Premiere „La Wally“ von Alfredo Catalani am 8. Juni 2022 im Wilhelma-Theater/STUTTGART
Fieberhafte Dynamik
Das Tiroler Ötztal steht im Mittelpunkt von Alfredo Catalanis Oper „La Wally“, wo er zusammen mit seinem Librettisten Luigi Illica Leben, Sterben, Naturgewalt und Heimatliebe Ende des 19. Jahrhunderts in magische Klangwelten verwandelt hat. Gustav Mahler hielt dieses Werk sogar für die beste italienische Oper, während Giuseppe Verdi Catalani kritisierte. Der Geier musste zwar aus der Geschichte weichen, er ist in der gelungenen Inszenierung von Bernd Schmitt jedoch stets präsent, denn das Bühnengeschehen mit Holzkreuz und schwarzen Bällen (die das gigantische Gebirgsgeröll symbolisieren) wird in raffinierter Weise mit dem im Jahre 1940 entstandenen berühmten Film „Die Geierwally“ mit Heidemarie Hatheyer verwoben. Da entstehen dann zuweilen fast alptraumhafte Bilder, die einen neuen Blick auf diese 1892 im Teatro alla scala in Mailand uraufgeführte Oper ermöglichen. Die Titelrolle sang damals die rumänische Sopranistin Hariclea Darclee. Gigantische Gebirge rücken visuell in den Mittelpunkt, machen die Handlung des Musikdramas in facettenreicher Weise erfahrbar. Das Schützenfest zu Ehren des Großgrundbesitzers Stromminger ist im ersten Akt sehr präsent. Auch der Streit Strommingers mit dem Jäger Giuseppe Hagenbach wegen eines Bären gerät hier grell ins Blickfeld, denn Bühne und Kostüme von Birgit Angele wirken sehr authentisch. Sie hat ein zwischen Himmel und Hölle angesiedeltes, kompliziertes Koordinatensystem geschaffen. Nach der Trennung der Streitenden kommt heraus, dass Strommingers Tochter Walburga wohl in Hagenbach verliebt ist. Doch Stromminger befiehlt seiner Tochter, Vincenzo Gellner (den nach ihm zweitreichsten Bauern von Hochstoff) zu heiraten. Dadurch nimmt das Verhängnis auch in dieser packenden Inszenierung rasant seinen Lauf – beschleunigt von dramatischen Filmsequenzen. Nachdem Wally das ganze Vermögen ihres Vaters geerbt hat, trifft sie im zweiten Akt beim Fronleichnamsfest auf Hagenbach, der ihr wegen einer Wette einen Kuss raubt, sie aber sonst nicht weiter beachtet. Wally sinnt auf Rache und verlangt von Gellner, Hagenbach zu töten. Im dritten Akt verdichtet sich in Bernd Schmitts Inszenierung das Geschehen, denn Hagenbach folgt Wally auf dem Heimweg nach Hochstoff – doch Gellner lauert ihm auf und stürzt ihn in die Schlucht. Im vierten Akt kommt es schließlich zum tragischen Höhepunkt des Geschehens, denn Wally ist dem Verletzten nachgeeilt, um ihn zu retten. Hagenbach erscheint und erklärt Wally, dass er sie noch immer liebe. Sie gesteht ihm jedoch, dass sie ihn umbringen lassen wollte. Zuletzt wird Hagenbach von einer Lawine in die Tiefe gerissen, Wally springt voller Verzweiflung ebenfalls in den Tod.
In Bernd Schmitts Inszenierung stürzt dabei die gesamte Bühne in sich zusammen – und die riesigen schwarzen Bälle begraben das Paar unter sich. Das ist ein effektvolles Ende. Das Stuttgarter Kammerorchester sowie Studierende der Instrumentalklassen der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart unter der einfühlsamen Leitung von Johannes Pell lassen die fieberhaft-glutvolle Dynamik dieser Partitur hell aufleuchten. Die Fassung für Kammerorchester von Christopher Brandt rückt dieses Meisterwerk noch mehr in die Moderne, macht seine Einflüsse auf das zeitgenössische Musiktheater in effektvoller Weise deutlich. Tremolo-Sequenzen, präzise und elektrisierende Pizzicati, Harfen-Glissandi und atemberaubende chromatische Passagen lassen dabei einen überaus farbenreichen Klangkosmos entstehen. Vor allem die Präsenz der Blechbläser ist immer wieder verblüffend. Auch die Einflüsse des Verismus werden dabei nicht geleugnet, wobei man Bizet und Gounod hier harmonisch durchaus spürt. Romantik, übermäßige Akkorde und leitmotivische Anklänge schaffen dabei sogar eine Nähe zu Catalanis anderer Oper „Loreley“, die aber nicht so bekannt wurde wie „La Wally“. Karolina Petuchovaite (Sopran) als Wally gestaltet nicht nur die Arie „Ebben? Ne andro lontana“ mit aufwühlender Intensität und gesanglicher Tragfähigkeit. Man spürt, dass diese Sängerin sehr viel Potenzial hat und dass sie die Präsenz ihrer Rolle sogar noch steigern kann. Eine Kritik der Hamburger Erstaufführung von 1893 lobte übrigens bei diesem Werk „Wärme und eine Leidenschaft von solcher Tiefe und Wahrheit, dass sie ihre Wirkung niemals verfehlen wird…“
Diese Wärme und Leidenschaft durchströmt auch die Aufführung im gut besuchten Wilhelma-Theater, denn die anderen Sänger wie der fulminante Junoh Lee (Bass) als Stromminger, Dimitrios Karolidis (Bariton) als Vincenzo Gellner, Piotr Gryniewicki (Tenor) als Giuseppe Hagenbach sowie Annija Adamsone (Sopran) als Zitherspieler Walter 1 und Kyriaki Sirlantzi (Sopran) als Walter 2 gestalten ihre vielschichtigen Rollen ebenfalls mit viel Herzblut. Belcanto und Parlando blühen zuweilen in überwältigender Weise auf. Man begreift jedoch, dass Catalani eine ganz eigenständige Musiksprache erfunden hat, die neben folkloristischen Einflüssen selbst geheime Assoziationen zu Wagner aufzeigt. Christina Maier (Mezzosopran) als vielschichtige Adler-Wirtin, Gabriel Klitzing (Bass) als Pedone di Schnals sowie der stets präsente Chor der fünf Hochstoffler (Esther Schneider, Thalia Hellfritsch, Leopold Bier, Hannes Nedele und Lukas Krimmel) sorgen für weitere dramatische Steigerungen. Für diese hervorragende Produktion der Opernschule der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart gab es Ovationen und viele „Bravo“-Rufe.
Alexander Walther