Stuttgarter Ballett
„SALOME“ von Demis Volpi 10.6.2016 (Uraufführung) – Magische Geometrien der Begierde
Der Mond als allmächtige bleiche Frau: Alicia Amatriain. Copyright: Stuttgarter Ballett
Bereits der Beginn, wenn sich der echte Bühnenvorhang (keiner dieser Usus gewordenen schwarzen Hänger) synchron zur tastend Gestalt annehmenden Musik von John Adams langsam öffnet und ein steil von oben einfallender Lichtkegel den aufgehenden Mond aus dem umgebenden Dunkel sichtbar macht, ist Theatermagie und verrät einen Schöpfer, der dem Gesamtkunstwerk mit allen Sinnen frönt.
Die Spannung vor der Premiere von Demis Volpis Umsetzung des berühmten literarischen und einst skandalträchtigen Stoffes war gewaltig. Nicht nur, weil der Umgang mit der Thematik exhibitionistisch gelebter Sexualität an sich ein heikles Unterfangen ist, mehr noch, weil der riesige Erfolg von „Krabat“, dem ersten abendfüllenden Ballett des Hauschoreographen, den Erwartungsdruck entsprechend hoch geschraubt hat.
Durch seine Begeisterung von Richard Strauss Maßstäbe setzender Opernfassung des 1893 entstandenen Oscar Wilde-Bühnendramas, sah sich Volpi immens herausgefordert und gleichzeitig magisch angezogen von diesem damals in Sprach- und Musiktheaterform provokativen Werk, das in ihm das Verlangen nach einer tänzerischen Umsetzung nährte. Dabei war es sicher von Vorteil, dass er keinen Takt aus Strauss Vertonung verwenden durfte, seiner Auffassung und Ansicht vielmehr ein eigenes musikalisches Gepräge geben musste. In seiner bekannt akribischen Forschung stieß der 30jährige auf John Adams und durch diesen wiederum auf Tracy Silverman, den maßgeblichen Entwickler und Spieler der sechssaitigen elektrischen Violine. Es gelang den Amerikaner nicht nur als Interpreten für die fünf ersten Vorstellungen, darüber hinaus auch als Komponist für ein speziell dafür geschaffenes Auftragswerk zu gewinnen. Ungewohnt tönt es da durchs Opernhaus: sich spreizende Klänge, die an eine E-Gitarre und Jimmi Hendrix erinnern, und dabei bestens zum aufgeplusterten Aufmarsch des Hofstaates von Herodes und Herodias passen. Eine durchgängige Linie mit vielen Motiven stiftet deren Identität. Bei Adams und seinen von indischer Musik beeinflussten und oft in einer Tonart verharrenden Schöpfungen wiederum ist es die sirrende und flirrende, oft von hohen Frequenzen bestimmte Klangwelt, die das in mehreren Dreieckbeziehungen gleichzeitig vorhandene Begehren auf eine ähnlich berauschende Weise mit großem, mit viel Schlagzeug durchsetztem Orchester, nur etwas moderner einfängt, wie es Strauss mit seiner spätromantischen Schwüle gelungen war. Ergänzt wird das musikalische Kompendium durch die beiden Sätze eines Schubert-Quintettes in der Bearbeitung des Zeitgenossen Vladimir Martynov. Sie bilden für die zentrale Begegnung von Salome und Jochanaan die spannende Folie von Begierde und Abwehr und für das Ende mit dem wieder alleine die Bühne regierenden Mond das passende Verlöschen. Eine ungewohnte und auch von viel Vorarbeit bestimmte Aufgabe für den Chefdirigenten James Tuggle und das Staatsorchester Stuttgart.
Volpis instinktsichere Musikauswahl, die die Thematik und das Geschehen mit soviel durchgehender sinnlicher Kraft und Spannung trägt, ist bereits die halbe Miete für einen Erfolg. Und auch auf der choreographischen Seite, die wieder von Vivien Arnold dramaturgisch kompetent strukturiert und auf pausenlose 90 Minuten wie die Vorlage als Einakter konzentriert wurde, fand der Argentinier erneut zu einer dichten Verschweißung von tänzerischer und erzählerischer Kraft. Als Ausgangspunkt, waltende Macht und Projektionsfläche betrachtet er den durchgehenden Mondschein, von dem in Wildes Text von verschiedenen Positionen die Rede ist, in dem jeder etwas anderes sieht und Befürchtungen ebenso wie Verlangen widerscheinen. Ihm gehört demzufolge nicht nur der eingangs beschriebene Aufgang aus einem sichelförmigen Gestell, er zieht in vielfältigsten gestreckten, gedehnten, gekrümmten oder wellenartigen Positionen, mal von einem Schleier bedeckt, später in Blut gerötetem Überkleid seine Bahnen auf der steil nach hinten ansteigenden Treppe. (Bühne und die hauptsächlich auf schwarz- und Goldtöne konzentrierten poppig schicken Kostüme: Katharina Schlipf ) Eine im Umfang wie im Anspruch Wahnsinnsrolle für die frisch gebackene Gewinnerin des Prix Benois de la danse, Alicia Amatriain – schwebend leicht, wie ein kühler Hauch und doch von bestimmender Kraft.
Triumph des Begehrens: Elisa Badenes als Salome. Copyright: Stuttgarter Ballett
Salome, die verzogene Kindfrau und letztlich in ihrer eigenen Perversität gefangene Stieftochter Herodes, in dem sie dessen Lüsternheit gegen ihr Verlangen nach dem Propheten Jochanaan ausspielt, zeigt Elisa Badenes, die Alleskönnerin, in Kurzhaarfrisur und freizügiger Montur, von einer ungewohnt neuen darstellerischen Lässigkeit, mädchenhaft und doch selbstbewusst. Ihren Höhepunkt wie auch den des ganzen Stückes, die Auseinandersetzung mit dem wegen seiner Lästerungen Gefangenen, absolviert sie noch mit der ihr eigenen federleichten Spitzen-Beweglichkeit, später gibt sie sich barfuss den Gelüsten nach dem Kopf des Getöteten hin, der ihr wunschgemäß auf einer Silberschüssel dargereicht wird. Dieser quasi finale Monolog, von Adams drittem Violinkonzert-Satz passend vorangetrieben, ließ denn als kulminierende Endphase von Salomes Verderbtheit etwas an Dringlichkeit und Zuspitzung vermissen, eventuell war da die Probezeit etwas knapp und die beabsichtigte Steigerung nicht mehr erzielt worden. Da lässt sich sicher noch nacharbeiten und ausreifen – so wie die unter Hochspannung stehende Konfrontation von Salome und Jochanaan. Seine Zisterne ist die kurz hoch gefahrene Unterbühne, aus der er zunächst auf einer Leiter kopfüber sichtbar und dann auf Befehl nach oben geholt wird. Den bleichen, von Salome zunächst so Begehrten und nach seiner Abkehr und seiner Verfluchung widerwärtig Abgestoßenen, bis auf eine hautfarbene Short nackten Mann zeichnet David Moore als müden, aber doch präsenten Fanatiker, der sich in Volpis choreographischem Zugriff mit Haut und Haaren gegen Salomes Zudringlichkeit wehrt und mit ihr in einen ausdrucksgeladenen Pas de deux verwickelt wird.
Spannende Auseinandersetzung: David Moore (Jochanaan) und Elisa Badenes (Salome) mit Alicia Amatrian (Mond). Copyright: Stuttgarter Ballett
Die Hilflosigkeit des Tetrarchen Herodes intensiviert das Leitungsteam dagegen durch Verbannung in einen Rollstuhl, wo dem sich an seiner Stieftochter aufgeilenden Machtmenschen nur die Äußerung durch Gesten und Gebärden sowie körperlicher Verkrampfungen bleibt. In roter Samtjacke auf schwarzem Hemd mit Goldkette und Sonnenbrille zeigt Roman Novitzky, dass auch mit reduziertem Bewegungsradius Wesentliches stark ausgedrückt werden kann. Seine Gattin Herodias ist die wie von allem unberührt bleibende verderbte Stiefmutter, für die der der Mond eben ganz einfach der Mond und die im blauen Kostüm und langer Ponyfrisur ganz auf einige illustrierende Ballett-Aktionen ausgerichtet ist. Miriam Kacerova beherrscht die eher sparsam bedachte Partie mit fraulich silberner Eloquenz, weniger als Herodes dominierende Femme fatale.
Volpis erzählerische Stärke erfasst auch die Beziehung des jungen syrischen Hauptmanns und des Pagen der Herodias in einem mit vielen überraschenden Momenten wie die Sicht auf Salome unterdrückenden Maßnahmen entwickelten Pas de deux. Marti Fernandez Paixa und Özkan Ayik vertreten das Niveau als Halbsolist bzw. Gruppentänzer mit dynamischer Eindringlichkeit. Ein Hingucker sind ebenso die drei Sklaven der Herodias wie auch die beiden Obstschalen auf ihren Häuptern tragenden Sklavinnen des Herodes. Das Corps de ballet fungiert als Gäste des herrschenden Paares in schlichten grauen Anzügen, während die als personifizierte Angst von Jochanaan und Herodes auftretenden Todesengel in eng anliegenden glitzernden schwarzen Ganzkörpermonturen als kriechende Meute bodennah herum schwirren. Bonnie Beecher sorgte dafür, dass auch solche Details ins richtige Licht gerückt wurden.
Nach etwas Überarbeitung und Nachjustierung bei Salomes Finalszene (auf den Schleiertanz als bei Wilde ohnehin nur beiläufig und unbestimmt erwähntem Element hat Volpi ganz verzichtet) dürfte sich der bei der Premiere abgezeichnete Erfolg auch im Repertoire mehr oder weniger wiederholen, auch wenn die Jugend damit weniger angesprochen sein wird.
Udo Klebes