Foto: Christoph Kalscheuer
Wolfgang Amadeus Mozarts Oper „Cosi fan tutte“ am 7. Februar 2019 im Wilhelmatheater/STUTTGART
VERWIRRSPIEL UM VERFÜHRBARKEIT
Der Regisseur Olivier Tambosi schlägt bei seiner turbulenten Inszenierung von Mozarts Oper „Cosi fan tutte“ durchaus eine Brücke zum Komiker Loriot, der bekannte: „Die Oper Cosi fan tutte des in Österreich sehr bekannten Komponisten Mozart ist derart unanständig, dass sie in Deutschland meist italienisch gesungen wird.“ So wettet ein erfahrener älterer Herr hier tatsächlich mit zwei jüngeren (nämlich Ferrando und Guglielmo), dass ihre Bräute Fiordiligi und Dorabella durch andere Männer jederzeit verführbar seien. Und so verabschieden sich die beiden Herren von ihren Frauen mit der kühnen Behauptung, die Pflicht riefe sie auf einen fernen Kriegsschauplatz. Wenig später kehren sie mit angeklebten Bärten als verkleidete Ausländer zurück und bedrängen die Damen. Die Verführung gelingt. Zuletzt wird sogar ein Ehekontrakt unterschrieben – bis die wahren Verlobten wiederkehren. Allerdings enttarnen sie jetzt ihre Maskerade, das Verwirrspiel ist perfekt. Doch zuletzt finden die wahren Paare wieder glücklich zusammen.
Olivier Tambosi betont in seiner stimmungsvollen Inszenierung den spielerischen, komödiantischen und positiven Ansatz. Er ist nicht der Ansicht, dass Mozart hier eine andere Geschichte erzählt als sein Librettist Da Ponte. So unterstreicht er den neapolitanischen Commedia dell’arte-Zauber gerade anhand der Figur der Zofe Despina, die sich in ihrem grotesken Intrigenspiel zuletzt selbst verheddert. Er sieht das Werk keineswegs als Seelendrama oder grausames Experiment eines Zynikers. Diese „Schule der Liebhaber“ besitzt bei dieser Aufführung vielmehr den Charakter einer Farce, bei der sich die Männer gleichsam als orientalische Derwische und auch in Frauen verwandeln. Sie erscheinen sogar mit Fotoapparaten. Immer wieder wird ein weißer Vorhang vor- und zurückgezogen, die Bräute nähen ihre riesigen Hochzeitskleider mit einer schlicht wirkenden Nähmaschine. Man sieht zuweilen Holzklötze und Leuchtstäbe. Das Neonlicht gibt der Bühne eine zauberhafte Aura. Die Fotografien der Bräute sind sogar als große Bilder zu erkennen. Zuletzt sieht man die sich wieder vereinigenden Hochzeitspaare an einem mit Torten festlich geschmückten Tisch. Tambosi inszeniert dabei eine Satire. Die handelnden Figuren sind hier zugleich eine hintersinnige Parodie derselben. Die Doppeldeutigkeit von Tiefgang und seelischen Abgründen wird immer wieder durchaus feinsinnig beleuchtet, wenngleich man die dramaturgischen Zusammenhänge auch noch deutlicher herausarbeiten könnte.
Bei Tambosi sind eben nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer verführbar. „So machen es alle“ – also alle Frauen, lautet das Motto in Mozarts „Cosi fan tutte“. Den Frauen wird dabei aber ebenso wie den Männern das Recht auf Untreue zuerkannt („necessita del core“). Der Erkundung des Gefühlslebens räumt Olivier Tambosi bei der Personenführung breiten Raum ein. Ernst, Humor, Tragik und Burleske kommen bei dieser Inszenierung dieses Spiels in der Buffa-Tradition nicht zu kurz. Dafür sorgen auch Bühne und Kostüme von Kersten Paulsen. Dagegen hätte man den Gegensatz von Irdischem und Überirdischem bei manchen Details noch feinsinniger und deutlicher herausarbeiten können. Aber die szenischen Einfälle sind insgesamt doch sehr gelungen und weisen auch den Weg auf eine neue Sichtweise. So erhält dieses seltsame Verwirrspiel um die Verführbarkeit von Menschen eine ungewöhnliche Komponente. Denn die unbegrenzten Spielräume werden durchaus ausgelotet. Die Zofe Despina und Don Alfonso als der eigentliche Verführer erhalten den Charakter nüchterner Vernunft.
Musikalisch ist die Aufführung ein Fest für die Ohren. Richard Wien leitet das Stuttgarter Kammerorchester zusammen mit Studierenden der Instrumentalklassen der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart mit zupackendem und feurigem Furor. Und die jagende Alla-breve-Bewegung treibt die Sängerinnen und Sänger immer wieder an. Dadurch kommt der bestrickende harmonische Zauber dieses Werkes wunderbar zur Geltung. Malgorzata Roclawska als glockenreine Fiordiligi und Anna-Katharina Hilpert als Dorabella gestalten mit ihren wandlungsfähigen Sopranstimmen die geradezu überirdische Heiterkeit ausgezeichnet. Ihr weiches und weitgehend makelloses Timbre lässt auch Platz für die hintergründige Ironie dieses Werkes. Der Lustspielgeist wird vom Stuttgarter Kammerorchester hier jedenfalls in der Ouvertüre schon mit profilierter Eleganz getroffen. Die Oboe trägt das schwärmerisch verliebte Motiv durchaus leidenschaftlich vor – und die Bässe lösen es schwungvoll ab. Maksim Pogrebniak als Ferrando überzeugt ebenfalls mit seiner schlanken und beweglichen Tenorstimme, die auch klangliche Grenzen überwinden kann. Emanuel Fluck gestaltet Guglielmo mit ausdrucksvollem Bariton und dynamischen Kontrasten. Diatra Zulaika interpretiert die Despina mit komödiantischer Ausgelassenheit und präsentiert sie zuweilen wie einen skurrilen Harlekin. Kabelo Lebyana (Bass) ist ein durchtriebener Don Alfonso, der sich über die „Weibertreue“ der Männer lustig macht. Der Seria-Charakter wird dabei gut betont.
Die geometrische Konstruktion der Partitur arbeitet das Ensemble überzeugend heraus. Dadurch kommt auch die hintersinnige Doppelbödigkeit dieses Werkes zum Vorschein. Der mythische Untergrund der Partitur wird von Richard Wien mit dem Stuttgarter Kammerorchester nicht verleugnet. Die mythologischen Gleichnisse gipfeln im Gleichnis von der Treue und dem unsichtbaren Phönix aus Arabien, die Bräute werden zur Göttin und zur Venus. Das hört man in einigen sphärenhaften Momenten auch deutlich in der Musik. Und die Strophe Don Alfonsos „O pazzo desire!“ besitzt sprühende Laune und hinreißendes Temperament. Er hat ja auch allen Grund dazu. Die beiden Liebhaber verpflichten sich nämlich am Schluss, sich gänzlich Don Alfonsos Anordnungen zu unterwerfen. Kabelo Lebyana zeigt hier als Don Alfonso ein witziges Charakterporträt. Die Verzweiflungs-Arie der Dorabella „Smanie implacabili“ und Fiordiligis Arie „Come scoglio“ sowie ihr reizvoll gestaltetes E-Dur-Rondo beweisen die gesanglichen Qualitäten von Malgorzata Roclawska und Anna-Katharina Hilpert einmal mehr. So gab es am Ende zu Recht Ovationen für eine schwungvoll-inspirierende Aufführung als Produktion der Opernschule der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart.
Alexander Walther