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STUTTGART/ Wilhelma-Theater /Musikhochschule: DIE HOCHZEIT DES FIGARO – die Wäscheleine als Intrigennetz

08.02.2016 | Oper

Mozarts „Hochzeit des Figaro“ mit dem Stuttgarter Kammerorchester im Wilhelma-Theater

DIE WÄSCHELEINE ALS INTRIGENNETZ

Wolfgang Amadeus Mozarts „Hochzeit des Figaro“ mit der Opernschule der Musikhochschule am 7. 2. 2016 im Wilhelma-Theater/STUTTGART

Wilhelma Theater Figaro Foto C. Kalscheuer 3
Das Ensemble. Copyright: C. Kalscheuer/Wilhelma-Theater

In der Inszenierung von Dagny Müller (Ausstattung: Kersten Paulsen) wird die Handlung von Mozarts „Hochzeit des Figaro“ in die heutige Zeit verlegt. Wir sehen ein ziemlich heruntergekommenes Etablissement, wo Susanna und Figaro als Bedienstete des Grafen Almaviva heiraten wollen. Der Graf versucht das in dieser Aufführung immer wieder mit allerlei Tricks zu verhindern. Man glaubt ihm, dass er in Susanna verliebt ist und sie in die Reihe seiner Eroberungen einreihen möchte. Der insolvente Figaro hatte vor Jahren seinem Freund zur Ehe mit Rosina verholfen. Die Sängerinnen und Sänger agieren hier mit plastischer Deutlichkeit, so dass man der Handlung problemlos folgen kann. Es entsteht eine raffiniert gestrickte Intrigenkomödie mit Gegenintrigen. Rosinas Vormund Bartolo hatte es auf sie abgesehen, er entpuppt sich jedoch als Figaros unbekannter Vater. Zwischen Sessel, Kiste, Stühlen und einem großen Schreibtisch und heruntergerissenen Tapeten entdeckt man das Grafen-Paar, dessen Ehe allerdings nicht glücklich ist, was sich bei der Gräfin in depressiven Verstimmungen äusserst. Der Graf ist seiner Frau überdrüssig geworden, während sich Figaro als sein Kammerdiener der Liebe Susannas erfreut. Diese gefährlichen Schwärmereien münden in Dagny Müllers durchaus ironischer und hintersinniger Inszenierung in ein rasantes Verwirrspiel. Der Graf bereut, das „Recht der ersten Nacht“ aufgegeben zu haben. Fortschrittler, Reaktionäre, Gescheiterte und Sonderlinge bevölkern hier die Bühne, die sich im Laufe des Abends aber nicht wirklich verwandelt. Im letzten Bild sieht man dann ein seltsames Labyrinth aus Wäscheleinen, an denen Kleidungsstücke herunterhängen und das komische Intrigenspiel verstecken. Man begreift als Zuschauer, dass hier überkommene Regeln und Privilegien nicht mehr gelten. Alles wird ad absurdum geführt, bis sich schließlich die richtigen Paare finden. Susanna bekommt ihren Figaro und der Graf fleht die Gräfin auf Knien um Vergebung an.

Noch besser wie die manchmal eher sperrige Inszenierung gefällt zwischen Liebe, Untreue und Intrige bei dieser Produktion der Stuttgarter Opernschule (Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst) aber die fulminante Interpretation mit dem Stuttgarter Kammerorchester sowie Studierenden der Bläser- und Streicherklassen der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart unter der einfühlsamen und kenntnisreichen Leitung von Bernhard Epstein, was sich schon bei der transparent und schlank musizierten Ouvertüre bemerkbar macht. Sprudelnde Lebendigkeit überträgt sich hier nämlich sofort auf die Sängerinnen und Sänger – allen voran der gesanglich wandlungsfähige Vladislav Pavliuk als Graf Almaviva sowie die mit weichem Timbre agierende Manuela Vieira, die allerdings in der Höhenlage noch an Volumen und Ausdruckskraft zulegen könnte. Erfüllt von sprühender Laune zeigt sich auch der fein ausbalancierte Sopran der Susanna von Victoria Kunze, die sich im Laufe des Abends dynamisch immer mehr zu steigern vermag. Dass Mozarts Musik zuweilen wie ein ungehemmter Wirbelsturm daherkommt, kann außerdem Simon Stricker als Figaro mit sonorem Bass verdeutlichen. Im Unisono der Streicher melden sich geheimnisvoll akzentuierte Piano-Passagen, die dem kichernden Fagott assistieren.

Verhaltene Bläserklänge können den ausbrechenden Jubel im Orchester nicht aufhalten. Joyce de Souza als Page Cherubino (der einmal sogar der Kiste entsteigt) reiht sich ebenfalls in diesen bacchantischen Wirbel überströmenden Lebensgefühls ein und verleiht den oftmals reizvollen Themen eine ungeahnte gesangliche Reife und innere Lebendigkeit. Nicht nur in neckischem Sforzato behaupten sich zudem Jasmin Hosseinzadeh als Marcellina, Thomas Reshol als Arzt Basilio, Maksim Pogrebniak als Notar Don Curzio, Clemence Boullu als Arzttochter Barbarina sowie Konstantin Krimmel als Gärtner Antonio.

Bernhard Epstein arbeitet die atemlose Allegrobewegung zusammen mit dem exzellent musizierenden Stuttgarter Kammerorchester sehr schön heraus. Die Charakterdramatik wird gut ausgeleuchtet. Blutwärme der Empfindung und psychologische Wahrheit ergänzen sich so in glaubwürdiger Weise gegenseitig. Die bewegliche Parlando-Diktion, den Verkündigungs-Gestus und die Abwesenheit des Empfindungs-Pathos zeichnet Bernhard Epstein zusammen mit dem Ensemble musikalisch glänzend und mit großer Sensibilität nach. Der Instrumentalwitz der Hörner, die Figaros ungesagte Worte illustrieren, blitzt ebenfalls reizvoll hervor. Wie stark Figaro gegen die Ansichten des Grafen rebelliert, wird gerade von Simon Stricker immer wieder drastisch verdeutlicht. Das spielerische Motiv von Unruhe und Hektik zeigt musterhaft den überaus aufgeregten Zustand der Gräfin, während auch das „Versöhnungsmotiv“ am Schluss in aller Intensität festgehalten wird. Bernhard  Epstein geht dabei vor allem auf die Sängerinnen und Sänger ein, die sich dabei in hervorragender Weise ergänzen. Das Sotto voce sowie das „Crescendo“ bis zum Forte macht sich bei der Versöhnung in markanter Weise bemerkbar. Hinsichtlich des hier rasant dargebotenen Wechsels der Motive zeigt sich die strukturelle Dynamik der einzelnen Glieder. So kommt es tatsächlich zu einer befreienden Beweglichkeit des harmonischen Geschehens. Den Buffa-Charakter verleugnet Epstein nie, der sich zuspitzende Konflikt zwischen Cherubino und Susanna wird plastisch betont. Im Orchester ereignen sich spektakuläre klangliche Abstürze mit einer umwerfenden Robustheit von Hörnern, Trompeten und Pauken. Barbarinas Suche nach der Nadel wird vom sordinierten Klang der Streicher nuancenreich begleitet, da gibt es kaum szenische Abweichungen, die Musik ergänzt das visuelle Geschehen eindringlich. Simon Stricker vermag Figaros Arie „Non piu andrai“ mit dem Charakter des Geschwindmarsches ein ungewöhnliches Klangfarbenspektrum zu verleihen. Spott, Überlegenheit und bedrohliche Spannkraft behaupten sich hier gleichzeitig. Und Bernhard Epstein betont den durchschlagenden punktierten Rhyhmus ohne Abweichungen. Mit voller Unisono-Gewalt imponiert das Stuttgarter Kammerorchester bei „Tra guerrieri poffar Bacco!“ Die Aufführung lässt in jedem Fall deutlich werden, wie sehr Mozarts Musik den Dingen auf den Grund geht. Dies zeigt sich auch beim allgemeinen Durcheinander auf der Bühne, wo sich die Figuren nicht nur beim heftigen Weibergezänk buchstäblich in die Haare geraten.

Das Publikum war von der Vorstellung jedenfalls begeistert und spendete Ovationen.

Alexander Walther

 

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