Stuttgart/ Wilhelma-Theater: Giuseppe Verdi „RIGOLETTO“ im Wilhelma-Theater Stuttgart
UNHEIMLICHES SPIEL HINTER MASKEN. 20.Juni 2017
Verdis „Rigoletto“ am 20. Juni 2017 mit der Opernschule der Staatlichen Hochschule für Musik Stuttgart im Wilhelma-Theater
Copyright: C. Kalscheuer
„Dieser Rigoletto wird ein Wendepunkt in meinem Leben sein“, meinte Giuseppe Verdi im Jahre 1850. Und tatsächlich nimmt er in Verdis Schaffen aufgrund der packenden dramatischen Schlagkraft eine Ausnahmestellung ein. Der französische Innenminister verbot das Werk wegen „Unmoral“. Kornelia Repschläger hat nun für ihre Inzenierung ein unheimliches Spiel hinter Masken erfunden. Auch dies ist ein Wendepunkt. Das Schicksal des Vaters und Hofnarren Rigoletto, der sich einem verantwortungslosen Hofstaat andient und von einem anderen Vater verflucht wird, geht hier unter die Haut. Denn es gelingt Kornelia Repschläger mit dem opulenten Bühnenbild von Kersten Paulsen, die gespenstische höfische Welt des Herzogs lebendig werden zu lassen. An Seilen hängen vermummte Gestalten – sie deuten auf die verlassenen zahlreichen Geliebten des lebenslustigen Herzogs hin. Versehentlich tötet Rigoletto seine eigene Tochter Gilda, um sich am Herzog zu rächen. Das ist der Kern der Tragödie, den die gelungene Inszenierung auf den Punkt bringt.
Vor allem die Gruppe der Höflinge erreicht bei dieser Aufführung eine enorme Intensität, sie bedrängen Gilda, entführen sie, tragen sie auf Händen davon und werfen sie schließlich in eine Kiste. Im Libretto ersticht der Bravo Sparafucile Gilda – hier ist es ein kollektiver Mord an dem jungen unschuldigen Mädchen, das von dem gewissenlosen Herzog verführt wurde. Die Bühne wird hier in zwei Ebenen aufgeteilt – eine kleine hintere und eine größere vordere Bühne. Dadurch erhöht sich der Spannungsgrad. Dies kommt vor allem am Ende grell zum Vorschein, als Rigoletto der Leiche seiner in Tücher verhüllten Tochter gegenübersteht. Sie erscheint gleichzeitig in Trauerkleidung und Rigoletto erkennt entsetzt, dass sie getötet wurde.
Diese Produktion der Opernschule der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart ist musikalisch ein Glücksfall. Anton Holmer leitet das Hochschulsinfonieorchester mit feinem Gespür für die glühende Emphase und zahlreichen Brio-Sequenzen. Taeyoung Lee bietet als Rigoletto eine hervorragende gesangliche Leistung, das Fluch-Thema erreicht bei seiner glutvollen Darstellung eine eherne Macht. Vor allem die Spontaneität der Details kommt immer wieder in bewegender Weise zum Ausdruck. Die Des-Dur-Welt wird wiederholt in geheimnisvoller Weise durchleuchtet, das beginnende „c“ zeigt als Tonsymbol große Ausdruckskraft. Gerade die Nachtszenen mitsamt der Gewitterstimmung werden hier zur Symbolwelt für Rigolettos zerrissene Seele. Il Conte di Monterone erreicht in der imponiernden Gestaltung durch Byung-Gil Kim eine dämonische Größe, die sich steigert. In leitthematischer Wiederkehr heftet sich das Fluch-Thema an Rigolettos Fersen. Anais Sarkissian zeigt als Gilda ein sensibles Gespür für feine gesangliche Balance und auch die leiseren Zwischentöne kommen nicht zu kurz. Parlando und Arioso werden suggestiv gestaltet. Timos Sirlantzis ist ein durchtriebener Mörder Sparafucile, er ist stimmlich fast eine Ergänzung zum klangfarblich reich gestalteten Herzog von Mantua von David Fruci, der an diesem Abend eine gesangliche Höchstform erreicht. Anton Holmer gelingt es mit Sängern und Orchester, die beklemmende Stimmung dieses Werkes immer weiter anzuheizen. Rigolettos Aufschrei „Ah, der Fluch“ löst sich in einem heftigen harmonischen Halbschluss und „Trugschluss“ in es-Moll – eine weitere Gelegenheit für Taeyoung Lee, den Charakterisierungsreichtum seiner Stimme unter Beweis zu stellen.
Was bei der Inszenierung sehr gut zum Vorschein kommt, ist Rigolettos Entwicklung vom aktiv Bösen über den unglücklich Getroffenen und den bewusst Gedemütigten bis hin zum Vernichteten. Das gelingt Taeyoung Lee auch darstellerisch hervorragend. Nach Monterones c-Moll folgt ein scheinbar befreites As-Dur, gleichzeigt wird Rigoletto von den Melodien der Celli bei der Begegnung mit dem Mörder Sparafucile eingekreist. Rhythmisch und harmonisch passen Rigoletto und Gilda bei den Duetten in dieser Aufführung gut zusammen. Flöten und Oboen begleiten die Kantilenen von Gilda in subtiler Weise, Anais Sarkissians schlanke Gesangsstimme passt sich auch den Instrumenten an. Bei ihrem Entschluss zum Opfer („O Himmel, hab Mitleid“) verwandelt sie Sparafuciles Wüten und die Verzweiflung von Maddalena (facettenreich: Anna-Katharina Hilpert) in eine ergreifende Apotheose. Das As-Dur der Eröffnungsarie des Herzogs („Diese oder jene“) überzeugt in der Gestaltung von David Fruci mit schwungvoller Durchschlagskraft. Die Cabaletta „Possente amor“ lässt er sich von den Violinen geradezu diktieren. Und auch das H-Dur der „Canzona“ erreicht bei David Fruci eine betörende Intensität.
Als rhythmisch arrogante Gruppe treten die Höflinge auf, die der fulminante Herrenchor (Leopold Bier, Daniel Fix, Rui Hao, Gabriel Klitzing, Johannes Maas, Robin Neck, Moritz Tempel, Juan Camilo Yepes) in erstaunlicher Weise gestaltet. Die Balance zwischen Tenören und Bässen glückt exzellent. Maddalena ist hier fast eine Ergänzung Gildas. Gildas leuchtendes E-Dur und die Violinfigur mit dem hohen h strahlt in bemerkenswerter Weise auf die anderen Figuren. Markant ist auch die Verdammung Monterones durch die Höflinge. Gildas Opfer verwandelt dann alles von Moll nach Dur. In Einzelmotiven entladen sich wilde Forte-Exzesse. Anton Holmer betont mit dem Hochschulorchester als Dirigent wirkungsvoll die Detailarbeit. In weiteren Rollen überzeugen Sophia de Otero als Haushälterin Giovanna, Koral Güvener als Höfling Borsa, Emanuel Fluck als Kavalier Marullo, Mathias Tönges als Il Conte di Ceprano, Paula Jeckstadt als dessen Frau La Contessa, Pavlina Chamantne als Page und Gabriel Klitzing als Schließer. Die Kostüme von Ralf Christmann wirken zeitlos und passen sich gut dem Bühnenbild an.
Begeisterter Schlussapplaus. (Bühnenmusik: Staatsorchester Stuttgart).
Alexander Walther