcenko einen höheren Krafteinsatz fordert.

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Ciro Ernesto Mansilla (Petrucchio) hier mit der spritzig feinen Agnes Su als Katharina. Foto: Roman Noviczky/Stuttgarter Ballett

 

Einen Glanzpunkt der ersten Vorstellung bildeten Marti Fernandez Paixa als in allem weicher, leicht federnder und wieder wie schwerelos wirkende Hebungen vollführender Lucentio und Veronika Verterich als gesamtkünstlerisch überzeugende Bianca, so dass der Pas de deux mitten im temporeichen Getriebe der Handlung zu einem träumerisch beseligenden Innehalten geriet. Demgegenüber hatte der bislang betrachtet auch rollendeckende Daniele Silingardi  leider schlechte Karten, weil seine Bianca, die technisch überlegene und strahlkräftige Mackenzie Brown, für ihn zu groß ist und die Hebungen dadurch erheblich erschwert wurden.

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Glanzvolles zweites Paar: Veronika Verterich (Bianca) und Marti Fernandez Paixa (Lucentio). Foto: Roman Noviczky/Stuttgarter Ballett

Gleichwertig sind die beiden Gremios: der mit trockener Vis comica agierende Christopher Kunzelmann und der komödiantisch flinkere Alessandro Giaquinto. Den eitlen Hortensio servierte beide Male Martino Semenzato in tadelloser choreographischer und nicht übertriebener interpretatorischer Form. Elisa Ghisalberti und Daiana Ruiz hatten als die beiden Freudenmädchen viele Lacher auf ihrer Seite, Rolando D’Alesio bzw. Marc Ribaud erfüllten die Rolle des geplagten Vaters Baptista genauso wie Matteo Crockard-Villa den profitgierigen Wirt und salbungsvollen Priester.

Es vergeht keine Vorstellung ohne auch beim so lebhaft ins Spiel integrierten und bei Cranko auch technisch gefragten Corps de ballet im Strudel des Geschehens neue Details zu entdecken. Selbst bei dem ebenfalls zur Stimmung und zum heiteren Schwung der Wiedergabe beitragenden Staatsorchester Stuttgart unter der antreibenden Leitung von Wolfgang Heinz erschließen sich beim Hören der brillant zu einer farbenreichen Partitur zusammengesetzten Scarlatti-Sonaten jedesmal noch so manche sinnstiftenden Zusammenhänge an Motiven und Klangspektren.

Dieses so viel Heiterkeit und Freude auslösende und entsprechend stürmisch gefeierte Juwel Crankos sollte in jeder Spielzeit präsent sein und nicht nur alle paar Jahre.

Udo Klebes

 

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